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Nur ein Brandstifter? Nur wenige Tage nach dem Attentat veröffentlichte der österreichische Verfassungsschutz seinen jährlichen Bericht. Für 2010 gibt dieser an, dass von 1.411 erfassten Anzeigen nicht weniger als 1.040 klar dem rechten Lager zuzuordnen sind.

Nur ein Brandstifter?

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Der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik hat im Juli dieses Jahres 77 Menschen getötet - Wurzeln und Hintergründe.

Der Angriff galt nicht nur uns. Es war auch ein Angriff auf die Demokratie und die Offenheit. Utøya wird weiterhin die Insel der Arbeiterjugend und ein Ort für alle Demokraten sein." Kurz nach den Anschlägen von Oslo und auf der Insel Utøya drückte Eskil Pedersen, Vorsitzender der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF, so eine in Norwegen weitverbreitete Stimmung aus. Der Rechtsterrorist Anders Behring Breivik hatte im Juli 2011 nicht weniger als 77 Menschen getötet. 69 Personen davon, größtenteils Jugendliche, richtete er auf der Ferieninsel Utøya regelrecht hin. Weitere acht Personen kamen durch eine Bombe in Oslo ums Leben. Die AUF hatte die Insel 1950 von den Gewerkschaften geschenkt bekommen. Sie galt seit langer Zeit als Symbol für Werte wie Sozialismus, Internationalismus und Solidarität.

Breiviks politischer Hintergrund

Die Sicherheitsbehörden gaben sich angesichts des Massakers völlig überrascht. "Dies ist ein einsamer Wolf, der unter alle unsere Radarsysteme schlüpfen konnte", erklärte die Leiterin des norwegischen Geheimdienstes Janne Kristiansen. Ein Bericht des Sicherheitsdienstes der norwegischen Polizei sah demgegenüber bereits 2010 eine verstärkte Aktivität rechtsextremer Gruppen. Trotzdem lautete die Prognose: keine erhöhte Gefahr. Weitere Recherchen ergaben aber, dass Breivik nicht nur seine Taten bereits seit zehn Jahren plante. Er war auch von 1999 bis 2006 Mitglied der rechten Fortschrittspartei. Zentrale Themen der bei Wahlen bis zu 22 Prozent starken Partei: Eine strikte Asyl- und Einwanderungspolitik und Kampagnen gegen "die Linke", die vor allem mit der politischen Elite, konkret den regierenden Sozialdemokraten gleichgesetzt wird. In seinem Bekennerscheiben benannte Breivik - analog zu den Themen der Fortschrittspartei - den Kampf gegen "Kulturmarxismus" und gegen die "islamische Besiedelung" als Hauptmotive für die Tat. Seine spätere Distanz der Partei gegenüber begründete er nicht ideologisch, sondern vor allem methodisch. Diese Kraft sei ihm insgesamt zu gemäßigt.

Kontext des Terrors

Selbst norwegische Kommentare, welche eine Mitverantwortung der Fortschrittspartei ablehnen, wie jener des Parteienforschers Jo Saglie, räumen ein, dass es zumindest immer wieder einzelne PolitikerInnen gab, "die der Hass-Argumentation von Rechtsextremisten sehr nahe kamen". Genau darin sehen aktive GegnerInnen der Fortschrittspartei den entscheidenden Kontext. Der Täter habe schließlich vor allem aus Hass auf alles Linke gehandelt, erklärte etwa der Vorsitzende der linken Roten Jugend Norwegens (RU) Iver Aastebøl zu den Attentaten. Gerade auch in den skandinavischen Ländern existieren, wie im übrigen Europa, inzwischen etablierte Rechtsparteien. Diese unterscheiden sich zwar in ihren Ursprüngen und im Außenauftritt. Sie haben grundsätzlich aber ähnliche Feindbilder und Themen, Losungen und "Lösungen". Darüber hinaus gibt es zumindest in Schweden seit Jahren eine extrem militante Szene. "Es ist augenscheinlich die Tat eines einzelnen Mannes, aber die Tat hätte auch ohne Kontext nicht funktioniert - diesen Kontext gibt es in allen westeuropäischen Ländern", bringt es der norwegische Politikwissenschafter Knut Heidar auf den Punkt. Dass gerade Österreich keine Ausnahme darstellt, unterstreicht demgegenüber Breivik selbst. Der Attentäter verlinkte sein Schreiben u. a. mit Texten von Elisabeth Sabaditsch-Wolff, die früher Islam-Seminare im FPÖ-Bildungsinstitut geleitet hatte. Ebenso hat sich Breivik mehrfach positiv auf die FPÖ (und das BZÖ) bezogen.

Distanzierung nur unter Krämpfen

Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DOEW) hat die Reaktionen aus diesem etablierten Rechtsextremismus auf das Morden ausführlich dokumentiert. So hielten nicht nur Mario Borghezio, Lega-Nord-Abgeordneter zum Europaparlament, oder der französische Regionalpolitiker Jacques Coutela von der Front National Breiviks Ideen für gut bzw. Breivik selbst sogar für eine "Ikone" im Kampf gegen eine "muslimische Invasion". Auch in Österreich ließ der Kommentar des FPÖ-Abgeordneten Königshofer über einen kritischen Journalisten und dessen Meinung zum Attentat aufhorchen: "Unfassbar, von diesem 'feinen Herrn‘ hat man noch nie etwas von der islamistischen Gefahr gehört, obwohl diese in Europa schon tausendmal öfter zugeschlagen hat." Ähnlich wie die Führungen der anderen großen Rechtsparteien, war allerdings auch die FPÖ-Spitze schnell um möglichst große Distanz zu Breiviks Tat und den relativierenden Stimmen aus den eigenen Reihen bemüht. Werner Königshofer wurde aus der FPÖ ausgeschlossen. Vom dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf abwärts waren allerdings auch die innerparteilichen Unmutsäußerungen über diese Form der Distanzierung unüberhörbar. Nur wenige Tage nach dem Attentat veröffentlichte der österreichische Verfassungsschutz seinen Jahresbericht. Für 2010 gibt dieser an, dass von 1.411 erfassten Anzeigen (580 Tathandlungen) nicht weniger als 1.040 klar dem rechten Lager zuzuordnen sind. Besonders erschreckend: Die seit Jahren steigende Anzahl, wie auch der hohe Anteil an rechten Taten bei denen Gewalt im Spiel ist (weit mehr als ein Drittel). Allerdings: Beziehungen der FPÖ zur rechtsradikalen Szene - wie sie sogar der deutsche Verfassungsschutz aufgegriffen hat - fehlen im österreichischen Bericht. Peter Gridling, Leiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, erklärt dies ganz einfach damit, dass die FPÖ eine demokratisch gewählte Partei sei. Selbst für den bereits erwähnten Werner Königshofer, dessen Verbindungen zur militanten "Alpen-Donau.info" 2011 von einem Wiener Gericht bestätigt wurden, negiert die Behörde Zusammenhänge beharrlich. Innenministerin Mikl-Leitner erblickt zudem weiter in islamistisch motivierten Straftaten das wesentliche Gefahrenpotenzial. Im Bericht ihrer Behörde wird für solche Straftaten allerdings nur ein verschwindend geringer Umfang angegeben.

Diskussion hat erst begonnen

In Norwegen ist demgegenüber eine breite und zum Teil ganz andere Diskussion ausgebrochen. Nicht zuletzt angesichts der Versäumnisse des Sicherheitsapparates hat sich die offizielle Politik jeder polemischen Debatte über neue Polizeigesetze enthalten. Genau darin sehen viele Kommentare übrigens auch einen wesentlichen Grund für die Geschlossenheit, welche Bevölkerung und Politik zumindest nach dem Attentat ausstrahlte. Ebenso unübersehbar ist allerdings auch die Frage nach den Bruchlinien in der als wohlhabend und sozial geltenden norwegischen Gesellschaft als ein möglicher Nährboden des Terrors. Dass weder die Verbrechen Breiviks noch die bisherige Stärke der Fortschrittspartei auf die Existenz von knapp drei Prozent EinwohnerInnen mit moslemischem Hintergrund zurückzuführen sind, scheint dabei auf der Hand zu liegen. Vielmehr gibt es auch in Norwegen Diskussionen um Verteilungsfragen und den Abbau sozialer Leistungen. Konsensbeschlüsse, welche (Regierungs-)Parteien und Gewerkschaften hier z. B. über eine Rentenreform erwirkt haben, entsprechen keineswegs immer der Stimmung in der Gesellschaft bzw. rissen und reißen bisher unbekannte Gräben auf. Selbst bei den jetzt knapp nach dem Attentat durchgeführten Kommunalwahlen drückte die Enthaltung von einem Drittel der Wahlberechtigten eine weiter bestehende Skepsis gegenüber der etablierten Politik aus. Gleichzeitig hat Breiviks Tat tatsächlich viele Menschen wachgerüttelt; allerdings nicht so wie der Attentäter es beabsichtigte. Das aktive politische Engagement ist vor allem vonseiten der Jugendlichen in den vergangenen Wochen und Monaten deutlich gestiegen. Während die rechte Fortschrittspartei eine deutliche Wahlschlappe hinnehmen musste, verzeichnen linke und gewerkschaftliche Organisationen, insbesondere der Jugendverband AUF, eine regelrechte Welle von Neubeitritten.

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Auszug aus Wikipedia:
Unter dem Pseudonym Andrew Berwick stellte Breivik einen über 1.500-seitigen Text mit dem Titel 2083: A European Declaration of Independence (2083: Eine Europäische Unabhängigkeitserklärung) zusammen, und versandte ihn kurz vor den Anschlägen an 1.003 E-Mail-Empfänger. In der auf Englisch verfassten Schrift, deren Titelseite das Kreuz des Templerordens zeigt, ist von einer Bedrohung Europas durch "Multikulturalisten, Kulturmarxisten [...] und kapitalistische Globalisten" zu lesen. Den Begriff Kulturmarxismus, den er oft synonym für den Multikulturalismus verwendet, stellt er dabei drei sogenannten "Hassideologien" an die Seite, die zu bekämpfen seien: den Nationalsozialismus ("anti-jüdisch"), den Kommunismus ("anti-individuell") und den Islam. Der Titel des Pamphlets bezieht sich auf die Schlacht am Kahlenberg 1683  und die amerikanische Unabhängigkeitserklärung.

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