topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Lissabon und weiter … Es zeichnet sich eine starke Schwerpunktsetzung auf betriebsgebundene Fachkompetenzen für die jeweiligen Betriebe ab. Aus ArbeitnehmerInnensicht kommt es hier zu einer zu geringen Ausrichtung auf die Vermittlung von übertragbaren Qualifikationen.

Lissabon und weiter …

Schwerpunkt

Die EU-Leitinitiative "Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungen" versucht aus den Fehlern der Lissabon-Strategie zu lernen und ihre Schwächen zu überwinden.

Im Jahr 2000 lancierte die EU ein Zehnjahres-Programm, die "Lissabon-Strategie". Diese beinhaltete sehr ehrgeizige bildungspolitische Ziele. Damit diese Ziele greifbar und ihr Erreichen überprüfbar waren, wurden sogenannte Benchmarks für die unterschiedlichen Bereiche des lebensbegleitenden Lernens festgelegt. Beispielsweise sollten nicht mehr als zehn Prozent der 18- bis 24-Jährigen die Schule vor Beendigung der Schulpflicht verlassen haben ("early school leavers") und sogar 85 Prozent eines jeden Jahrgangs mit Matura abschließen. Auch für Erwachsene gab es einen Benchmark: 12,5 Prozent sollten an Maßnahmen zum lebensbegleitenden Lernen teilnehmen. So ehrgeizig die Vorgaben der EU waren, aus heutiger bildungspolitischer Sicht gilt die Strategie als gescheitert. Kaum ein europäisches Land war in der Lage, jene Benchmarks auch nur annähernd zu erreichen. Im Nachhinein war eine der häufigsten Erklärungen dafür die unzureichende Koordination der Aus- und Weiterbildungs- mit der Arbeitsmarktpolitik. Und zwar sowohl was die Inhalte und Zielsetzungen als auch die agierenden Institutionen (auf europäischer und nationalstaatlicher Ebene) betrifft.

"Europe 2020"

Als Konsequenz aus dem Scheitern von Lissabon wurde im Jahr 2010 "Europe 2020" initiiert. Auffällig ist, dass bildungspolitische Themen darin bedeutend weniger Raum einnehmen als in der Lissabon-Strategie: Lediglich zwei Leitinitiativen befassen sich mit Bildungsthemen. Eine davon, "Youth on the Move", beschäftigt sich in erster Linie mit der Bildungsmobilität von jungen Menschen. Nicht nur Studierende, sondern auch Lehrlinge sollen die Möglichkeit bekommen, Auslandserfahrung im Rahmen ihrer Ausbildung zu sammeln. Die andere, von ihren Konsequenzen her bedeutendere, Leitinitiative nennt sich "Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungen (New Skills and Jobs)". Diese versucht aus den Fehlern der Lissabon-Strategie zu lernen und ihre Schwächen zu überwinden, indem sie - stark unternehmensgetrieben - auf die arbeitsmarktrelevanten Aspekte des lebensbegleitenden Lernens abstellt.
Ziel von "New Skills and Jobs" ist es, die Verfügbarkeit von den von den Unternehmen benötigten Kompetenzen/Fähigkeiten der ArbeitnehmerInnen zu erhöhen. Insgesamt kann festgehalten werden, dass New Skills and Jobs verstärkt auf eine möglichst kurzfristige, an die Bedürfnisse der ArbeitgeberInnen ausgerichtete, Höherqualifizierung vorhandener Fähigkeiten abzielen, als dies die Lissabon-Strategie getan hat. Zentrales Element ist, die "unterschiedlichen Welten von Bildung, Weiterbildung und Arbeit näher zusammenzubringen." Dafür bedarf es der Europäischen Kommission zufolge einer verbesserten Antizipation (Vorausschau) und Bewertung der benötigten Qualifikationen und, daraus abgeleitet, die Entwicklung des richtigen Qualifikations- und Fähigkeiten-Mix, auf neudeutsch "Matching" genannt. Qualifikationsentwicklungs- und -bedarfsprognosen für die unterschiedlichen Länder werden bereits jetzt in regelmäßigen Abständen von der CEDEFOP (Europäische Agentur für berufliche Bildung) veröffentlicht und den Nationalstaaten zur Verfügung gestellt.

Verstärkte Rolle der Sozialpartner

Als weiterer, für das Gelingen notwendiger Punkt wird von der Europäischen Kommission das institutionenübergreifende Handeln der Politik gesehen. Die EU-Generaldirektionen Bildung und Beschäftigung kooperierten daher sehr eng, um New Skills gemeinsam auf Schiene zu bringen. Als eine erste Konsequenz wurden unter anderem sogenannte "European Sectoral Social Dialogue Committees" eingerichtet, deren Hauptaufgabe es ist, quantitative und qualitative Arbeitsmarkt-Trends in den Sektoren zu analysieren, und als Unterstützung der Kooperation von Unternehmen und Bildungsträgern zu fungieren: In den sektoralen Komitees für den Sozialen Dialog sind nicht nur die Sozialpartner, wie wir sie kennen, vertreten, sondern es wird zu einem breiteren sozialen Dialog aufgerufen, der auch Unternehmen und NGOs umfasst. Die Komitees sollen mit politischem Gewicht ausgestattet werden, unter der Leitung der Sozialpartner.
In Österreich haben sich im Gefolge der EU-Leitinitiative "Neue Kompetenzen für neue Beschäftigungen" sogenannte "Standing Committees on New Skills" gebildet. Im Rahmen dieser "Standing Committees" werden, organisiert vom AMS, SpezialistInnengruppen zusammengesetzt - bestehend aus den Sozialpartnern (AK, ÖGB, WKÖ, IV) und führenden Wirtschaftsunternehmen der jeweiligen Branchen - und sogenannte "Clustergruppentreffen" abgehalten. Es finden jeweils drei Arbeitstreffen pro Cluster statt. Beim ersten werden die (globalen) Herausforderungen für die Betriebe identifiziert. Beim darauffolgenden werden auf Basis der Entwicklungen in der Branche/im Cluster möglichst konkrete kurz- bis mittelfristige Qualifikationserfordernisse für alle Qualifikationsebenen (von hoch- bis niedrigqualifiziert) erarbeitet. Und beim dritten Treffen werden gemeinsam mit den Bildungsanbietern bfi und WIFI entsprechende (Weiter-)Bildungsangebote (Curricula), aufbauend auf die bereits vorhandenen Qualifikationen, entwickelt.

Erste Clustergruppentreffen

Bisher wurden die Clustergruppentreffen für folgende Bereiche abgeschlossen: Maschinen, Kfz, Metall; Chemie, Kunststoff, neue Materialien; Büro und Verwaltung; Gesundheit, Wellness, Tourismus; Bau und Bauökologie; Elektrotechnik, Elektronik, Telekommunikation sowie Gesundheit und Pflege. Für die ersten fünf Cluster wurden bereits Lehrinhalte (Stundenpläne) für fünf- bzw. zwölfwöchige Weiterbildungen entwickelt, welche künftig bei den WeiterbildungsträgerInnen und in den AMS-Landesorganisationen angeboten werden sollen. Für Elektrotechnik, Elektronik, Telekommunikation und Gesundheit und Pflege sind diese noch ausständig. Derzeit werden zwei weitere Cluster bearbeitet: Energie- und Umwelttechnologien und Handel.

Initiativen von BAK und ÖGB

Von Arbeiterkammer und ÖGB wird dieser Prozess von einer Projektgruppe, die aus VertreterInnen der Abteilungen Arbeitsmarkt und Integration, Bildungspolitik und Lehrlings- und Jugendschutz und des ÖGB besteht, begleitet, um verstärkt ArbeitnehmerInnen-Interessen einzubringen.
Insgesamt werden die Standing Committees on New Skills seitens der ArbeitnehmerInnenvertretungen als positiv eingeschätzt: Die intensive Zusammenarbeit von Sozialpartnern, Leitbetrieben und Bildungseinrichtungen bei der Qualifikationsbedarfsabschätzung in bestimmten Branchen und bei der daraus folgenden Entwicklung von Lehrinhalten wird als ausgesprochen sinnvoll erachtet. Es zeigen sich aber einige aus ArbeitnehmerInnensicht problematische Tendenzen, denen rechtzeitig entgegengewirkt werden muss: Unter anderem zeichnet sich eine starke Schwerpunktsetzung auf betriebsgebundene Fachkompetenzen für die jeweiligen Branchen/Leitbetriebe ab. Aus ArbeitnehmerInnensicht kommt es hier zu einer zu geringen Ausrichtung auf die Vermittlung von übertragbaren Qualifikationen (Soft Skills, Fremdsprachenkenntnisse etc.). Des Weiteren wird eine Tendenz zur "Reparatur" von Defiziten im Bildungssystem und der Lehrausbildung über die Arbeitsmarktfinanzierung befürchtet. Hier muss aber bereits in der Schule und der Lehre angesetzt werden und nicht erst dann, wenn es (beinahe) zu spät ist. Schlussendlich muss auch darauf geachtet werden, dass es bei den Standing Committees zu keiner übermäßigen Konzentration auf Großbetriebe kommt und auf die klein- und mittelständige Struktur der österreichischen Wirtschaft Rücksicht genommen wird.
BAK und ÖGB streben daher eine stärkere und strukturelle Einbindung der ArbeitnehmerInnen an. Dies soll durch das Bilden sogenannter ArbeitnehmerInnen-Fokusgruppen erreicht werden. In diesen sollen die Ergebnisse der Clustergruppentreffen diskutiert und speziell auf die Bedürfnisse von ArbeitnehmerInnen hin beleuchtet werden. Daraus können dann wertvolle Erkenntnisse für die Gestaltung von Qualifikationsbedarf und Weiterbildung gewonnen werden, nicht nur die Inhalte, auch die Rahmenbedingungen - den Ort und die Zeit der Kurse etc. - betreffend. Mit der Pilotierung der ersten ArbeitnehmerInnen-Gruppen zur Erfassung künftiger Qualifikationsbedürfnisse soll noch dieses Jahr begonnen werden. Wir dürfen also gespannt bleiben.

Internet:
EURES - Portal zur beruflichen Mobilität:
tinyurl.com/6h77pjhSchreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
petra.voelkerer@akwien.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum