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Politisch verlorene Jugend …? Bei der Jugend fällt das politische Interesse jedoch nahezu gegen null: Nur vier Prozent der 14- bis 29-Jährigen interessieren sich für politische Fragen nachdrücklich, der Rest, also praktisch alle, ist argwöhnisch, skeptisch und desinteressiert.

Politisch verlorene Jugend …?

Schwerpunkt

Was sind die Gründe dafür, dass das politische Desinteresse der Jugendlichen so erschreckend hoch ist, und das seit Jahren.

Seit Jahren zeigt sich in den Sozialforschungsdaten ein düsteres Bild. Die Erwachsenen sind in Österreich wenig an Politik interessiert. Nur rund zehn Prozent, also jeder Zehnte unter uns, sind ausgeprägt an politischen Fragen interessiert, so die Daten aus dem Jahr 2010. Die Zahlen schwanken über die Jahre kaum. Bei der Jugend fällt das politische Interesse jedoch nahezu gegen null: Nur vier Prozent der 14- bis 29-Jährigen interessieren sich für politische Fragen nachdrücklich, der Rest, also praktisch alle, ist argwöhnisch, skeptisch und desinteressiert.
Kein Interesse an der heute gebotenen Politik, "weil meistens kommt eh nichts raus" oder "sie machen eh, was sie wollen. Oder sie sagen sie machen was, und machen’s eh nicht", sagen junge Leute (Institut für Jugendkulturforschung: Passive DemokratInnen, Wien 2011).

Was hat sich da ereignet?

Am besten zeigt sich vielleicht die Veränderung, die in den letzten zwanzig, dreißig Jahren eingetreten ist, an der Einstellung zur Werbung. Waren in den Siebzigerjahren noch rund 70 Prozent der Jugend skeptisch der Werbung gegenüber eingestellt (Stichwort: "die wollen mir nur was verkaufen"), so sind es in den vergangenen Jahren rund 70 Prozent, die Werbung prinzipiell gut und sympathisch finden. Das ist die Jugend - und wie sind die Erwachsenen?
Die Menschen sind, ohne es zu merken, in eine Konsumgesellschaft hineingeraten, die ihr Muster in den USA hatte. Selbstverwirklichung und Individualisierung verlagert sich dabei aus der Sphäre der Erwerbsarbeit und der Familie in den Konsumbereich. Was zählt ist das neue Auto, der neue Fernseher, das neue Smartphone, und das eigene Leben soll möglichst mühelos, abwechslungsreich und ereignishaft sein. Abenteuer, Spaß, Erlebnisse sind wichtig. Sieht man etwas, das gefällt, dann möchte man es auch gleich haben: jetzt. Aufschub, Sparen, verzögerte Belohnung ist völlig unattraktiv. Es ist das Ideal der amerikanischen Konsumgesellschaft, auf das die Menschen seit Jahrzehnten von der Werbung und den Medien eingeschworen werden - auch die wirtschaftlich Schwachen, die sich naturgemäß schwer tun hier mitzuhalten. Und: Die jungen Menschen kennen gar keine andere Wirklichkeit.
Eine ganz wichtige Sache für den Menschen heute ist soziale Anerkennung. Anerkennung bekommen, das heißt, man "gehört dazu" (SozialforscherInnen bezeichnen das als "Inklusion"). Kinder im Kindergarten oder in der Schule finden Aufmerksamkeit und Anerkennung durch interessante Sachen, die sie besitzen, Freizeitbeschäftigung und Urlaube. Soziale Anerkennung (in der persönlichen Umwelt, im eigenen Milieu) ist ganz wesentlich für persönliche Identität: Man zeigt den anderen und damit auch sich selbst, dass man dazugehört.
Durch Werbung bekannter Dinge, vor allem mit einprägsamen Marken, verschaffen sich vor allem Jugendliche Anerkennung. Kinder und Jugendliche wiederholen dabei das Verhalten der Erwachsenen, die ihnen eine starke Konsumbezogenheit vorleben. Und mehr noch, Eltern unterstützen es oft auch, da ein weitverbreitetes Motiv von Eltern ist, dass es ihr Kind besser haben soll und auch nicht allzu sehr unter wirtschaftlicher Enge leiden soll. Dazu kommt demonstrativer und erlebnisorientierter Konsum.
Der zieht sich durch alle Schichten und Einkommensverhältnisse. "Selbst junge Menschen, denen es materiell noch schlechter geht als (...) und die sich bereits in jungem Alter darauf eingestellt haben, ein Leben in Langzeitarmut zu führen, lassen sich die Koketterie mit den schillernd-bunten Konsumwelten nicht verbieten." (Beate Großegger, 2010)

Virtuelle Wirklichkeiten

Erlebnis, Abwechslung und Thrill gibt es heute neben dem Fernsehen und dem Internet auch in den sogenannten sozialen Netzwerken wie facebook. "Ich muss alle paar Minuten facebooken, weil sonst is zu fad", so eine 13-jährige Schülerin zu ihrer Lehrerin kürzlich im Zug auf einem Schulausflug, mit dem iPhone in der Hand. In der typischen (auch nicht-migrantischen) Schülersprache heute: "Gemma Billa?"
Der Betrachter fragt sich natürlich, braucht ein Kind tatsächlich ein iPhone, um während der Schulzeit seiner Facebook-Sucht nachgehen zu können? Sieht man sich traditionelle Jugendstudien an, die nicht in die Tiefe gehen, etwa den aktuellen "Jugendmonitor" des BMWFJ, so zeigen sich paradoxe Einstellungswelten. 70 Prozent sagen, bei Problemen gehen sie zu ihren Eltern, zugleich sagen aber 69 Prozent, sie besprechen Probleme mit ihren Freunden, statt mit den Eltern. 67 Prozent sagen, die Erwachsenen verstehen Jugendliche nicht, und ebenso 67 Prozent, meine Eltern verstehen sehr gut, wie ich fühle und denke.
Auf diese paradoxe, ja nahezu schizoide Haltung haben die Medien nicht hingewiesen, als die Studie kürzlich präsentiert wurde, die waren bloß erschreckt davon, dass 55 Prozent der Mädchen Hausfrau und Mutter sein möchten, wenn der Partner genug verdient.

Desorientierung 

"Die heutige Jugend lebt in einer seltsamen Gleichzeitigkeit von Mangel und Überfluss: einem Mangel an Sicherheit und Orientierung und einem Überfluss im Sinne einer unübersichtlichen Vielfalt an Möglichkeiten." (Institut für Jugendkulturforschung: Jugend zwischen Mangel und Überfluss, Wien 2009) Schlechte Arbeitsplatzaussichten, dann die Bedrohung durch die elterliche Tretmühle, die Krise des Wohlfahrtsstaates, das Leben in einer Migrationsgesellschaft, Konsumüberfluss bis zum Terror. Leben mit mehr sexueller Freizügigkeit als früher, aber vielen anderen Tabus, das sind die Eckpunkte für eine teils angepasste, teils überbrave, vor allem aber unkritische, nicht gut artikulationsfähige und politisch abwesende Jugend. Dass man sich in so einer Situation zurückzieht und als passiver Konsument alles aus Distanz im Fernsehen ansieht oder im Internet über Belanglosigkeiten chattet, ist irgendwo verständlich.

Empathie-Verlust

Noch dazu, da in den vergangenen Jahren den jungen Leuten Empathie abhanden gekommen ist, wie aktuelle Forschungsarbeiten in Nordamerika zeigen. Empathie, das ist nicht nur die Fähigkeit, die Gefühle und die Denkweise von anderen Menschen zu verstehen, sondern sich selbst auch mit den Augen des Gegenübers zu sehen.
Wo diese Fähigkeit verloren geht, macht sich Egoismus, Narzissmus und eine Art sozialer Verwahrlosung breit. Der Grund für diesen erschreckenden Empathie-Verlust, so die Studie, sind konsumtive Beziehungshaltungen bei den Jugendlichen, eine zunehmende virtuelle, nämlich Internetkommunikation, die völlig oberflächlich bleibt, viele oberflächliche Handytelefonate und ein Rückzug aus der Öffentlichkeit ins Private.
Gehen wir auf Facebook, sagen heute die Berater und Presseleute von PolitikerInnen. Dort sind die Jungen, und wenn wir dort sind, haben wir die auch wieder erwischt. Aber: "Nach Ansicht der 'Generation Facebook‘ kommunizieren PolitikerInnen auf Facebook an der Zielgruppe Jugendliche vorbei." Denn die empfinden das als Anbiederung, als billigen Werbegag, der Dialog ist "gefakt", "ich halte es eher für lächerlich", sagen die Jugendlichen. (Institut für Jugendkulturforschung: Passive DemokratInnen, Wien 2011)
Und tatsächlich, wenn man sich hier das Gesülze ansieht, das Facebook-Beauftragte oft veranstalten, wird klar, dass zwar Geld in den Sand gesetzt, aber die Jugend kein bisschen zur Freude an der kritischen Gestaltung von Politik, also ihrer eigenen Zukunft, angeregt wird.

Internet:
Beate Großegger: "Meine Lieblingsbeschäftigung ist fernsehen und ich schlafe ab und zu auch gern." Medien und Konsumwelten von Kindern und Jugendlichen in sozialen Randlagen. In: m&z (Medien und Zeit) 1/2010, S 28-38.
BMWFJ: Jugendmonitor, Mai 2011.
tinyurl.com/6dfpyms
Karl Kollmann, Alexander Unger: Kaufsucht in Österreich - 2010.Bericht zur siebenten österreichischen Kaufsuchtgefährdungsstudie. Materialien Konsumentenpolitik 1/2010, Wien 2010.
www.arbeiterkammer.at 
Die Studien des Instituts für Jugendkulturforschung sind auf
www.jugendkultur.at einsehbar.
Phys.org: Empathy: College students don‘t have as much as they used to, May 27, 2010.
www.physorg.com/news194201935.html 
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