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Die Tafel ist gedeckt Die Tafel ist gedeckt, doch bei weitem nicht alle dürfen an ihr Platz nehmen. Österreich gehört zu den reichsten Ländern der Welt, doch auch die Armut wächst: Derzeit sind bei uns 993.000 Menschen arm oder armutsgefährdet - ein Viertel davon Kinder.

Die Tafel ist gedeckt

Schwerpunkt

Die Armut nimmt zu. Hilfsorganisationen wie die "Tafeln" lindern Not. Hilfe in der Not oder freiwillig in die Almosengesellschaft?

Die Tafel ist gedeckt, doch bei weitem nicht alle dürfen an ihr Platz nehmen. Österreich gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Dieser Reichtum nimmt ständig zu. Doch auch die Armut wächst: Derzeit sind bei uns 993.000 Menschen arm  oder armutsgefährdet - ein Viertel davon sind Kinder. Im Jahresschnitt sind rund 300.000 Menschen arbeitslos, auf Sozialhilfe angewiesen sind schon weit über 100.000 Personen, davon fast 44.000 Kinder und Jugendliche.
Als Armutsgrenze definiert die EU 60 Prozent des mittleren Pro-Kopf-Haushaltseinkommens, das sind in Österreich 994 Euro für einen Einpersonenhaushalt pro Monat, 12-mal im Jahr (EU-SILC 2009); (www.armutskonferenz.at). Doch die Mindestsicherung pro alleinstehender Person macht in Österreich für 2011 nur 753 Euro aus. Mit 17 Prozent der Bevölkerung weist Wien das größte Armutsrisiko auf. Neben den geschätzten 800 permanent Obdachlosen nehmen über 7.100 Menschen zeitweise Obdachloseneinrichtungen in Anspruch. In Wien stehen 4.500 Wohn- und Schlafplätze für Menschen ohne Wohnung zur Verfügung. In ganz Österreich sind schätzungsweise 12.000 Menschen wohnungslos (www.wienertafel.at).

Tischlein deck dich

Damit auch die Ärmsten der Armen täglich etwas Warmes zu essen haben, hat sich - ausgehend von den USA und Deutschland - auch in Österreich ab 1999 die "Tafel"-Bewegung gebildet. Die "Wiener Tafel" versteht sich selbst als Brücke zwischen Überfluss und Mangel. Sie sammelt Lebensmittel und Hygieneartikel aus Überproduktionen oder Lagerhaltung vor Ablauf des Haltbarkeitsdatums aus Industrie und Handel und gibt sie an anerkannte Sozialeinrichtungen weiter. Essen gelangt dorthin, wo es hingehört. Das erspare der Wirtschaft Kosten, schone die Umwelt, unterstütze karitative Einrichtungen und bekämpfe die Armut. Kurzum: Umverteilung zum Vorteil aller. Doch ist das Armuts- und Verteilungsproblem durch partielle Nahrungsmittelumverteilung zu lösen?

Zum Vorteil aller?

Darüber wogt z. B. in Deutschland eine heftige Debatte. Dort fällt dank Hartz IV jede vierte Familie unter die Armutsgrenze. Immer mehr Betroffene kaufen in Sozialkaufhäusern (bei uns "Sozialmärkte" - SOMA) und holen sich kostenlos ihr Essen bei einer der zahlreichen Tafeln. Manche verdienen als Ein-Euro-Jobber ein wenig hinzu, andere bessern ihr Einkommen mit Pfandflaschensammeln auf, so eine VOX-Reportage im Frühjahr 2011. 1994 gab es in Deutschland vier Tafeln, heute sind es bereits über 650. Und der "Bedarf", das heißt die Armut, steigt. Die Tafeln können oder wollen daran nichts ändern, so die harsche Kritik des deutschen Soziologen und Buchautors ("Fast ganz unten" und "Tafeln in Deutschland") Stefan Selke. Tafeln können die Armut nicht lindern, weil Armut gesellschaftlich "konstruiert" sei. Indem aber der Eindruck entstehe, dass durch die Tafeln die Armen in der Gesellschaft "gut aufgehoben" seien, lasse der Impuls zu einer nachhaltigen und strukturellen Armutsbekämpfung durch den Staat nach. So wird verständlich, dass Indus trie, Politik und Interessenvertretungen Tafeln - auch bei uns - so hoch loben und sponsern: Die Tafeln entledigen sie ihrer Verantwortung.

Geschäft mit der Armut

Aber noch mehr: Bei den deutschen Tafeln arbeiten nicht nur Ehrenamtliche mit, sondern zunehmend von Armut selbst betroffene sogenannte Ein-Euro-Jobber, also Billigstarbeiter. Politische Befürworter der Tafeln gehen zum Teil so weit, in den Menschen, die noch nicht zur Tafel gehen, und das sind immerhin in Deutschland 89 Prozent der Armen, potenzielle Kunden zu sehen, anstatt ihnen durch politische, d. h. wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Maßnahmen des Staates aus der Armut zu helfen. Aber Hartz IV, oder bei uns die "bedarfsorientierte Mindestsicherung", geht strukturell in die falsche Richtung. "Rechtsansprüche", so Selke, "seien kein Ornament, sondern der Kern des Sozialstaates. Wo aber Almosen eine Selbstverständlichkeit sind, können Rechte immer weniger stringent durchgesetzt werden." Was bleibe ist, dass das zunehmende Elend mit und zum Teil im Geschäftsinteresse der Tafeln (bei uns auch der diversen SOMAs), der Politik und der Sponsoren aus der Wirtschaft gemanagt und diszipliniert wird.
Eine der weltgrößten Unternehmensberatungsgruppen, McKinsey, engagiert sich für die Tafeln, unterstützt sie seit langem mit einem "Leitfaden" für professionelles Management; seit vielen Jahren in den USA und Kanada, seit 1994 auch in Deutschland, aber auch in Österreich. Wohl nicht umsonst. McKinsey ist für die Entlassung Hunderttausender verantwortlich und tritt bei jeder "Beratung" dafür ein, dass Sozialleistungen und Unternehmenssteuern gestrichen werden müssen (www.tafelforum.de).

Armutsfallen 

Der Aufschwung der Reichen ist erkauft durch die Präkarisierung der Masse der arbeitenden Menschen: immer mehr Jugendliche ohne Jobs und Perspektive, Arbeitslose bzw. MindestsicherungsbezieherInnen, AlleinerzieherInnen, verarmende PensionistInnen, Arbeitende wie geringfügig Beschäftige, Teilzeitkräfte, PraktikantInnen, Einpersonenunternehmen (EPUs) usw., die mit ihrem Einkommen nicht auskommen (working poor). Das Motto der Tafeln, "Essen, wo es hingehört", müsste durch "Wohlstand, wo er hingehört" zumindest ergänzt, eigentlich ersetzt werden. Wie? Etwa durch eine entsprechende Wertschöpfungs- und Finanzspekulationsbesteuerung, durch Arbeitszeitverkürzung und eine Demokratisierung von Wirtschaft und Arbeit und letztendlich durch Abschaffung von Ausbeutung und Spekulation.
Denn das Erste hat das Zweite zur Folge. Wer diese Kräfte weiter walten lässt, ohne sie politisch in die Verantwortung zu nehmen oder in die Schranken zu weisen, wer diese Spirale nicht stoppt, ist mitverantwortlich am steigenden Elend, an der steigenden seelischen, körperlichen und materiellen Verarmung und Verrohung der Gesellschaft, macht sich mitschuldig am Aufkommen von "starken Männern" und "neuen Führern". Diese versprechen dann der zuvor durch das verfilzte Zusammenspiel von etablierter Wirtschaft und Politik entmündigten, entrechteten und entmutigten Bevölkerung das Blaue (im wahrsten Sinne des Wortes) vom Himmel und schützen erst recht wieder nur die Reichen. Vielleicht vordergründig weniger mit der Propaganda von der Notwendigkeit des freien Marktes als Voraussetzung unser aller Wohlstandes, sondern - wie schon in der Vergangenheit - durch direkte Hetze gegen Teile der Bevölkerung. Etwa gegen die Armen, die Arbeitslosen, die Sozialhilfeempfänger, die Minderleister usw. Weiters durch offene Unterdrückung und Vorbereitung der Menschen auf Kriege gegen arbeitende Menschen in anderen Ländern oder Regionen der Welt im Interesse der Konzerne.

Auf der Flucht vor dem Hunger

Dies erfolgt im Namen der Menschenrechte, der Terrorismusbekämpfung, oder des Schutzes des christlichen Abendlandes vor dem Islam, oder unter dem Vorwand des Schutzes vor Flüchtlingsmassen aus dem Süden, die uns zu überrennen drohen. Doch diese Menschen werden erst zu Flüchtlingen durch die Weltkonzerne, die die Dritte Welt ausbeuten und so das Hunger- und Flüchtlingselend tagtäglich neu provozieren (www.weltumspannend-arbeiten.at). Aber auch die Notwendigkeit, Öl, Wasser oder Rohstoffe für "uns" militärisch sichern zu müssen, wird vorgeschoben. Tatsächlich ist es halt so, dass gleichberechtigter Handel zwischen den Weltregionen, Verteilungsgerechtigkeit in den jeweiligen Staaten, Wohlstand für alle statt Reichtum für wenige, den Konzernen und ihren ZuarbeiterInnen in der Politik weniger Macht, weniger Einfluss und weniger Profit bringt. Aber ist das schlecht?

Und wieder verhungert ein Kind

"Vergangenes Jahr haben die 500 weltgrößten Privatkonzerne 52,8 Prozent des Welt-Brutto-Sozialproduktes kontrolliert. Derweil steigen in der südlichen Hemisphäre, wo 4,8 der 6,7 Mrd. Menschen der Erde leben, die Leichenberge. Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren - auf einem Planeten, der problemlos zwölf Mrd. Menschen ernähren könnte." (UNO-Berater Jean Ziegler)
Lassen wir uns durch Medien-Gehirnmassage nicht mehr die sogenannten Markt-Notwendigkeiten auftischen, uns Rechte und Sozialleistungen nicht wegnehmen - dann brauchen wir weniger oder gar keine "Tafeln" mehr.

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