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Betriebsrat in Europa Sozialpartnerschaftlich geprägte Kulturen existieren im europäischen Raum Seite an Seite mit arbeitskampforientierten Gewerkschaftskulturen.

Betriebsrat in Europa

Schwerpunkt

Über 15.000 BetriebsrätInnen sind in EBRs tätig. Sie stellen sich stetig neuen Anforderungen im interkulturellen Dialog oder im Umgang mit neuen Technologien.

1994, nach Jahrzehnten politischer Auseinandersetzungen beschloss am 22. September der Ministerrat der EU die Richtlinie 94/45/EG, was die rechtliche Basis zur Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates (EBR) darstellte. Sukzessive wurde die europäische Richtlinie in nationales Recht der Mitgliedsstaaten implementiert. 1996 erfolgte der erste große Schub der Implementierung, bei dem auch Österreich dabei war. Großbritannien folgte mit Verspätung erst im Jahr 2000 und obwohl kein Mitgliedsland der EU verabschiedete auch Norwegen diverse Begleitgesetze, die die Einrichtung eines Europäischen Betriebsrates erlauben. Mit der Osterweiterung der EU fanden die gesetzlichen Bestimmungen zum EBR auch Einzug in den Rechtsbestand der Erweiterungsländer.

Dynamische Entwicklung

Seither war die Entwicklung der EBR dynamisch. Sowohl auf Ebene der Weiterentwicklung der rechtlichen Standards als auch in Fragen der Neugründung von EBRs können erfreuliche Prozesse beobachtet werden. 2007 existierten in 840 Unternehmen ein EBR, das ist ein Drittel aller in Frage kommenden Betriebe in Europa. Über 15.000 BetriebsrätInnen sind europaweit in EBRs tätig. 2009 wurde eine Revision der EBR-Richtlinie durch den Ministerrat beschlossen. Dem ging ein zähes Ringen mit den Vertretern der Industrie- und ArbeitgeberInnenverbände (Businesseurope) voraus. Kernanliegen des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) waren die Steigerung der Rechtssicherheit, der Wirksamkeit von Informations- und Konsultationsrechten sowie die Anwendbarkeit und Kohärenz des Rechtsbestandes. Zwar wurden nicht alle Forderungen des EGB umgesetzt, trotzdem stellte die Revision einen wichtigen Schritt in Sachen Effizienzsteigerung der EBRs dar.1 
Doch die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Aneignung der Rechtsbestände sind nur eine Seite der Medaille. Die rechtlich abgesicherte Möglichkeit der Gründung eines EBRs garantiert noch lange nicht das Funktionieren eines solchen Gremiums.
Wird betriebsrätliche Vertretungsarbeit, gerade in Zeiten verschärften Standortwettbewerbs, der Dominanz neoliberaler Ideen und krisenbedingter Verunsicherung schon auf betrieblicher Ebene schwieriger, so stellen sich in einem transnationalen Vertretungsgremium noch einmal ganz neue Herausforderungen und Widersprüche, mit denen EBRs umgehen und entlang derer sie neue Fähigkeiten aufbauen müssen.

Kulturelle Vielfalt

Betrachtet man Europa, so besteht der Kontinent aus unterschiedlichsten Kulturen. Nicht anders ist das mit den Gewerkschaften. Sozialpartnerschaftlich geprägte Kulturen existieren im europäischen Raum Seite an Seite mit arbeitskampforientierten Gewerkschaftskulturen. In EBRs treffen all diese Kulturen aufeinander, was nicht immer konflikt-frei bleibt. In der Praxis müssen EBRs deshalb Wege der Zusammenarbeit finden, um mit Differenzen umgehen zu können, ohne dabei eine Gruppe zu benachteiligen. Bis zu einem gewissen Grad müssen EBRs hier neue Skills erlernen und gruppendynamisch auf Widersprüche reagieren.

Standort versus Transnationalität

Doch die Widerspruchslinien konstituieren sich bei weitem nicht nur entlang kultureller Unterschiede. Durch die transnationalen Unternehmensstrukturen müssen EBRs den Balanceakt zwischen Standortinteressen und dem Fakt der transnationalen Zusammensetzung ihrer Belegschaften schaffen. Dies bedeutet ein aktives Arbeiten an einem Verständnis von transnationaler Solidarität nicht nur im EBR-Gremium, sondern auch an den nationalen Standorten, wo alle Mitglieder des EBRs auch den Interessen ihrer Standortbelegschaften verpflichtet sind.
Dieser Grundgedanke, den transnational operierenden Unternehmen eine ebenso transnationale Vertretungsstruktur der abhängig Beschäftigten entgegenzustellen, ist treibendes Motiv für viele BetriebsrätInnen, sich in EBRs zu engagieren. EBRs werden damit auch zu wichtigen Vernetzungsstellen nationaler (Teil-)Gewerkschaften. Die Einbeziehung betriebsbetreuender GewerkschaftssekretärInnen in die Arbeit von EBRs ist deshalb auch wichtiger Bestandteil.
Kurzum, EBRs müssen eine Virtuosität im Umgang mit ihren unterschiedlichsten Tätigkeitsebenen entwickeln.

Neue Managementkulturen

Wie dringend notwendig die Organisation von transnational handlungsfähigen EBRs ist, zeigt die alltägliche Praxis dieser transnationalen Konzerne. In Permanenz werden neue Fusionen und Auslagerungen sowie Restrukturierungen in den Konzernzentralen beschlossen. Diese strategischen Entscheidungen passieren zumeist fernab der standortbezogenen Vertretungsstrukturen der ArbeitnehmerInnen. Damit entsteht eine nicht unbedeutende Vertretungslücke.
Diese permanenten Umbau- und Restrukturierungsprozesse von transnational operierenden Konzernen hängen ursächlich mit der Struktur der heutigen Ökonomie zusammen. Immer weniger zählt die kontinuierliche Entwicklung von Unternehmen als Orientierung für das Management, sondern die "marktgerechte Performance", die angetrieben wird von der Logik der Finanzmärkte und des Share Holder Values. McKinsey & Company, eine der weltweit führenden Unternehmensberatungsfirmen, fasst dieses Leitbild einer neuen Management- und Unternehmenskultur in seinem Strategiebuch so zusammen: "Sie werden Meister der schöpferischen Zerstörung sein müssen - ausgelegt auf Diskontinuität und erneuerbar wie der Markt selbst."2
Stefanie Hürtgen3 zeigt in einer Studie zu EBRs, dass es dieser Trend der diskontinuierlichen Managementkulturen ist, der Kopfzerbrechen bereitet. Nicht nur führt dies zu einer massiven Verunsicherung der Belegschaften, sondern er stellt aus Sicht der Beschäftigten und der BetriebsrätInnen auch die größte Herausforderung dar. Durch den im Rahmen des EBRs rechtlich abgesicherten Zugangs zu Kennzahlen und Informationen aus den Konzernzentralen, können im Sinne eines Co-Managements durch die EBRs alternative Vorschläge erarbeitet werden, die vielleicht den Druck auf die Belegschaften etwas mildern können. Obwohl bisher keine Umkehrung des Trends geschafft wurde, können mithilfe von EBRs bessere Defensivstrategien erarbeitet werden.

Vernetzung wird immer wichtiger

Dieser über alle Grenzen hinweg wahrgenommene Druck stellt die Basis her, durch die die vorhandenen Differenzen überwunden werden können.
Betrachtet man die aktuelle Entwicklung in Europa und die Debatte um EU-2020, dem Nachfolgeprojekt der Lissabon-Strategie, sowie die politisch anvisierte Verschärfung von Standort- und Wettbewerbskonkurrenz, wird es ersichtlich, warum europaweite Vernetzung und Solidarität auf Konzernebene immer wichtiger wird.
Diesem Gedanken folgend, entwickelte zum Beispiel die GPA-djp gemeinsam mit europäischen Partnern das Projekt "Empowerment & Networking of EWC-professionals". Interkulturelle Kompetenzentwicklung und transnationale Kommunikations- und Netzwerkfähigkeit spielen in diesem Projekt eine herausragende Rolle.

EBRs als Teil der Zivilgesellschaft

Mit dem Netzwerkgedanken wird auch eine weitere Dimension der EBRs stark gemacht. EBRs sind Teil einer entstehenden europäischen Zivilgesellschaft, die nicht nur auf betrieblicher Ebene wirkt, sondern über die Vernetzung mit europäischen EntscheidungsträgerInnen, zum Beispiel im Europäischen Parlament, wichtige Schnittstellen zwischen der politischen Macht und den Lebensrealitäten der Lohnabhängigen in Europa darstellen.

Internet:
EWC-Projekt der GPA-djp
blog.gpa-djp.at/ewcempowerment/project-info
European Trade Union Confrence
www.etuc.org 
European Trade Union Institute
www.etui.org 
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
mario.becksteiner@univie.ac.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 
 

1 Vgl. dazu Greif Wolfgang (2009): Der Europäische Betriebsrat. Inklusive Ausführungen zur neugefassten EBR-Richtlinie; Wien
2 McKinsey & Company/Foster Richard/Kaplan Sarah (2002): Schöpfen und Zerstören. Wie Unternehmen langfristig überleben; Frankfurt/ Wien
3 Hürtgen Stefanie (2008): Transnationales Co-Management. Betriebliche Politik in der globalen Konkurrenz; Münster

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