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Netzwerke des Bösen? So behauptet etwa David Icke seit vielen Jahren, dass eine intelligente Reptilienrasse die Welt beherrsche. Dass er nicht als Verrückter abgetan werden kann, unterstreicht dessen Behauptung, dass diese Wesen und Juden etwas miteinander zu tun haben.

Netzwerke des Bösen?

Schwerpunkt

Gerade im Internet haben Verschwörungsmythen immer Saison, wie auch das Bekennerschreiben des norwegischen Terroristen Breivik beweist.

Seit 1994 hat das Böse einen Namen: Bielefeld. Die Stadt in Nordrhein-Westfalen existiert nämlich in Wahrheit gar nicht. Vielmehr ist ihre Erfindung Teil einer großangelegten Weltverschwörung. Hinter dieser stecken wahlweise der CIA, der Mossad oder Außerirdische. Im Gegensatz zu vielen anderen Verschwörungsmythen ist der Urheber der "Bielefeldverschwörung"  bekannt. Achim Held hat selbige 1994 als Partyscherz kreiert und erlangte damit, auch über die Grenzen der Bundesrepublik hinaus, Bekanntheit.

Ernstgemeinte Verschwörungsbilder

Bereits ein schneller Blick ins Internet zeigt demgegenüber, dass die Satire einmal mehr von der Realität geschlagen wird. So behauptet etwa ein gewisser David Icke seit vielen Jahren, dass eine intelligente Reptilienrasse die Welt beherrschen würde. Dass Leute wie Icke nicht einfach als Verrückte abgetan werden können, unterstreicht nicht nur dessen Behauptung, dass diese Wesen und Juden etwas miteinander zu tun haben.
Insbesondere am rechten Rand blühen verschiedene Verschwörungsthesen. Aktuell beliebt ist etwa die Behauptung, dass eine kleine mächtige Gruppe mittels Migration die Gesellschaft bewusst unterwandern wolle. Solche und ähnliche Erklärungsmuster füllen die rechten Internetforen, zu deren KonsumentInnen nicht zuletzt auch der Terrorist Anders Behring Breivik gehörte. Doch nicht nur Breiviks Bekennerschreiben war gespickt von verschiedenen Verschwörungsmythen. Nach den Anschlägen von Norwegen beantworteten einige von Breiviks Lieblingsbloggern die Frage nach dem "Warum" ebenfalls mit wüsten Spekulationen. Der Terrorist sei von Islamisten zu seinen Taten aufgestachelt worden, heißt es etwa auf  Jihaddwatch.org. Andere betonen seine Mitgliedschaft bei einer Gesellschaft Namens Johannisloge. Zu Recht stellt die deutsche Zeitschrift "Der Spiegel" für dieses geistige Umfeld insgesamt ein "Weltbild der Verschwörung" fest.

Phänomen Verschwörungsmythen

Hunderte Foren und einschlägige Publikationen mit Millionenauflagen zeigen, dass es sich bei sogenannten "Verschwörungstheorien" um ein echtes  Massenphänomen handelt. Studien des US-Soziologen Ted Goertzel haben bereits vor mehreren Jahren ergeben, dass mehr als die Hälfte der jeweils befragten Personen zumindest eine "Verschwörungstheorie" für glaubwürdig hielt. Doch nicht nur solche Umfragen, ob Lady Di ermordet oder die Mondlandung von der NASA inszeniert wurde, ergeben regelmäßig erstaunlich hohe Zustimmungswerte. Wohl jeder der als Erwachsenenbildner historische und aktuelle Themen behandelt, oder sich als aktiver Gewerkschafter am berühmten Stammtisch umhört, wird feststellen, welche Macht den Illuminaten, Freimaurern oder schlicht der "Ostküste"  zugeschrieben wird. Was in diesem Sinne umgangssprachlich als "Verschwörungstheorien" zusammengefasst wird, bezeichnet man wissenschaftlich als Verschwörungshypothesen bzw. Verschwörungsideologien. Erstere beziehen sich auf einzelne, meist umstrittene oder ungeklärte Ereignisse wie den Mord an John F. Kennedy.
Letztere erklären den Verlauf der gesamten Weltgeschichte über die zentrale Steuerung einer relativ kleinen Gruppe, die meist im Geheimen wirkt. In beiden Fällen gilt, dass nicht die Wirklichkeit Ausgangspunkt der jeweiligen Erklärung ist, sondern bloße Annahmen und Dogmen.  Diese werden in der Praxis so dargestellt, dass sie weder überprüfbar noch korrigierbar sind. Genau aus diesem Grund ist wissenschaftlich betrachtet der Begriff "Theorie" unangebracht.

Sündenböcke gesucht und gefunden

Bereits im Mittelalter wurden mit den angeblichen Werken von "Ketzern" und (religiösen) Randgruppen Seuchen und Naturkatastrophen erklärt. Kirche und Adel fungierten hierbei als ideologischer Motor. Während der französischen Revolution standen demgegenüber zwar plötzlich auch die (ehemals) Herrschenden im Zentrum von Verschwörungsthesen. Seit dem 19. Jahrhundert ist dieses Themenfeld allerdings wieder fest in der Hand rechter Strömungen.
Konservative Ideologen überhöhten im Kontext mit der Politik der Restauration nach dem Wiener Kongress, konspirativ wirkende demokratische Kleingruppen zu "Alleinschuldigen" für revolutionäre Gefahren. Neben den Freimauern galt diese Zuschreibung insbesondere für den Bund der Illuminaten, dem man praktisch die Verantwortung für die gesamte französische Revolution überstülpte. Von Frankreich ausgehend wurde in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts schließlich nicht nur die Rassentheorie entwickelt, sondern auch die Freimauerei zur jüdischen Organisation erklärt. Mit den "Protokollen der Weisen von Zion" schuf Anfang des 20. Jahrhunderts wahrscheinlich der Geheimdienst im zaristischen Russland einen der wirkungsmächtigsten Verschwörungsmythen. Im Kontext mit der russischen Revolution 1917 konstruierten rechtsextreme Kreise in der Folge die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung - und damit u. a. die ideologische Basis für den Nationalsozialismus.

Krisenzeiten - Verschwörungszeiten

Der Berliner Geschichtsprofessor Wolfgang Wippermann hat die gängigsten Behauptungen und Muster erst unlängst wieder beschrieben und gegenübergestellt. So kursieren etwa die "Protokolle der Weisen von Zion" bis heute in der Gedankenwelt der Verschwörungsideologen; etwa um die Anschläge vom 11. September zu erklären. Wippermann holt bei der Analyse solcher Kontinuitäten sehr weit aus, wenn er diese letztlich auf ein zwischen "Gut" und "Böse" vereinfachendes Weltbild zurückführt.
Insbesondere hebt er hier nämlich die Existenz des Teufels in den großen Religionen hervor bzw. die Verfolgung ("Verteufelung") seiner vermeintlichen AnhängerInnen als Hexen oder Ketzer. Zuzustimmen ist Wolfgang Wippermann freilich in jedem Fall, wenn er die gesellschaftliche Funktion von Verschwörungsideologien anspricht: "Krisenzeiten sind Verschwörungszeiten." Gemeint sind damit sowohl Kriege, Naturkatastrophen und ökonomische Krisen als auch (daraus oft resultierende) geistige Orientierungslosigkeit. Es verwundert somit nicht, dass gerade in einer komplexen, globalisierten Welt, mit ihren zahlreichen Krisenherden, Verschwörungsthesen gerne angenommen werden.

Bildungsarbeit gegen Mythen

Verschwörungsideologen haben zweifellos auch die neuen medialen Möglichkeiten der Darstellung  ihrer Thesen gut genutzt.  Schnelle Verbreitung, seriöse Form und niedrige Eintrittsschwellen in die Welt der "Eingeweihten" durch das Web 2.0 bedeuten hier neue Spielfelder für alle AkteurInnen. Die inhaltlichen Herausforderungen im Umgang mit derartigen Erklärungsmustern sind demgegenüber keineswegs neu.
Erstens stellt sich die Frage, ob Verschwörungsmythen in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit genügend Raum finden bzw. ihnen eben auch mit der notwendigen, medialen Technik begegnet wird. Zweitens erscheint es selbst für an sich rational bzw. fortschrittlich denkende Menschen zuweilen bequem, sich im Umgang mit komplexen Fragen auf bestimmte Mythen zurückzuziehen. Das gilt beispielsweise wenn die Globalisierung als reines Machwerk einer gut vernetzten, kleinen Gruppe dargestellt wird. Doch Unternehmerverbände, Lobbyisten und gekaufte PolitikerInnen sind - wie auch die Geschichte der Gewerkschaften beweist - nicht allmächtig. Sozioökonomische Prozesse unterliegen vielmehr Wechselwirkungen und Widersprüchen bzw. eben auch erfolgreichen Widerständen.

Unzufriedenheit aufgreifen

Darüber hinaus ist noch ein weiterer Punkt festzuhalten: Die bereits erwähnten US-Studien Goertzels haben auch ergeben, dass unzufriedene Menschen eher an Verschwörungen glauben als zufriedene.
Aktive Gewerkschaften, die bestehenden Unmut aufgreifen und z. B. in Richtung des gewerkschaftlichen Protests kanalisieren, können somit einen wesentlichen Beitrag leisten, um den Nährboden für Verschwörungsideolog(i)en auszutrocknen.

Internet:
Breiviks Lieblings-Blogs.
Weltbild der Verschwörung
tinyurl.com/44mrfq3
Satire Bielefeldverschwörung
www.diebielefeldverschwörung.de 
Ted Goertzel, Conspiracy theories in science
tinyurl.com/2b7ndd7

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