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"Arbeitslose auf Bewährung" Aber wenn Günter Wallraff die Bühne betritt und mit lockeren Scherzen ins Interview mit Hubert Christian Ehalt geht, dann merkt man schnell: Er ist kein Theoretiker, kein Professor, der nur sich selbst reden hören will.
Buchtipp

"Wallraffend" durch die Arbeitswelt

Schwerpunkt

Der berühmte Aufdecker-Journalist sprach im Rahmen der Wiener Vorlesungen mit Hubert Christian Ehalt über seine jüngsten Ausflüge in die Berufswelt.

Im Rahmen der Wiener Vorlesungen erzählte Günter Wallraff am 4. Mai im Wiener Rathaus von seinen Anfängen als Aufdecker, von den Entwicklungen zu sozialbedenklichen Arbeitsverhältnissen, und dass sein Nachname ins schwedische Wörterbuch aufgenommen wurde.
Hunderte ZuhörerInnen lockte er an, aus jeder Altersgruppe und sozialen Schicht: So ein Interesse an einer Vorlesung kann sich manch anderer nur wünschen. Aber wenn Günter Wallraff die Bühne betritt und mit lockeren Scherzen ins Interview mit Hubert Christian Ehalt geht, dann merkt man schnell: Er ist kein Theoretiker, kein Professor, der nur sich selbst reden hören will. Wallraff bringt Lebenserfahrung mit und will diese mit anderen teilen. Seit 45 Jahren ermittelt er hinter den Kulissen der sauberen Unternehmensfassaden und deckt Zustände auf, die deren Presse- und Rechtsabteilungen lieber unentdeckt gelassen hätten. Seine Methoden als investigativer Journalist sind, seit er sich als Hans Esser 1977 bei der "Bild" einschlich, bekannt und mittlerweile hat man ihm und seinen Methoden auch im schwedischen Wörterbuch mit dem Wort des "Wallraffens" ein Denkmal gesetzt.

Der Weg zum Enthüllungsjournalisten

Als Pazifist nennt er Mahatma Gandhi, Jesus, Martin Luther King und Nelson Mandela als die wichtigsten Einflüsse seines Lebens. In jungen Jahren versuchte er sich als Buchhändler und Lyriker, beeindruckt von Bertolt Brecht, Heinrich Böll und Wolfgang Borchert, doch nachdem er den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung zu spät stellte, musste er in der deutschen Bundeswehr eine "Ausbildung zum Töten" antreten. Ein Deal wegen seiner bevorstehenden Veröffentlichung über seine Erlebnisse dort, stellte ihn aber von der Bundeswehr frei. Offiziell bescheinigte man ihm psychiatrische Probleme und eine "abnorme Persönlichkeit". Wenn ihn die "68er" danach fragten ob er Marxist, Trotzkist oder Maoist sei, war ihm das zu pla-kativ, zu dogmatisch. Er antwortete nur: "Ich habe Marx nicht genau genug gelesen, um mich als Marxist zu bezeichnen."
Sein Theoriedefizit machte ihn zum Enthüllungsjournalisten. Seine Recherchen sind echt erlebt und keine theoretischen Szenarien, was ihm Einblicke und Einsichten beschert, die sonst verborgen bleiben.

"Im Moment gehts den Bach runter"

Die größten Probleme, mit denen die Menschen am Arbeitsmarkt zu kämpfen haben, sieht Wallraff im entfesselten Kapitalismus und im Ausverkauf von sozialen Standards. Ob unsere Demokratie diesem Wandel standhält? Wallraff hofft nur Gutes für die Zukunft, meinte aber "im Moment gehts den Bach runter" mit Dumpinglöhnen und der Prekärisierung des Arbeitsmarktes. Besonders der erste Artikel des Grundgesetzes, der besagt, dass die Menschenwürde unantastbar sei, und die Verfassung im Allgemeinen müssen erhalten werden. Auch in Tunesien sieht er die Gefahr, dass sich Persönlichkeiten wie Haider, Berlusconi oder Le Pen etablieren könnten. Denn eine kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen muss erkämpft werden. Und hier sieht er für sein Heimatland Deutschland einen Nachteil: "Die Demokratie wurde Deutschland geschenkt, sie wurde nicht erkämpft." Und die Demokratieverweigerer, Menschen, die nicht wählen gehen, spielen genau den antidemokratischen Strömungen in die Hände.

Sieben Mio. Mini-Jobs in Deutschland

Dass die Entwicklungen dazu führen, dass Leiharbeit mit 30 bis 40 Prozent weniger Bezahlung mehr wird, dass von zwei Mio. neu geschaffenen Arbeitsplätzen in Deutschland 50 Prozent in prekären Arbeitsverhältnissen enden und ca. sieben Mio. Mini-Jobs existieren, führe zwangsläufig zu Altersarmut, attestiert Günter Wallraff. Auch muss Wallraffs Meinung nach mit der extremen Arbeitsdifferenzierung in bestimmten Berufen umgegangen werden. So sollte das Rentenantrittsalter berufsspezifisch angepasst werden.

Soziale Standards, ade?

Von seinen verdeckten Ermittlungen im Callcenter weiß er Folgendes zu berichten: 80 Prozent der Geschäftsfälle im Verkauf-Callcenter sind reiner Betrug oder mit minderwertiger Ware verbunden. Trotzdem gab es staatliche Subventionen zur Ansiedelung von Callcenters in strukturschwachen Gegenden und Zwangsverpflichtungen für Arbeitslose, eine Callcenterstelle anzunehmen. Zwar gäbe es mittlerweile neue Gesetze, die z. B. eine Rufnummernunterdrückung nicht mehr zulassen, jedoch die psychische Belastung einer Arbeit als Keiler sei dadurch noch nicht gebannt.
Auch aus einer Großbäckerei, die für Lidl Aufbackbrötchen herstellt, kann Wallraff von unmenschlichen Zuständen berichten. Eine Backanlage verursachte oft Verbrennungen und es gab keine Bezahlung bei Auftragsmangel. Ein Mitarbeiter meinte, er fühle sich wie zur Zwangsarbeit verpflichtet, da ihm eine Sperre durch das Arbeitsamt bei Kündigung drohe.
Und er prangert die sogenannten "Betriebsratskiller", Mobbinganwälte mit horrenden Provisionen, die die Schmutzarbeit für "die oben" erledigen, die dafür sorgen, dass Rechte, die vor Jahrzehnten erkämpft wurden, nicht mehr selbstverständlich sind, an. Denn Wallraff sieht einen Übergang von der Klassen- zur Kastengesellschaft.
Die asoziale Parallelwelt der Privilegierten bilde eine geschlossene Gesellschaft, der die Beamtenschaft wegen ihres Unwillens zu einer Werteänderung zuspiele, ein Aufstieg in diese "Kaste" sei fast unmöglich. Gleichzeitig würden die StudentInnen das neue Proletariat bilden - Stichwort "Generation Praktikum". Und die "Unberührbaren" seien die Langzeitarbeitslosen, Kranken und auch Menschen mit Migrationshintergrund in der 3. Generation.

Mehr Zivilcourage

Eine neue Werteordnung mit mehr Zivilcourage sei wichtig, ist der Journalist überzeugt. Dazu ist Bildung der Schlüssel. Warum nicht die besten Lehrer in den pädagogisch anspruchsvollsten Problemschulen eingesetzt werden, versteht Wallraff nicht. Und das Abbauen von Vorurteilen war ihm schon immer ein Anliegen.
Schon in den Achtzigerjahren erforschte er als "Türke Ali" (1985) den deutschen Arbeitsmarkt, und mit seiner, auch umstrittenen Dokumentation "Schwarz auf Weiß", in der er als "Flüchtling aus Somalia" (2009) auf Wohnungssuche geht und mit Rassismus zu kämpfen hat, tourt er auch durch Schulen, um den jungen Leuten einen Denkanstoß in die richtige Richtung zu geben. Denn er weiß, "dort wo keine Türken leben, ist der Türken-Hass oft am größten". So hat er sich sogar im Laufe der Dreharbeiten mit anfänglich dem "Afrikaner" gegenüber skeptischen Personen und mit Deutschen mit afrikanischer Abstammung befreundet. Ein kleiner Erfolg für Günter Wallraff.

Firmen-TÜV

Auch haben Unternehmen oft einen Wettbewerbsnachteil, wenn sie sich an soziale Standards halten. Ein Vorschlag Wallraffs wäre ein TÜV-Siegel für Unternehmen. Positivlisten für soziale Standards wären sinnvoll, damit KonsumentInnen erkennen können, wer sich im sozialen Engagement gut macht (z. B. DM) oder nicht (z. B. Schlecker). So kann der Druck von KonsumentInnen stärker auf die Unternehmen einwirken.
Wöchentlich bekommt Wallraff Zuschriften, oft reicht es nur, wenn er die Verantwortlichen anspricht: "Bringen sie das in Ordnung, dann muss ich‘s nicht veröffentlichen!"

Internet:
Informationen, Download und Kaufoption zu Günter Wallraffs Film "Scharz auf Weiß":
www.schwarzaufweiss.x-verleih.de 
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