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Die verlorene Generation Ziel einer europäischen Initiative zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit müsste es jedenfalls sein, allen Jugendlichen einen Beschäftigungs- oder Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen. Vor allem der Abschluss einer Erstausbildung ist essenziell.

Die verlorene Generation

Schwerpunkt

Die dramatisch steigende Anzahl junger Menschen ohne Jobs ist die wohl größte Gefahr für das europäische Projekt.

Die EU-Wirtschaftspolitik steckt tief im Sumpf der Finanzkrise und immer wieder tauchen Befürchtungen auf, diese Krise könnte das Projekt der europäischen Einigung gefährden.
Doch viel stärker ist die Europäische Union durch ein anderes Problem bedroht, das gleichzeitig mit dem Anstieg der Staatsschulden entstanden ist: Jenem der hohen Arbeitslosigkeit, vor allem unter Jugendlichen.
In Spanien und Griechenland überschritt die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen zum Jahreswechsel 2011/2012 die Marke von 50 Prozent. Vonseiten der Politik hören die arbeitslosen Jugendlichen allerdings nur eines: sparen, sparen, sparen. Kein Wunder, wenn sie das Vertrauen in die Politik verlieren, egal ob auf nationaler oder europäischer Ebene.

Der dramatische Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit ist nicht auf die südlichen Problemländer beschränkt:

  • Die Jugendarbeitslosenquote betrug in der EU im Dezember 2011 22,5 Prozent der Erwerbspersonen in dieser Alterskohorte, Tendenz stark steigend.
  • Bereits in zehn von 27 Mitgliedsländern der EU lag sie über 25 Prozent, vier Jahre zuvor war das noch in keinem einzigen Mitgliedsland der Fall.
  • Insgesamt waren in der Europäischen Union im Dezember 2011 5,7 Millionen Jugendliche ohne Arbeit, die Zahl steigt derzeit jedes Monat um etwa 100.000.

Der Anstieg der Zahl der Jugendlichen ohne Job ist ein Spiegelbild der Misere auf dem gesamten Arbeitsmarkt der EU: Im Dezember waren fast 24 Mio. Menschen und damit nahezu zehn Prozent der Erwerbspersonen arbeitslos, das sind um fast acht Mio. mehr als Ende 2007.
Staatsschulden und Arbeitslosenzahlen stiegen in den vergangenen vier Jahren parallel. Das weist darauf hin, dass beide Phänomene die gleiche Ursache haben, nämlich die von Banken und Finanzmärkten ausgelöste schwere Finanzkrise, die noch lange nicht überwunden ist. Sie hat zu einem tiefen Wirtschaftseinbruch geführt und so nicht nur massive Steuerausfälle für die Staatshaushalte mit sich gebracht, sondern auch umfangreiche Verluste an Jobs. Das betrifft vor allem jene Menschen, die in den Arbeitsmarkt einsteigen wollen bzw. noch wenig Berufserfahrung haben.
Derzeit deutet alles auf eine weitere Verfestigung dieses Problems hin. So droht in der EU eine "verlorene Generation" von Jugendlichen heranzuwachsen, die nie einen guten Einstieg ins Erwerbsleben finden und bis in die Pension materielle Nachteile erfahren werden. Dies würde weitreichende Konsequenzen nicht nur sozialer und wirtschaftlicher Natur, sondern auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt mit sich bringen.
Dennoch fehlen bislang weitgehend politische Initiativen auf europäischer Ebene: Im Jänner setzten sich die Staats- und Regierungschefs nach vier Jahren Anstieg der Arbeitslosigkeit zum ersten Mal mit dem Problem auf EU-Ebene auseinander. Genau auf dieser Ebene muss auch angesetzt werden, denn vielen Ländern mit Massenarbeitslosigkeit unter Jugendlichen fehlt angesichts der Lage auf den Finanzmärkten jeder budgetäre Spielraum zur Lösung des Problems, selbst wenn sie dies politisch für notwendig erachten würden.

Jugendarbeitslosigkeit bekämpfen

Der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen sollte auf EU-Ebene der gleiche Stellenwert wie der Reduktion des Budgetdefizits zugemessen werden. Deshalb gilt es, konkrete Ziele festzulegen: Einerseits quantitativer Natur, etwa in Form einer Halbierung der Jugendarbeitslosenquote innerhalb von fünf Jahren, und andererseits qualitativ, zum Beispiel in Form eines garantierten Beschäftigungs- oder Ausbildungsangebotes für alle Jugendlichen, die länger als vier Monate arbeitslos sind.
Je nach nationaler Ausgangslage muss dann mit jedem Mitgliedsland ein spezifisches Ziel vereinbart werden. Die Ausarbeitung konkreter Instrumente könnte auf nationaler Ebene erfolgen, vorbildhafte Maßnahmen einiger Länder sollten dann den anderen zur Umsetzung empfohlen werden. Österreich, Deutschland und die Niederlande stehen im EU-Vergleich noch am besten da, in diesen Ländern beträgt die Arbeitslosenquote unter Jugendlichen etwa acht Prozent. Für diesen Erfolg sind unterschiedliche Faktoren verantwortlich. Das duale Ausbildungssystem mit der Kombination aus Lehre im Betrieb und Berufsschule spielt dabei etwa eine wichtige Rolle. In der Krise wurden außerdem Beschäftigungspakete für Jugendliche geschnürt oder Beschäftigungs- und Ausbildungsgarantien gegeben, teils unter Einsatz erheblicher budgetärer Mittel.

Facharbeitskräftemangel

Doch auch dem Rückgang der Zahl der Jugendlichen kommt erhebliche Bedeutung für den Erfolg am Arbeitsmarkt zu. Das gilt in besonderem Ausmaß für den Arbeitsmarkt in Deutschland: Dort ist die Arbeitslosigkeit während der Rezession kaum gestiegen, und nun geht sie sogar merklich zurück. Dazu haben der Einsatz von Kurzarbeit und der Abbau von Urlaubs- und Überstundenbeständen wesentlich beigetragen. In Deutschland geht aber darüber hinaus die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zurück: Sie wird sich von mehr als 49 Mio. Menschen im Jahr 2010 auf nur noch 47,5 Mio. im Jahr 2020 verringern. So entstehen Knappheiten auf dem Arbeitsmarkt, die heute in Medien und Politik vielfach als großes Problem angesehen werden - Stichwort Facharbeitskräftemangel. Der Arbeitsmarkt wird dadurch aber erheblich entlastet. In den 1970er-Jahren wurde eine leichte Arbeitskräfteknappheit daher als Vollbeschäftigung bezeichnet und bildete das wichtigste Ziel der Wirtschaftspolitik.
Ziel einer europäischen Initiative zur Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit müsste es jedenfalls sein, allen Jugendlichen einen Beschäftigungs- oder Ausbildungsplatz zur Verfügung zu stellen. Vor allem die Ermöglichung des Abschlusses einer Erstausbildung ist essenziell, da damit die Grundlage für einen dauerhaften Einstieg in den Arbeitsmarkt geschaffen wird.
Die Erreichung dieses Zieles kostet Geld, zusätzliche Mittel der Europäischen Union sind unabdingbar. Um eine nennenswerte Reduktion der Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen durch Beschäftigungs- oder Ausbildungsprogramme zu erreichen, sind Mittel von mehreren Milliarden Euro pro Jahr notwendig. Das erscheint angesichts der Milliardenbeträge, die bislang von den Staaten an die Banken gegangen sind, ohnehin relativ wenig. Noch dazu, wo es sich bei den arbeitslosen Jugendlichen nicht um die VerursacherInnen, sondern um die Opfer der Finanzkrise handelt.
Kurzfristig können Teile dieser Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) kommen, vor allem die Länder mit dem größten Ausmaß an Staatsschulden und Arbeitslosigkeit müssen die vorhandenen Mittel mit Hilfe der EU besser ausschöpfen. In anderen EU-Töpfen liegt viel Geld, das besser für die drängenden Probleme genutzt werden kann: Etwa im Kohäsionsfonds, im Solidaritätsfonds und den Programmen zur ländlichen Entwicklung, aus denen Mittel zugunsten des Ziels der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit umgewidmet werden können.
Im neuen mehrjährigen Finanzrahmen der EU ab 2014 muss ein spezieller Schwerpunkt für Jugendliche im Rahmen des ESF festgelegt werden, dessen Anteil an den gesamten EU-Mitteln steigen soll. Aber auch neue Einnahmen sollten für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gewidmet werden. Dazu zählen etwa jene aus der Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Ihr Aufkommen wird auf etwa 50 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt. Eine Verwendung der Erträge der Finanztransaktionssteuer zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hätte den besonderen Charme, dass auf diese Weise direkt die VerursacherInnen der Krise für die Opfer derselben zahlen würden.

Zukunftschancen für die Jugend

Mit Investitionen in diesem Umfang könnte die Arbeitslosigkeit generell markant reduziert und für Jugendliche sogar weitgehend zum Verschwinden gebracht werden. So wäre auch die wichtigste Voraussetzung für den Zusammenhalt des europäischen Projektes geschaffen: Zukunftschancen für die jungen Menschen.

Internet:
Jugendarbeitslosenquote
im internationalen Vergleich:
tinyurl.com/84mex6u   
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