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Schon überzuckert? Milchschnitte, übrigens von Foodwatch zur Werbelüge des Jahres gekürt, und Frucht zwerge etc. bedienen sich eines einfachen Tricks, um bei den KonsumentInnen anzu kommen: Sie geben vor, sehr gesund für Kinder zu sein!

Schon überzuckert?

Schwerpunkt

Zucker versüßt uns das Leben und macht es bitter für viele, die an seiner Gewinnung arbeiten. Doch auch seine süße Seite ist für viele ein Problem.

Seit Zucker billig, in schier unbegrenzter Menge verfügbar ist, zeigt er auch den KonsumentInnen seine bittere Seite. So gerne wir uns das Leben ab und zu versüßen: Zucker hat auch bittere Seiten. Historisch und ernährungsphysiologisch.
Zucker war eines der ersten globalen Produkte. Der Name kommt aus dem Sanskrit und die Inder waren es auch, die der Überlieferung nach das erste Zuckerrohr anbauten. Der erste Zucker, wie wir ihn kennen, wurde etwa um das Jahr 1000 nach Europa gebracht und diente da nicht etwa zum Süßen der Speisen, sondern als exklusive Medizin und als kostbares Gewürz. Wie wertvoll Zucker war, zeigt ein Preisvergleich: Im Spätmittelalter hatte ein Kilogramm Zucker den Wert von 100 kg Weizen.

Zuckerrohr aus Übersee

Der Anbau des Zuckerrohrs verlagerte sich allmählich vom Osten in den Westen und die Mengen steigerten sich nach und nach. Dank der massenhaften Herstellung in Übersee konnte der Zucker im 16. Jahrhundert das traditionelle Süßungsmittel Honig verdrängen. Etwa gleichzeitig kamen süße Desserts wie kandierte Früchte, Konfekt und Marzipan in Mode und die neuen Modegetränke Tee, Kaffee und Kakao wurden vornehmlich süß getrunken. Das hatte zur Folge, dass schlechte Zähne zu einem weitverbreiteten Phänomen der Oberschicht wurden. Doch neben den schwarzen Zähnen der europäischen Oberschicht schadete der Zuckerboom vor allem jenen, die ihn herstellten. Die Produktion des Zuckers ruhte auf zwei Säulen: auf Großgrundbesitz und Sklavenarbeit auf den Plantagen Amerikas. Von den zwölf Mio. AfrikanerInnen, die zwischen dem 16. und dem 19. Jahr hundert in die Neue Welt verschleppt wurden, kamen fast zehn Mio. auf die Zuckerrohrfelder Mittel- und Südamerikas. 1747 entdeckte der Deutsche Chemiker Andreas Sigismund Marggraf das Potenzial der heimischen Runkelrübe, doch erst die Kontinentalsperre Napoleons machte die Produktion heimischen Zuckers profitabel. Damit stieg auch auf dem Kontinent der Zuckerkonsum langsam aber stetig an. Darüber hinaus hob die Züchtung der heute bekannten Zuckerrübe aus der Runkelrübe durch Franz Carl Achard, einem Schüler von Andreas Sigismund Marggraf, die Ausbeute an Zucker und somit auch die Profite jener, die ihn produzierten. Bereits 1801 entstand Europas erste Zuckerfabrik. Zucker war somit auch eines der ersten Lebensmittel, das industriell hergestellt wurde. Bis heute ist die Produktion von Zucker in der Europäischen Union hoch subventioniert und schafft zahllose Probleme vor allem in Entwicklungsländern.
819 Mio. Euro an Steuergeldern fließen jährlich an sechs große Zuckerproduzenten innerhalb der EU, damit diese nicht benötigten Zucker exportieren. Dies geht aus einer neuen Untersuchung des internationalen Hilfswerks Oxfam hervor. Zu den im neuen Oxfam-Bericht "Überzuckert!" namentlich genannten Firmen gehören Südzucker aus Deutschland (der weltweit größte Zuckerhersteller), Beghin Say aus Frankreich und Tate and Lyle aus Großbritannien. Nach Oxfams Schätzungen erhalten diese Firmen 201, 236 beziehungsweise 158 Mio. Euro an Exportsubventionen von der EU. Die EU sei nicht, wie selbst behauptet, ein "subventionsfreier Exporteur", kritisiert Oxfam.

Fünf Mio. Tonnen Zucker aus EU

Die neue Studie weise nach, dass die EU in Wirklichkeit der größte Subventionszahler der Welt sei und jedes Jahr etwa fünf Mio. Tonnen Zucker auf den Weltmarkt werfe. Brasilien und Thailand verlören durch dieses Preisdumping jährlich schätzungsweise 494 beziehungsweise 151 Mio. Dollar, so Oxfam. Die Forderung von Oxfam ist klar: Europa müsse seine Zuckerproduktion verringern und die Entwicklungsländer zu fairen Konditionen am Markt teilhaben lassen.
So treibt der Zucker und die riesigen Geschäfte die mit seiner Hilfe möglich sind auch heute noch das Rad an, das  in Richtung Verelendung der Dritten-Welt-Länder rollt. Doch die europäische Zuckermarktordnung schadet nicht nur den Entwicklungsländern, sie schadet auch den europäischen SteuerzahlerInnen: Der Europäische Rechnungshof hat zum Beispiel ermittelt, dass die Zuckermarktordnung zu einer zusätzlichen Belastung der EU-VerbraucherInnen von mehr als sechs Mrd. Euro pro Jahr geführt hat. Dabei werden durch die 1968 eingeführte Zuckermarktordung nicht nur Europas Rübenbauern mit Steuergeldern unterstützt; Profiteur der Zuckerordnung ist vor allem die Zuckerindustrie.
Die Kritik an diesem System war bisher so zahlreich wie vergeblich. Für Franz Mühlbauer, Professor für Landwirtschaft an der Fachhochschule Weihenstephan, ist der Zuckermarkt "ein amtlich abgesegnetes Kartell, eine Lizenz zum Gelddrucken". Die OECD und Deutschlands Wirtschaftsweise haben die Zuckermarktordnung getadelt.

Zuckermarktordnung bis 2020

Doch die Profiteure der Zuckermarktordnung verteidigen sie mit Zähnen und Klauen: "Die Zuckermarktordnung der EU wird auch bei angespanntem Weltmarkt ihrer Verantwortung in vollem Umfang gerecht", erklärte der Vorsitzende der Wirtschaftlichen Vereinigung Zucker in Deutschland, Dr. Hans-Jörg Gebhard, im Rahmen der Zuckertagung 2011. "Wir begrüßen daher auch das klare Votum des Europäischen Parlaments für eine Fortsetzung der gegenwärtigen Regelung bis 2020", so Gebhard. Er unterstrich, dass für eine langfristige Versorgungssicherheit der Erhalt der Rahmenbedingungen der Zuckermarktordnung über 2015 hinaus unerlässlich sei.
Von einer Öffnung des Marktes und einer Aufhebung der Subventionen ist die EU also noch weit entfernt.
Doch Zucker hat neben der wirtschaftlichen auch eine ernährungsphysiologische Seite und auch die ist nicht nur positiv. Seit Zucker leicht zu haben und billig zu kaufen ist, wird er schon Kleinkindern als schnell verfügbarer Energieschub von Werbung und Marketing angedient. Und während viele Eltern auf die Werbetricks reinfallen und glauben, sie täten ihren Kindern etwas Gutes, werden die nächsten kleinen Zuckerjunkies herangezüchtet. Milchschnitte, übrigens von Foodwatch zur Werbelüge des Jahres gekürt, und Fruchtzwerge etc. bedienen sich eines einfachen Tricks, um bei den KonsumentInnen anzukommen: Sie geben vor mit Milch - sehr gesund für Kinder! - und im Falle der Fruchtzwerge (und mancher anderer Süßwaren) auch Obst - wer möchte nicht, dass die Kinder mehr davon essen? - besonders wertvolle Nahrungsmittel anzubieten.
Da sich bei den meisten Eltern herumgesprochen hat, dass man die Kleinen nicht mit Zucker vollstopfen soll, wird auch hier getrickst. "Mit der Süße aus Früchten" wird nochmals Obst suggeriert, wo einfach Fruchtzucker drin ist. Der findet sich, weil erstens billig und zweitens werbetechnisch gut zu verbraten, auch sonst in einer Menge industriell hergestellter Nahrung. Das ist nicht nur schlecht für die Figur der KonsumentInnen, sondern auch für deren Gesundheit: Rund ein Drittel der Bevölkerung kann Fructose nur schlecht aufnehmen und reagiert mit zahlreichen Beschwerden auf den steigenden Einsatz des Zuckers aus Früchten.
Doch das Problem mit dem Zucker entsteht schon früher: Bereits Kleinstkinder bekommen oftmals zahllose süße Kleinigkeiten als Belohnung und Trost und verlernen so schon im jüngsten Alter, dem normalen Sättigungsimpulsen zu folgen, sie gewöhnen sich an Süßes und lernen Lust dabei zu empfinden. So werden sie mit jedem Löffelchen süßer Beikost dazu erzogen, das ungesunde Zeug heiß zu lieben. Und viele Eltern glauben auch heute noch, dass sie ihren Kindern etwas Gutes tun, wenn sie ihnen was "zum Naschen" geben. Die Werbung schiebt da tüchtig an: So enthalten laut Foodwatch von 32 getesteten Kindernahrungsmittel (Frühstückscerealien, Snacks und Getränke) nur zwei nicht zu viel Zucker (eines davon war mit künstlichem Süßstoff gesüßt).

Internet:
Foodwatch - die Essensretter:
tinyurl.com/6br6ry3
Ideen für einen gerechteren Zuckermarkt:
tinyurl.com/6cxxz6v
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Info&News
Leider vergriffen, aber antiquarisch leicht zu bekommen: Al Imfeld: Zucker, Unions Verlag, Zürich, 1983.

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