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Brot im Getriebe Eine 50-Liter-Tankfüllung des Treibstoffes E10 entspricht Berechnungen von KritikerInnen der Produktion von etwa 15 kg Getreide bzw. 18 kg Brot.
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Brot im Getriebe

Schwerpunkt

Treibstoff landwirtschaftlichen Ursprungs soll aus der Energiekrise helfen. Doch die Agrarspritproduktion stößt auf Kritik.

Deutsche AutofahrerInnen weigerten sich Anfang des Jahres zu tanken: Der Treibstoff E10 wurde eingeführt und zehn Prozent des Kraftstoffes sind landwirtschaftlichen Ursprungs, dem die Verbraucher misstrauen. Es schade ihren Autos. Der tatsächliche Schaden des weltweiten Agro-Kraftstoff-Booms liegt aber woanders. Eine 50-Liter-Tankfüllung des Treibstoffes E10 entspricht nach Berechnungen von KritikerInnen der Produktion von etwa 15 Kilo Getreide bzw. 18 Kilo Brot. Auch Jean Ziegler, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, schließt sich einer grundlegenden Skepsis an Agro-Treibstoffen an. Das sei eine nicht tragbare Ressourcenverschwendung angesichts der globalen Ernährungssituation. 

Die EU mischt kräftig mit 

Der Brot-Vergleich kommt nicht allein: Agro-Treibstoffe, denen ungeachtet von Produktionsbedingungen und Pestizideinsatz schnell das Bio-Mäntelchen übergeworfen wird, machen mit einer ganzen Reihe fragwürdiger Entwicklungen auf sich aufmerksam. Allerdings steigt durch Beimischungsverpflichtungen zu konventionellen Kraftstoffen die globale Nachfrage - allein die Umsetzung in Deutschland hat immense Auswirkungen auf die globale Produktion und Spekulation landwirtschaftlicher Güter. Eine zusätzliche Nachfrage nach ihnen am Weltmarkt scheint auf Jahrzehnte gesichert. Die Europäische Union mischt im globalen Agro-Treibstoff-Business kräftig mit: Sie möchte damit ihre CO2-Einsparungsziele zum Klimaschutz erreichen und gleichzeitig ein Stück unabhängiger vom internationalen Ölmarkt werden. Die dazugehörige Richtlinie ist keineswegs unumstritten. Vor allem vom Europäischen Parlament kam massive Kritik auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse an den sozialen und ökologischen Folgen der Beimischungsverpflichtung. Im an sich diesbezüglich eher unverdächtigen Ausschuss für Industrie, Forschung und  Energie wurde festgestellt: "Die jüngsten wissenschaftlichen und politischen Erkenntnisse beweisen, dass ein verbindliches Ziel von zehn Prozent für aus Biomasse gewonnene Kraftstoffe im Verkehrssektor nicht auf nachhaltige Weise erreicht werden kann. Daher muss dieses Ziel aufgegeben werden." 2009 wurde die Richtlinie trotzdem verabschiedet. Mit ihr treten verbindliche Beimischungsziele für alle EU-Staaten in Kraft. Österreich ist einer der stärksten Advokaten dieser Politik. 

Ohne Importe geht nichts 

Auch in Österreich steht die Beimischungsverpflichtung 2012 ins Haus: Die zehn Prozent werden aber auch hierzulande, entgegen anders lautender Argumentation, nicht ohne Importe möglich sein, erklärt Gertrude Klaffenböck von der FIAN (Food First Information and Action Network), einer Menschenrechtsorganisation, die sich mit dem Recht auf Ernährung beschäftigt: "Länder wie Österreich können aufgrund ihrer ökonomischen Stärke auf Knappheit mit Importen reagieren, das geht aber auf Kosten der Ernährungssicherheit anderer Menschen. In Ländern des Südens wird für unsere Tanks Energie produziert, während die lokale Bevölkerung ihre Lebensgrundlagen verliert." Greenpeace-Experte Jurrien Westerhof hat umfassende Berechnungen zur Situation in Österreich angestellt und kommt zum Schluss, dass Österreich nur ein Sechstel der Rohstoffe selbst produzieren kann, die zur Erreichung der Beimischungsziele notwendig wären. Berechnungen des Europäischen Umweltinstitutes IEEP (Institute for European Environmental Policy) bestätigen diese Einschätzung: Weltweit müssten bis zu 69.000 Quadratkilometer Fläche als Ackerland kultiviert werden, damit 2020 in Europa 9,5 Prozent der Energie für den Verkehr aus Agrosprit bestehen. Das ist eine Fläche zweimal so groß wie Belgien.
Die gesteigerte Nachfrage nach landwirtschaftlichen Produkten, die für die Kraftstoffproduktion verwertbar sind, schlägt sich längst in der internationalen Nahrungsmittelindustrie nieder. Vor dem Hintergrund globaler Lebensmittelspekulationen zeigen politische Ziele, wie die Beimischung von zehn Prozent Agro sprit, ihre fatalen Auswirkungen. Die  garantierte Nachfrage vor allem aus Europa oder China macht den Anbau attraktiv und erhöht den Wert landwirtschaftlich nutzbarer Flächen. Diese werden durch Erschließung neuer Flächen oder durch Umverteilung von Landnutzungsrechten gewonnen. Neuerschließung geht nicht zuletzt über die Brandrodung der letzten großen Urwälder. Wenn auf der indonesischen Insel Borneo Brände gelegt werden, um Agrarflächen für die Palmölproduktion zu gewinnen, kann das im großflächigen südostasiatischen Raum zu weitreichenden Beeinträchtigungen der Luftqualität führen, woraus sich mittlerweile auch schon diplomatische Verstimmungen zu den Nachbarstaaten ergaben.
 

Zu viele ungelöste Fragen

Insbesondere in afrikanischen Ländern wie Ghana oder Äthiopien kommt es schon jetzt zu massiven Auswirkungen der europäischen Agro-Treibstoff-Politik: In Moçambique soll ein Siebentel der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche für die Produktion von Agrotreibstoffen verwendet werden. In vielen Ländern wird außerdem Wasser als ohnehin knappes Gut vorrangig für die landwirtschaftliche Exportproduktion verwendet. Die steigende Nachfrage führt so zu umfassenden Konflikten rund um Landrechte. In den derzeitigen EU-Richtlinien werden diese Faktoren nicht berücksichtigt: "Wenn es soziale Kriterien gibt, treffen diese ausschließlich den Produktionsprozess. Wie Plantagenbesitzer zu ihrem Land gekommen sind, und was sie mit dieser Aneignung in den betroffenen Ländern auslösen, wird aber völlig ausgeblendet", erklärt Klaffenböck. Sie sieht trotz Bemühungen einzelner EU-Länder diese Fragen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Rechte in den Ländern des Südens völlig ungelöst.
Derzeit ist sie auch pessimistisch, dass es zu einer global gerechten und zukunftsfähigen Lösung in dieser Branche kommt: "Wir sehen heute die Entwicklung von der regionalen Lebensmittelproduktion hin zur globalen Agrosprit-Produktion. Mit dem Menschenrecht auf angemessene Ernährung, das im Übrigen völkerrechtlich verankert ist, ist die derzeitige Praxis nicht vereinbar", so Klaffenböck. Auch aus Umweltperspektive sind Agro-Treibstoffe höchst fragwürdig: In der Produk tion wird intensiv gedüngt, was massive Emissionen von extrem klimaschädlichen Lachgas zur Folge hat. Brandrodungen und die Zerstörung von Wäldern für nur wenige Jahre nutzbare Anbauflächen sind ebenso Gift für den Klimaschutz. Dramatisch sind die Auswirkungen auch auf die Biodiversität: Die negativen Auswirkungen von pestizidintensiver Plantagenwirtschaft auf die Artenvielfalt sind ohnehin bekannt. Auf Borneo werden etwa auch die vom Aussterben bedrohten Orang Utans auf Palmöl-Plantagen abgeschossen: Da sie sich von Palmfrüchten ernähren, werden sie als Schädlinge angesehen. Und Schädlinge werden auf Plantagen vernichtet.
Den 800 Mio. AutobesitzerInnen stehen also die zwei Mrd. ärmsten Menschen gegenüber. Viele von ihnen müssen 60 bis 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrung aufwenden und sind massiv von Preissteigerungen und Spekulationen betroffen. Die Agrartreibstoffpolitik wirtschaftlich bzw. politisch gewichtiger Regionen erschwert das Recht auf Nahrung in anderen Ländern und greift massiv in Ressourcen- und Landverteilungsfragen ein. Gleichzeitig wird mit politischen Zielsetzungen wie den umstrittenen Beimischungszielen die Illusion genährt, das westliche Mobilitätsverständnis sei auch in Zukunft nachhaltig vertretbar. Die zunehmende Knappheit fossiler Rohstoffe kann aber aus heutiger Perspektive global nicht mit Agro-Treibstoffen entschärft werden. Ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs mit der Einführung neuer Mobilitätskonzepte würde es Ländern wie Österreich möglich machen, auch ohne der E10-Einführung die Klimaziele zu erreichen: Mit sauberen und vor allem sozial verträglichen Energieformen wie Wasser- oder Windkraft.
 

Internet:
Mehr Infos unter:
tinyurl.com/5s7mgyq
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