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Kontaktquelle Dornbach-Neuwaldegg hinkt ein wenig nach, zwar gibt es neue Restaurants und ein kleines Café statt Tankstelle und Installateur, doch der Quell der Vernetzung scheint verdorrt.
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Kontaktquelle

Schwerpunkt

Facebook & Co. sind eine gigantische Global-Bassena. Sozialer Austausch, Vernetzung und Vernaderei gedeihen auch vor der Welt-Web-Wasserstelle prächtig.

Hilda hatte immer Neues zu berichten. Nicht immer Gutes, doch frisch von der Quelle. Dafür reichten zwei Schritte aus der Kuchl-Kabinett-Wohnung in Gersthof. Noch heute ist die historische Bassena im Erdgeschoß in Betrieb, doch die schwergewichtige Amper, eine emaillierte Wasserkanne, befüllt heute niemand mehr. Hilda, Jahrgang 1906, war die letzte Mieterin, die kein fließend Wasser in der Wohnung hatte und es hartnäckig verweigerte. Der aufkommende Wohlstand ihrer Nachbarn besiegelte den Niedergang des geliebten Bassenatratsches - wer sich ein Badezimmer leisten konnte, verzichtete gerne auf Lavoir und Besuche im nahen Tröpferlbad in der Klostergasse. Doch die Bassena dient auch heute noch dem verbalen Austausch. Die Bassena im Stuwerviertel, Wien-Leopoldstadt, ist ein Kommunikationszentrum, das für alle Menschen offen ist und besonders Jugendliche unterstützt. Miteinander sprechen, einander helfen, Zukunft schaffen: www.bassena2.at 

Kontaktbörse Parkbank

Beinahe allein an der Bassena, bald darauf die Einzige beim Kohlenschleppen aus dem Keller. Was Hilda blieb, war zum einen der praktische Arzt im Haus, wo sich ohnehin das halbe Gersthofer Grätzel wiederfand. Zum anderen wohnte vis- à-vis die Hausbesorgerin, in deren Souterrain-Wohnung noch weniger Licht als in die Hildas drang. Zumindest Jelena bediente sich der Bassena noch für ihren Putzeimer und wusste als sprudelnder Quell zu berichten, womit andere HausbewohnerInnen ihren Tag und ihre Nacht verbracht hatten. Als ergiebige Kontaktbörse erwies sich immer wieder aufs Neue die Parkbank. Türkenschanz-, noch lieber Joseph-Kainz-Beserl-Park. Hilda hat immer Leute kennengelernt: Menschen, die ihr nach dem Krieg halfen, Grätzel-Nachbarn, die ihre harte Fließbandarbeit in der Radiofabrik zu schätzen wussten und sie politisch motivierten.

Netzwerker Fred Duval

Freunde wie Fred Duval, Jahrgang 1928, der ab 1952 bei der Gewerkschaftspresse werkte - z. B. im "Gemeindebediensteten" - und von 1967 bis zu seiner Pensionierung 1989 als Chefredakteur der "Arbeit&Wirtschaft" wirkte. Der Gewerkschafter aus Leib und Seele hat zeitlebens der groß angelegten Vernetzung gehuldigt. "Mein Vater war ein offener Mensch, der auf jeden zugegangen ist und auch Leute einfach auf der Straße angesprochen hat", erzählt seine Tochter Evelyn Duval. "Er war voller Empathie. Das ist das erste Netzwerk, da beginnt es", weiß die Hebamme. Fred (korrekt Gottfried) Duval setzte gekonnt auf die Vermischung der Generationen und das "Aufbrechen der Herkunftsfamilie". Jahrzehnte sozial im Grätzel unterwegs: "Für ihn zählten Freunde genau so viel wie die Familie. Nicht bloß die Geschäfte in Gersthof dienten der Vernetzung, mein Vater hat seine Zeitungen auch stets beim gleichen Zeitungskolporteur gekauft und viel mit ihm geredet." Ein Erbe, das Duvals Enkel Theodor immer noch pflegt. Die Leute zusammenzubringen, war oberste Maxime des Menschenfreundes. Gelungen ist das Fred Duval (2001 verstorben) auch bei zahlreichen Betriebsausflügen. Ein kleiner Kosmos, den die Duvals zu genießen wussten, ist das Gänsehäufel - wie viele Wiener Bäder ein Ort der seichten Geschwätzigkeit, die schnell in langjährige Bekanntschaften münden kann. Zumal Kabanen-BesitzerInnen wie SchrebergärtnerInnen sich auch gerne in Gestaltungsfragen austauschen.

Die kleinen Strukturen

Rund 70 Jahre ihres Lebens stellte sich Nachbarin und Familienfreundin Hilda regelmäßig für einen Stehplatz in der Wiener Staatsoper an, Fred und Ruth Duval dagegen liebten das Theater - gemeinsam teilten sie die Liebe zur Kultur, die günstig war und die Menschen zueinander brachte. "Nach dem Tod meiner Eltern habe ich die Abos für das Volkstheater in den Außenbezirken übernommen. Wenn du jahrelang am gleichen Platz sitzt, kennst du alle Leute", sagt Evelyn Duval. "Die kleinen Strukturen sind das Wichtigste, im Großen gehen die Menschen oft unter."

Kommunikationsquelle Greißlerei

Nicht anders als Gersthof funktionierte das Nachbardorf jenseits vom Schafberg. Noch bis Anfang der 1980er-Jahre kannte jeder die Milchfrau, eine winzige Greißlerei in Dornbach-Neuwaldegg. Mutter und Tochter, die erstere winzig, knochig und immer schon alt, die andere dickleibig, rotwangig und gemütlich, verkauften in weißen Schürzen, vor hohen weißen Vollholzregalen vom Klopapier bis zur Wurstsemmel einfach alles. Kostenlose Beigabe waren Neuigkeiten aus dem Dorf, das keines war und doch so funktionierte. Die beiden Milchfrauen sind schon 30 Jahre Geschichte, das Greißlersterben wird etwa ebenso lange beweint. Mit der Diskonter-Kassiererin ist nicht gut tratschen, nicht anders ist es bei schweißtreibender Akkordarbeit zu erwarten. Wider sterbender Nahversorger und versiegender Kommunikationsquellen: Die BewohnerInnen des Orts Kaltenberg im Mühlviertel (Oberösterreich) haben 2011 "Unser G’schäft" gegründet (Verein "Liebenswertes Kaltenberg"), viel investiert und Vernetzung, wie sie nicht besser sein kann, vorgelebt. Großes gelingt auch in Wien-Rudolfsheim: Hier wird der Schwendermarkt mit www.samstaginderstadt.at neu belebt, bespielt und als Vernetzungsplattform für jeden Menschen angeboten. Dornbach-Neuwaldegg hinkt ein wenig nach, zwar gibt es neue Restaurants und ein kleines Café statt Tankstelle und Installateur, doch der Quell der Vernetzung scheint verdorrt. Die Trafikantin ging an einem Stock, tief gekrümmt von Morbus Bechterew fütterte sie die Dornbacher in der Andergasse mit Tabak, Zeitungen und gutem Rat. Außerdem nährte sie den Dachs, was nicht jeder Nachbar guthieß. Geliebt wurde die Trafikantin trotzdem. "… Die Gelbe Straße ist die Straße der Lederhändler in der Wiener Leopoldstadt, Anfang der 1930er-Jahre. Da ist die Trafik, wo es Tabak und Zeitungen gibt und Tratsch ausgetauscht wird - neidisch, missgünstig, lüstern … Das Tabakgeschäft ist jeden Morgen der Treffpunkt aller Bewohner der Gelben Straße ..." (aus "Die Gelbe Straße", Veza Canetti). Oder: "Die Trafik besitzt nach wie vor gesellschaftliche Funktionen und ist der Ort, an dem sich die Menschen trafen, ein Zentrum der Kommunikation. 'Beim Tabakkrama kommen d’Leut z’samma‘ besingt das Pfeifenkramerlied. Beim Tabakkramer erfuhr man stets das Neueste …" (aus Diplomarbeit "Rauchen in Österreich nach 1945 - Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur", Melanie Baumgartner, Wien, 2009; zu lesen unter  Der Dornbacher Tabakkramer ist längst geschliffen und einem Neubau gewichen, das Papiergeschäft hat vergangenes Jahr für immer seine Türen geschlossen.
Händlerin "Nossy", die zuletzt sogar Wäsche übernahm, ist tot. Generationen haben zum Ausklang der Volksschule erst Schillinge, dann Euro in Gummischlangen, Brausepulver und Wundertüten verpulvert, Erwachsene kopierten, ließen putzen und ersparten sich den Papierdiskonter, weil "Nossy" so vieles zu berichten wusste, ohne eine Tratschen zu sein und die Dornbacher zusammenhielt

Vernetzung beim Sportklub

Doch eine Institution, die vereint und glücklicherweise selten bis zur Gewalt trennt, bleibt Dornbach erhalten. Der Wiener Sportklub gleich beim Friedhof und nächst dem Spital. Er gehört zu den ältesten Sportvereinen Österreichs, bringt Junge und Alte, Männer und Frauen zusammen. Und jene Nachbarn, die sich bloß aus den Fenstern und Balkonen lehnen müssen, um die Fußballspiele hautnah zu verfolgen. Dafür braucht es kein Worldwideweb.
Gewerkschafter Fred Duval hat die hautnahe, direkte Kommunikation stets vorwärtsgetrieben, doch altmodisch und der Zukunft verschlossen war der Gewerkschafter nie. Zu seiner Pensionierung bekam er einen Computer geschenkt. "Mein Vater war ein Computer-Freak und hätte Facebook geliebt", ergänzt Evelyn Duval, die ihm in diesem Punkt nicht folgen will. Sie lebt "fast ohne Strom", sagt Duval, ist trotzdem perfekt vernetzt. Freilich auch dank eines Mobiltelefons, denn schließlich muss eine Hebamme gut erreichbar sein.

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