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Fakten statt Hetze AusländerInnen nehmen uns die Arbeitsplätze weg und zerstören den Sozialstaat. Krimineller als ÖsterreicherInnen sind sie sowieso. Diese Behauptungen hat fast jeder schon einmal gehört oder gelesen - am Stammtisch, in Reden, auf den Leserbriefseiten...
Buchtipp

Fakten statt Hetze

Schwerpunkt

Das "Handbuch gegen Vorurteile" entkräftet Stammtischargumente von der Auschwitzlüge bis zum Zuwanderungstsunami.

AusländerInnen nehmen uns die Arbeitsplätze weg und zerstören den Sozialstaat. Krimineller als ÖsterreicherInnen sind sie sowieso. Diese Behauptungen hat fast jeder schon einmal gehört oder gelesen - am Stammtisch, in PolitikerInnenreden und Wahlkampfveranstaltungen, auf den Leserbriefseiten kleinformatiger Zeitungen oder in diversen Internet-Foren. Andere Botschaften hört und liest man dort nie: Dass AusländerInnen in Österreich beispielsweise keineswegs ungebildet, sondern viel häufiger Doktoren oder Magister sind als "einheimische" ÖsterreicherInnen. Oder dass sie in den österreichischen Sozialstaat mehr einzahlen, als sie an Geldleistungen beziehen. Mit diesen und ähnlichen Themen beschäftigt sich das "Handbuch gegen Vorurteile", das diesen November im Czernin-Verlag erscheint. Die beiden AutorInnen Nina Horaczek, Politikredakteurin der Stadtzeitung Falter, und der Rechtsanwalt Sebastian Wiese überprüfen anhand offizieller Statistiken und wissenschaftlicher Studien den Wahrheitsgehalt von Mythen, die am Stammtisch ebenso blühen wie im Plenarsaal des Parlaments.

Wer nimmt uns Arbeitsplätze weg?

Das "Handbuch gegen Vorurteile" möchte einen Beitrag zur Versachlichung der abdriftenden politischen Debatte in Österreich leisten: Fakten statt Hetze lautet das Motto. Das Handbuch beschäftigt sich neben Vorurteilen gegen AusländerInnen auch mit Mythen über AsylwerberInnen, die EU, den Islam und mit Geschichtsverharmlosungen zum Nationalsozialismus. Denn in vielen Fällen gründen Vorurteile auf allzu simple Rechnungen. So seien zum Beispiel dreimal mehr AusländerInnen als InländerInnen in Österreich arbeitslos gemeldet. Würde der Staat die AusländerInnen des Landes verweisen, hätten automatisch alle ÖsterreicherInnen Arbeit, behaupten manche PopulistInnen.
Was sie dabei übersehen: Selbst wenn AusländerInnen dem Jobprofil einer Stellenausschreibung voll entsprechen, können sie einem/r arbeitslos gemeldeten ÖsterreicherIn keinen Job wegnehmen. Dafür sorgt das "Ersatzkraftverfahren", das InländerInnen bevorzugt: Bevor das Arbeitsmarktservice AusländerInnen eine Stelle anbieten darf, muss es diesen Arbeitsplatz qualifizierten, arbeitslos gemeldeten ÖsterreicherInnen anbieten. Nur wenn ein/e ÖsterreicherIn ablehnt, kann ein/e arbeitslose AusländerIn vermittelt werden. ÖsterreicherInnen den Job "wegschnappen" können höchstens EU-BürgerInnen. Im Gegenzug sind allerdings österreichische Arbeitsuchende, die in Berlin, Paris oder Madrid einen Job suchen, den dortigen StaatsbürgerInnen ebenfalls gleichgestellt. Falsch ist übrigens auch die Behauptung, dass es keine Arbeitsplätze gebe, weil schon alle Jobs von AusländerInnen besetzt sind. Im Jahr 2010 gab es bei uns durchschnittlich 69.100 offene Stellen - trotz AusländerInnen in Österreich.
Österreich hat ArbeitsmigrantInnen auch nicht angeworben, damit diese den ÖsterreicherInnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Sie füllten bloß Lücken in jenen Bereichen, aus denen sich heimische Arbeitskräfte verabschiedet hatten. Bis heute hat sich daran wenig geändert: ErntehelferInnen zum Beispiel verdienen brutto sechs Euro pro Stunde. Landwirte berichten, dass sie keine ÖsterreicherInnen finden würden, die für diesen Stundenlohn einen derart anstrengenden Job verrichten würden. Ohne ausländische Arbeitskräfte wäre die Ernte auf Österreichs Feldern zu marktfähigen Preisen nicht möglich. Trotzdem hält sich hartnäckig der Glaube, dass AusländerInnen Schuld an der Arbeitslosigkeit tragen. Einer von der Kronen Zeitung zitierten Studie folgend, glauben 47 Prozent der ÖsterreicherInnen, dass ihnen AusländerInnen die Arbeitsplätze wegnehmen würden. Das zeigt: Auf überprüfbaren Fakten basierende Aufklärung tut not.
Ähnlich ist die Lage bei der Ausländerkriminalität. Immer wieder hört man selbst von grundsätzlich weltoffenen Personen, dass die höhere Kriminalitätsrate unter MigrantInnen ein Faktum sei, das sich statistisch belegen lasse. Immerhin wären in den vergangenen Jahren etwa 30 Prozent aller strafgerichtlich Verurteilten keine ÖsterreicherInnen gewesen: Der Anteil an AusländerInnen ist also dreimal höher als der Anteil von AusländerInnen an der österreichischen Wohnbevölkerung. Sind in Österreich lebende AusländerInnen damit dreimal krimineller als ÖsterreicherInnen? Wer die Kriminalitätsstatistik so interpretiert, interpretiert sie falsch. Denn diese Interpretation ignoriert mehrere Verzerrungsfaktoren, die sich alle zulasten der AusländerInnen auswirken.

Sind AusländerInnen krimineller?

Zunächst differenziert die Statistik nicht zwischen TouristInnen, durchreisenden AusländerInnen und jenen, die zwar keinen österreichischen Pass haben, sich aber legal bei uns niedergelassen haben. Die beiden erstgenannten Gruppen fließen zwar in die Kriminalitätsstatistik ein, nicht aber in den Anteil der AusländerInnen an der österreichischen Wohnbevölkerung. Schon wenn man diesen Umstand berücksichtigt, gleicht sich die Kriminalitätsrate von ÖsterreicherInnen und in Österreich lebenden AusländerInnen an. Denn etwa zwei Drittel der verurteilten AusländerInnen hielten sich nur kurzfristig in Österreich auf. Auch müssen bei der Kriminalitätsbelastung soziale Faktoren berücksichtigt werden. Wo Armut herrscht, steigt die Wahrscheinlichkeit, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.  Auch ÖsterreicherInnen weisen unter schlechterer sozialer Absicherung eine höhere Kriminalitätsrate auf. Selbst in Vollzeit beschäftigte MigrantInnen verdienen durchschnittlich nur 84 Prozent des Jahreslohnes von ÖsterreicherInnen, sind also auch häufiger ärmer als ein/e DurchschnittsösterreicherIn. Das wirkt bei einem direkten Vergleich der Kriminalitätsraten verzerrend zulasten der AusländerInnen.
Schließlich muss, wer solche Zahlen objektiv analysieren will, auch die soziodemografische Struktur des Samples betrachten: Die ausländische Bevölkerung ist statistisch gesehen nicht nur um einiges jünger als die DurchschnittsösterreicherInnen, sie weist auch einen höheren Männeranteil auf. 23 Prozent der AusländerInnen, die in Österreich leben, aber nur 17 Prozent der ÖsterreicherInnen sind zwischen 20 und 40 Jahre alt. Zahlreiche Studien haben nachgewiesen, dass die Gruppe der Männer zwischen 20 und 40 besonders häufig mit dem Gesetz in Konflikt kommt - und das ganz unabhängig davon, welchen Pass diese jungen Männer besitzen. Auch hier wirkt die grobe Statistik also zum Nachteil der AusländerInnen.
Berücksichtigt man alle Faktoren, gleicht sich die Kriminalitätsrate von in Österreich lebenden AusländerInnen an jene der InländerInnen an. Die Behauptung, dass AusländerInnen dreimal krimineller als ÖsterreicherInnen seien, ist also falsch - auch wenn die statistischen Rohdaten auf den ersten Blick einen anderen Eindruck vermitteln.
Insgesamt überprüft das "Handbuch gegen Vorurteile" detailliert über fünfzig Behauptungen und Mythen von "Auschwitzlüge" bis "Zuwanderungstsunami" anhand zahlreicher seriöser Quellen auf ihren Wahrheitsgehalt. So erfährt man beispielsweise, dass die AkademikerInnenquote unter AusländerInnen um sechs Prozentpunkte höher ist als unter "echten" ÖsterreicherInnen. Oder dass in Österreich lebende Türkinnen im Durchschnitt 2,43 Kinder gebären, heimische Bäuerinnen aber im Schnitt auf 2,5 Kinder kommen. Und auch, dass im Jahr 2008 ÖsterreicherInnen 89,3 Prozent aller Sozialbeiträge zahlten und 93,8 Prozent der monetären Sozialleistungen bezogen, während AusländerInnen aus Drittstaaten außerhalb der EU (also die "klassischen GastarbeiterInnen") zwar das Sozialsystem zu sechs Prozent finanzierten, aber nur 3,7 Prozent der Geldleistungen daraus erhielten. Wer sich nicht mit Parolen zufrieden geben will, findet im "Handbuch gegen Vorurteile" Zahlen und Fakten zu nahezu jedem Detail der laufenden Ausländerdebatte. Die Lektüre dieses Handbuchs versetzt die LeserInnen in die Lage, künftig nicht beklemmt schweigen zu müssen, sondern aktiv und faktenunterstützt plump dahergesagten Vorurteilen entgegenzutreten und diese entkräften zu können.

Internet:
Mehr Infos im GPA-djp-Blog:
tinyurl.com/d9jpjgr
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