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Enormer Sanierungsbedarf Es gibt schlimme AutofahrerInnen oder Kinder, die sich erst an die Regeln halten, wenn man ihnen auf die Finger klopft und Strafen androht. Ähnlich ist das Verhaltensmuster im österreichischen Journalismus.

Enormer Sanierungsbedarf

Schwerpunkt

Das Ungleichgewicht zwischen freien und angestellten JournalistInnen ist groß in Österreich. Die Unternehmen reagieren erst auf Druck von außen.

UnternehmerInnen sind keine SamariterInnen. In der Regel wollen sie Umsätze machen und steigern. Dazu brauchen sie fähige und willige MitarbeiterInnen. Für Medienhäuser und Verlage gilt das genauso. Wäre da nicht eine große Ungleichheit: Freie JournalistInnen übernehmen als freie DienstnehmerInnen die gleiche Arbeit wie ihre angestellten KollegInnen. Keine Redaktion kommt ohne sie aus. Und kaum eine/r der betroffenen Freien muckt auf, sondern sie haben lieber den Spatz in der Hand als die Taube am Dach.

Häufig Umgehungsverträge

"Wir führen zwar ständig Verfahren bezüglich Feststellung von echten Angestelltendienstverhältnissen, die auch fast immer in unserem Sinne entschieden werden, was aber noch nicht zu einer generellen Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Branche geführt hat", erläutert Edgar Wolf, Regionalsekretär der Gewerkschaft der Privatangestellten - Druck, Journalismus, Papier (GPA-djp) für Wien. "Umgehungsverträge sind leider nach wie vor an der Tagesordnung", genauso wie Ausgliederungen und Umstrukturierungen zwecks Flucht aus bestimmten Kollektivverträgen. "Was die sozial- und arbeitsrechtliche Absicherung der Beschäftigten im Bereich Medien/Kommunikation betrifft, herrscht weiterhin enormer Sanierungsbedarf. Weder die Arbeitsbedingungen, noch die Honorare der freien JournalistInnen sind bestens - das war einmal."
Es gibt schlimme AutofahrerInnen oder Kinder, die sich erst an die Regeln halten, wenn man ihnen auf die Finger klopft und Strafen androht. Ähnlich ist das Verhaltensmuster im österreichischen Journalismus, wo der Anteil der Freien - je nach Medium - bis zur Hälfte gestiegen ist und wo die Freien vollwertige Arbeit leisten: Die Betriebe werden von sich aus kaum tätig. Sondern in der Regel passiert nur etwas, wenn die Gewerkschaft und die Krankenkasse Druck machen und einzelne Dienstverhältnisse überprüfen, bestätigt GPA-djp-Vertreter Edgar Wolf. Illegale Arbeitssituationen werden dann erst sukzessive saniert, meist - aufgrund von Nachzahlungen - zuungunsten der Betriebe, anstatt dass sie die Situationen selbst bereinigen.
In der Redaktion der Austria Presse Agentur (APA) wurden seit 2010 nicht weniger als 60 freie MitarbeiterInnen angestellt, mehr als ein Drittel der journalistischen Belegschaft. Die Betriebsratsvorsitzende Andrea Tretter spricht von einem "zukunftsfähigen" Ergebnis. Und sie erinnert sich an ein "ziemlich kräftezehrendes Prozedere" zwischen der Geschäftsführung und dem Betriebsrat. Aufgrund "äußerer Rahmenbedingungen", so Tretter, wurde klar, dass eine Anstellung der Freien unumgänglich geworden war. Mit dem Argument, dass das System der freien MitarbeiterInnen nicht haltbar sei, hätten diese ursprünglich in eine ausgelagerte Tochtergesellschaft übernommen werden sollen, so die Idee der Geschäftsführung. Gerne wäre die Unternehmensleitung damit auch gleich in den für sie günstigeren Kollektivvertrag (KV) für das Gewerbe ausgewichen. Doch in der APA wird der für JournalistInnen wesentlich bessere KV für Tageszeitungen angewendet, der u. a. auch Fragen des InformantInnenschutzes oder des Urheberrechts regelt (die Genossenschaftsanteile der Nachrichtenagentur sind im Besitz der österreichischen Tageszeitungen und des ORF).

Einzigartige Solidarität

Eine Flucht in den Gewerbe-KV lehnten die zahlreichen freien DienstnehmerInnen ebenso wie die angestellten RedakteurInnen denn auch ab. Mehr noch: Angestellte und Freie solidarisierten sich und sprachen sich im Jahr 2009 in einer geheimen Abstimmung zu 93 Prozent sogar für "Maßnahmen des Arbeitskampfes" aus. Diese Solidarität der MitarbeiterInnen ist wohl einzigartig in der österreichischen Medienbranche. Dass der Missbrauch von freien Dienstnehmerverträgen in Österreich immer mehr an die Öffentlichkeit drang, sei eine große Hilfe gewesen, "dass das Ding ins Rollen geriet", sagt Andrea Tretter rückblickend. Natürlich auch dank Unterstützung der GPA-djp.
Denn der Betriebsrat erreichte, dass für die seit dem Vorjahr neu angestellten RedakteurInnen der KV für Tageszeitungen beibehalten wird. Für sie gilt allerdings eine andere Gehaltstabelle, die kostengünstiger für den Arbeitgeber ist. "Dass die KollegInnen weniger verdienen, war starker Tobak", so Andrea Tretter. "Es ging um eine Abflachung der Gehaltskurve bei den älteren MitarbeiterInnen." Dafür wurden zur Vorrückung in den Gehaltsstufen sogenannte "booster" eingebaut, die die Ausbil-dung und bisherige Funktion stärker berücksichtigen. So steigen zum Bei-spiel AbsolventInnen eines Wirtschaftsstudiums als WirtschaftsredakteurInnen schneller in der Gehaltskurve als AbsolventInnen eines geisteswissenschaftlichen Studiums in dieser Tätigkeit.

Mut und Durchhaltevermögen

"Unser Ziel war, die Sache im Haus und am Verhandlungstisch zu lösen", resümiert Betriebsrätin Tretter. "Man kann etwas verändern, wenn man sich zusammenschließt. Aber es braucht Mut und Durchhaltevermögen." Schließlich habe man auf die ungleiche Behandlung lange Jahre hingewiesen, nun sei das problematische Thema "freie MitarbeiterInnen" in der APA durchaus zufriedenstellend gelöst. Im Wirtschaftsverlag dürfte man hingegen noch nicht bei einer zufriedenstellenden Lösung für die Redaktion angekommen sein, auch wenn im Laufe des Jahres ebenfalls eine Handvoll ständig freier MitarbeiterInnen angestellt worden ist. Der Verlag gehört zur Mediengruppe Süddeutscher Verlag, gibt wirtschaftsnahe Fachzeitschriften für Unternehmen (u. a. "die wirtschaft", "Gastro-Zeitung") heraus - und befindet sich gerade in einer Phase der Umstrukturierung. Hinter dem schönen Wort verbirgt sich meist, dass - wie derzeit in fast allen Branchen - Stellen gestrichen werden sollen. Was das für die rund zwei Dutzend RedakteurInnen bedeutet, mag in der Redaktion noch niemand offiziell einschätzen. Auf die ArbeitnehmerInnen-VertreterInnen dürfte aber noch eine harte Zeit zukommen.
Jahrelang für die Anstellung der freiberuflichen KollegInnen in der Steiermark und in Kärnten habe man auch bei der "Kleinen Zeitung" gekämpft, berichtet Claudia Gigler. "Ein Fenster hat sich im Sommer 2010 aufgetan." Die Geschäftsführung sei an die Chefredaktion mit dem Wunsch herangetreten, ein "Arbeitszeitzuckerl aus der Vergangenheit" zur Regelung der Feiertagsdienste abzuschaffen. Im Gegenzug sagte man den Freien zu, sie würden alle bis zum Jahr 2012 angestellt. Zugegebenermaßen sei "eine Anstellungszusage auf lange Zeit nicht so einfach", so Betriebsrätin Gigler. Es habe des "goodwill" von allen drei Seiten - der Geschäftsführung, der Chefredaktion und des Betriebsrates - bedurft, dass innerhalb von drei Jahren 24 KollegInnen sukzessive angestellt werden können. Aber der Zustand sei noch nicht zufriedenstellend, meint Andreas Katzinger, Regionalsekretär der GPA-djp in der Steiermark. Dass immer wieder freie DienstnehmerInnen, oft jüngeren Alters, de facto wie Angestellte arbeiten, sei selbst für die Gewerkschaften ein Spagat: Wer auf eine Anstellung pocht, riskiert, dass auch die Tätigkeit - und damit die Bezahlung - als Freier flöten gehen. "Dann hole ich mir einen anderen jungen Freien", mit dieser erpresserischen Argumentation spielen die ArbeitgeberInnen, so Katzinger. Ein eklatanter Widerspruch ist freilich auch, dass ausgerechnet viele VertreterInnen der sogenannten "vierten Macht" im Staat permanent um ihre Ansprüche fürchten müssen.

Internet:
Das GPA-djp-Netzwerk für Menschen mit Werkvertrag, freiem Dienstvertrag und "neue Selbstständige":
tinyurl.com/62fbgeq
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
heike.hausensteiner@chello.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 
 

Info&News
Tipp:
Das 92-seitige "Handbuch für freie JournalistInnen", herausgegeben von der GPA-djp und der Interessengemeinschaft work@flex, informiert freie DienstnehmerInnen und WerkvertragsnehmerInnen über Fragen zu echtem und freiem Dienstvertrag, neuen Selbstständigen, Sozialversicherungs-Beiträge, Krankengeld, Steuerrecht, Urheberrecht sowie Mindeststandards durch kollektive Vereinbarungen. Das Handbuch kann im Internet gratis heruntergeladen werden.
tinyurl.com/6tgdgma

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