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Infoflut oder Infomüll? "Der beste ,Leser-Reporter‘ wird nicht die notwendigen Kontakte und Informationen haben, um eine Hintergrundstory liefern zu können, allenfalls ein Foto und das, was er gesehen hat."
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Infoflut oder Infomüll?

Schwerpunkt

Die Unterdrückung der JournalistInnen, die GewinnerInnen der Globalisierung, der Kapitalismus und das Internet.

Es gibt ungefähr schon seit Mitte der 1990er-Jahre die Debatte, wozu man überhaupt noch professionellen Journalismus braucht, wenn eh jede/r im Internet veröffentlichen kann, was er oder sie will und wenn jede/r sich raussuchen kann, was er/sie gern lesen möchte. Das Internet verändert aber zusätzlich auch kontinuierlich die konkrete Arbeitssituation von JournalistInnen. In den klassischen Medien gab es immer einen Mangel an Seiten und Frequenzen und die Profi-Journalisten waren Gatekeeper, deren Aufgabe es war sorgfältig abzuwägen und auszuwählen. Im Internet kehrt sich diese Situation um: Da gibt es eine wahre Informationsflut und beinahe zwangsläufig mangels Kontrolle viel Infomüll.

Weltbild in Buchstaben

"Blogs und Handytelefone reichen da nicht als Konkurrenz zu Journalisten, da ist eine viel zu große Meinungs- und Meldungsanarchie im Netz", sagt Franz C. Bauer, Präsident der JournalistInnengewerkschaft. "Eine Zeitung ist erst in zweiter Linie Information, in erster Linie ist sie ein in Buchstaben gegossenes Weltbild, eine Bestätigung unserer Vorurteile über die Welt, angereichert mit Informationsschnipseln. Je näher eine Zeitung an den gängigen Stereotypen ist, desto höhere Verkaufszahlen wird sie haben." Im Unterschied zum Informationsrausch des Internets geht es im klassischen Journalismus aber auch um bestimmte Qualitätsstandards. Beim klassischen Journalismus sorgt dafür zunächst die Berufsausbildung, später redaktionelle Kontrollmechanismen. Man sollte zwar nicht a priori ausschließen, dass auch im Bereich der NutzerInnenbeteiligung im Internet journalistische Leistungen erbracht werden können, es fehlen aber weithin Mechanismen der Qualitätssicherung. Im Internet wird erst publiziert und dann geprüft.
Allerdings stellt sich dann unausweichlich die nächste Frage: Warum Geld für Profis zahlen, wenn die NutzerInnen die Inhalte teilweise gratis produzieren? Da ist man natürlich hin und her gerissen. Es existiert der hehre Anspruch auf mehr Partizipation, dann wird immer, zu Recht, auf Brecht und Enzensberger verwiesen. Aber die Situation bei den Tageszeitungen ist bekannt. Redaktionen werden tendenziell verkleinert. Werkverträge und Honorarnoten feiern fröhliche Urständ. Im Rahmen der Sparpolitik der Verlage ist das scheinbar eine Möglichkeit, auf FotografInnen zu verzichten oder in den Redaktionen Stellen einzusparen.
"Es gibt für Zeitungen keine Konkurrenz durch Blogs", sagt Bauer, "der klassische Printjournalismus hat weiterhin die Themen- und Meinungsführerschaft inne und Blogger ziehen daraus ihre Themen. Print treibt die Blogs, nicht umgekehrt."
Julia Pühringer, eine erfahrene Journalistin, sieht jedenfalls eher eine Bereicherung denn eine Konkurrenz. "Der beste ,Leser-Reporter‘ wird nicht die notwendigen Kontakte und Informationen haben, um eine Hintergrundstory liefern zu können, allenfalls ein Foto und das, was er gesehen hat. Blogs würde ich nicht in denselben Topf werfen, das ist ein völlig anderes Genre. Das wird aber von Print-JournalistInnen oft missverstanden, die dann denken, eine online gestellte Kolumne ist bereits ein Blog. Blogs dienen allerdings durchaus der Zusatzinformation, das kennt jeder von uns, der gern Blogs aus seinem Interessengebiet liest. Ich kann mir aber keine Tageszeitung oder kein Magazin vorstellen, das nur in der doch sehr persönlich formulierten Blogform existiert."

Kommerz regiert im Internet

Der Präsident der JournalistInnengewerkschaft ist vom Internet etwas enttäuscht, er hat sich mehr erwartet. "Vor 15 Jahren haben alle gehofft, dass durch das Internet eine weitere Demokratisierung eintritt, dass es ein Gegengewicht zu den etablierten Medien wird, aber leider muss man sagen, dass heute die multinationalen Firmen und der Kommerz das Internet dominieren. Aber das Internet ist natürlich auch eine Bereicherung, es ermöglicht zum Beispiel die Interaktion zwischen JournalistInnen und KonsumentInnen." Die klassischen JournalistInnen jedenfalls können durch das Internet gesellschaftliche Trends beobachten, aber auch eine Resonanz auf die eigene Arbeit erhalten. "Das Internet demokratisiert schon, nur eher qualitativ, nicht quantitativ", sagt Hans Christian Voigt. "Gut wird das durch den Gegensatz zwischen bild.de und bildblog.de illustriert: eine Seite ist die der mächtigen Bild Zeitung, die andere widmet sich deren kritischer Beobachtung." Teilweise geht es auch um eine bewusste Abgrenzung gegenüber dem professionellen Journalismus oder den klassischen Medien.

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"Was das Internet und die ganzen neuen Medien bringen, ist unter anderem, dass es schwieriger ist, Sachen unter den Teppich zu kehren, sie nicht zu bringen", sagt Voigt. "Das war übrigens schon vor Wikileaks so. Es geht da oft darum, den Konsens des Verschweigens zu brechen, dann können die etablierten Medien nicht anders und bringen es auch." Das empfindet auch Julia Pühringer als besonders erwähnenswert, auch im Vergleich zu den Privat-Paparazzis mit Handykameras. "Ich sehe da gar keinen so großen Unterschied zwischen Klatschgeschichten einst und jetzt, es hat sich allenfalls das Medium geändert. Anders sieht die Situation aus, wenn das Internet dazu beiträgt, dass Informationen aus Ländern zu uns dringen, deren Regierungen das aktiv verhindern wollen. Es wird aber auch da nicht reichen, ein paar Twitter- oder Blogeinträge abzuschreiben."
Allerdings gibt es eine Hierarchie zwischen Print und Online, auf die Julia Pühringer aufmerksam macht: "Bei seriösen Online-Medien müssen Storys allerdings noch ganz andere Dinge können als "offline" - sie müssen schneller geschrieben werden, öfter mutiert, Zusatzquellen müssen recherchiert, Hintergrundberichte angelegt, Bilder ausgesucht werden - Online-Journalisten sind quasi die eierlegenden Wollmilchsäue ihrer Berufsgruppe. Sie recherchieren und schreiben die Geschichte, oft produzieren sie gleichzeitig noch die Fotostrecken und zwei Videos selbst. Dafür werden sie allerdings wesentlich schlechter bezahlt."
Dieses Problem brennt auch Franz C. Bauer unter den Nägeln: "Die sozialen Verhältnisse, speziell für junge Menschen, die am Anfang ihrer Karriere stehen und noch in einer schwachen Position sind, haben sich verschlechtert. Obwohl sie genau die gleichen Leistungen wie ihre Print-KollegInnen erbringen, werden sie eklatant schlechter bezahlt. Dieses Unrecht zu bekämpfen wird in Zukunft ein Schwerpunkt gewerkschaftlicher Arbeit sein." Leider ist das nicht so einfach, denn es gibt so manchen Trick, der zur Anwendung gelangt. "Die Lösung gegen Verletzungen des Kollektivvertrags wären branchenübergreifende Verträge", so Bauer.
"Die Schnelligkeit des Internets bringt natürlich schon einen Optimierungsdruck, es ist ein ähnlicher Prozess, wie bei den Finanzmärkten, die in einem Tempo agieren, das es früher nicht gegeben hat, mit den bekannten Resultaten", sagt Voigt. "Dieser Druck wird auch im Medienbereich auf dem Rücken der ArbeitnehmerInnen ausgetragen." Und er ergänzt: "Das System ist zu komplex, man kann und sollte die Probleme nicht auf das Internet schieben. Viel schlimmer ist, dass es keine echten öffentlich-rechtlichen Medien mehr gibt, keine Parteizeitungen, keine etwaigen unterschiedlichen Standpunkte, wenig journalistische Breite, also kaum etwas, was aus der bestehenden Strukturlogik ausbricht, wo alles Marktprozessen unterworfen ist."

Strukturwandel im Gange

Voigt urgiert bei Gewerkschaften, und zwar nicht nur im journalistischen Bereich, dass sie "den Kapitalismus im Mediensystem von sich aus ansprechen sollten, das wird zu oft unter den Teppich gekehrt, und sie sollten aktiver sein, nicht nur verteidigend". Schließlich ist er sich sicher, dass "ein Strukturwandel im Gange ist, an dessen Anfang wir stehen und von dem man noch nicht sagen kann, wie lange er dauern wird, und wie er genau aussehen wird. Nur eines kann man schon sagen: Immer mehr Menschen haben vom Bestehenden die Nase voll."

Internet:
JournalistInnengewerkschaft
tinyurl.com/64dktyl
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