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Konstante Mobilität Nahversorger wurden fast überall durch periphere Shoppingcenter und "Gewerbeparks" ersetzt, die per Rad nur unter erheblichen Gefahren erreichbar sind.
Buchtipp

Konstante Mobilität

Schwerpunkt

Weder ändert sich die Zahl der Wege noch die Zeit, um sie zurückzulegen. Mit jedem Auto sinkt das Mobilitätspotenzial anderer Verkehrsteilnehmenden.

Die vielfach vorgetragene Rede von einer "Mobilität im Wandel" beruht auf zahlreichen Fehlschlüssen, glaubt man den Thesen von Österreichs führendem Verkehrsexperten Hermann Knoflacher. Im steten "Wandel", allerdings in negativer Richtung, sind vorrangig Landschaft, Umwelt und Lebensqualität, solange die Bezugsgröße von Verkehrs- und Raumplanung - selbst für nachhaltige Mobilität - das Auto bleibt.

Mythos Mobilitätswandel

Als völlig falsch bezeichnet Knoflacher, ständiger Fußgehervertreter bei den Vereinten Nationen, die Kernthesen der praktizierten Verkehrsplanung. Denn die Idee des Mobilitätswachstums, das heute in der Praxis propagiert wird, beruhe auf einer unvollständigen Betrachtung des gesamten Systems. Sie geht davon aus, dass mit zunehmender Motorisierung auch die Mobilität steigt. Mittlerweile hat sich jedoch in der modernen Verkehrs- und Mobilitätsforschung die Erkenntnis durchgesetzt, dass zwar die Anzahl der Autofahrten steigt, die Summe der getätigten Wege aber konstant bleibt, da dadurch die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und die Fußwege abnehmen. Die zweite falsche Annahme ist jene der Zeitersparnis durch Geschwindigkeitserhöhung, die als Grundlage vieler Wirtschaftlichkeitsberechnungen in der Verkehrsplanung herhalten muss. Die Zeitersparnis jedoch ist null, es steigen nur die Entfernungen bei gleicher Wegzeit. Die drei grundlegenden Gesetzmäßigkeiten für das individuelle und kollektive "Verkehrshandeln", nämlich konstantes Wegebudget, konstantes Wegezeitbudget und konstantes Mobilitätskostenbudget leuchten ein. Womit aber soll ein/e PendlerIn fahren, wenn kein Zug vorhanden ist?
Das Thema nachhaltiger Mobilität wurde auf politischer Ebene übergreifend erstmals in der OECD-Konferenz in Vancouver 1997 behandelt. Die soziale Gerechtigkeit und Verantwortung, die freie Verkehrsmittelwahl und die ausreichende Grundversorgung standen - neben der Umweltverträglichkeit - dabei im Vordergrund. Mit dem rasanten Klimawandel begann für die Verkehrsforschung, die nunmehr zu einem Teil der Mobilitätsforschung wurde, Anfang der 1990er-Jahre eine neue Phase. Mit der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 wurde die bisherige Verkehrspolitik - theoretisch - den Prämissen einer nachhaltigen Mobilität untergeordnet. WissenschafterInnen unterschiedlicher Disziplinen suchen seither verstärkt nach ökologisch verträglichen Verkehrs- und Siedlungsmodellen. Zahlreiche neue Fragestellungen haben hier Aufnahme gefunden: Inwiefern können, wie es gesetzlich vorgeschrieben ist, alle gleichberechtigt am Verkehrsystem teilhaben? Besonders die Gender-Aspekte, soziale Ausgrenzung und Barrierefreiheit haben an Aufmerksamkeit gewonnen. Vor allem in der internationalen Entwicklung ist zu bezweifeln, ob unser westliches Mobilitätsmuster mit seiner Dominanz des Autos das "natürliche" weltweite Leitbild sein kann. Welche Folgen hat der Welthandel auf globale Verkehrsströme? Ist eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Verkehr in Sicht? Die Frage nach der Finanzierbarkeit und Kostenwahrheit ist erst in der jüngsten Zeit in das Zentrum der Nachhaltigkeitsdiskussion gerückt. Besonders im globalen Maßstab ist man von einer Trendwende zur nachhaltigen Mobilität jedoch weit entfernt.

Wandel in der Werbung

Ein Bewusstseinswandel wurde im Marketing signalisiert. Man erinnert sich: 2000 warb Michail Gorbatschov in den TV-Spots "Perestroika" und "Glasnost" für die österreichischen Bundesbahnen. Eine Kampagne, die bei vielen NutzerInnen Unverständnis auslöste. Zeitgleich mit der Imagekampagne wurden kleinere Haltestellen aufgelöst und die Zugfrequenz gesenkt. Zahlreiche PendlerInnen, die früher etwa die Franz-Josefs-Bahn genutzt hatten, mussten damals auf den Pkw umsteigen. Mehr Taktgefühl hätte zum Beispiel die Lösung durch sogenannte "Bedarfshalt-Druckknöpfe" bewiesen. Schon damals bezeichnete die AK die 1998 eingeleitete Privatisierung als falschen Weg. Sicherheitsrisiken, vermehrte Unfälle, Einstellung von Nebenbahnen, teurere Fahrpreise und Mehrkosten für die Steuerzahlenden wurden als drohende Folgen angeführt. Die Probleme mit dem Verkehr, nach herkömmlicher Auffassung identisch mit dem Autoverkehr, nehmen seither ständig zu. "Kein Produkt hat bis zur zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Gesellschaft und Wirtschaft derart verändert wie das Auto", schreibt Knoflacher in seinem jüngsten Buch "Virus Auto". Der komplexe Zerstörungsprozess, der mit der allgemeinen Motorisierung eingesetzt hat, konnte trotz aller Versuche, wie Ausbau der Fahrbahnen oder Mautsysteme, nicht eingedämmt werden. Allen technischen Verbesserungen in der Autoindustrie und Versuchen zum Trotz, die Abhängigkeit von fossilen Energien zu senken, steigen die CO2-Emissionen. Konstant bleibt die direkte und indirekte Förderung des Autoverkehrs.

Verkehrsproblem Shoppingcenter

Nahversorger wurden fast überall durch periphere Shoppingcenter und "Gewerbeparks" ersetzt, die per Rad nur unter erheblichen Gefahren erreichbar sind. Sie illustrieren den wissenschaftlich fundierten Grundsatz, dass die Mobilität einer Gesellschaft nicht mit den Distanzen wächst. Die Einkaufenden legen nun größere Entfernungen zurück, um dieselben Bedürfnisse zu erfüllen wie zuvor. "Das Verkehrsproblem ist unter anderem Produkt solcher Shoppingcenter", meint Knoflacher. Die riesigen Parkplätze müssten so hoch besteuert werden, dass Parken so viel kostet wie im Stadtzentrum. Die Zunahme des Autoverkehrs spiegelt sich in der Entwicklung des Straßennetzes. Im Vergleich zu 1970 stieg allein das Autobahnnetz bis 2007 um 1.200 km. Das Bahnnetz hingegen schrumpfte von 6.506 km (1970) bis 2003 um rund 300 km. Nicht nur eingestellte Züge, auch die Pendlerpauschale fördert den motorisierten Individualverkehr, da mit zunehmender Distanz die Vergütung steigt. Österreichweit fahren rund 74 Prozent der PendlerInnen mit dem Auto zur Arbeit.
Auch an der Grenze vom Waldviertler Fratres zum südböhmischen Slavonice ist der in der Bevölkerung schon seit langem spürbare Bewusstseinswandel zur nachhaltigen Mobilität auf der Strecke geblieben. Auf den Geleisen der eingestellten Thayatal-Bahn wächst Gras. Geht es nach den Plänen der NÖ-Landesregierung soll der Gleiskörper endgültig entfernt und in einen Radweg umgewandelt werden. Nichts gegen Radwege, meint Egon Schmidt, Obmann des Vereins "Neue Thayatalbahn", der seit 20 Jahren für die Reaktivierung der wichtigen Verbindungsstrecke der Franz-Josefs-Bahn zur tschechischen Hauptlinie bis Brünn und Prag kämpft. Aber wäre er nicht neben der Bahn sinnvoller? Der steigende Schwerverkehr auf den Thayatalstraßen zehrt an den Nerven der Bevölkerung und an der Bausubstanz der Dörfer und Städte. Dabei gäbe es sinnvolle Alternativen: So hat ein Wiener Verkehrsplanungsbüro errechnet, dass die Kosten für die Revitalisierung der Bahnstrecke durch Benützungsgebühren aus dem Güterverkehr gedeckt werden könnten. Auch die Ausgaben für den Ersatz-Busbetrieb sind mittelfristig bei weitem höher als es die Wiederherstellung der Bahnstrecke wäre.

Trend zur Reurbanisierung

Seit 2007 wohnen mehr als die Hälfte aller Menschen Zentraleuropas in Städten. Prognostiziert wird, dass der demografische Wandel die Menschen weiter zurück in die urbanen Zentren führt. Die ersten großen Trendverschiebungen in Richtung zukunftsfähiger Mobilität zeigen sich in Ballungsräumen zuerst. In Wien sinkt der Straßenverkehr in den inneren Bezirken erstmals. Viele StadtbewohnerInnen haben längst "umgedacht". "Die Politik ist gut beraten, jetzt die Weichen der Investitionspolitik so zu stellen, damit die Bevölkerung die Infrastruktur vorfindet, die Städte mit Zukunft auszeichnen", meint Willi Novak, Geschäftsführer des Verkehrsclubs Österreichs (VCÖ) in der Publikation "Ballungsräume - Potenziale für eine nachhaltige Mobilität". Würden die Verkehrskosten dann auch noch von den Verursachern bezahlt, stiege die Qualität der Städte auch als effizienter Wirtschaftsstandort.

Internet:
Zur Initiative für die Reaktivierung der Thayatalbahn:
www.thayatalbahn.at 
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
gabriele.mueller@utanet.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

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