topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Selbstbewusstsein schaffen Rudolf Sarközi: "Als 1989 die Grenzen fielen, wurden die Roma einfach vergessen und dort gelassen, wo sie noch heute sind - am Rand."

Selbstbewusstsein schaffen

Schwerpunkt

Alteingesessene Roma sind am Arbeitsmarkt längst integriert, doch für ImmigrantInnen dieser Volksgruppe sind die Möglichkeiten höchst beschränkt.

Rudolf Sarközi, Obmann des Kulturvereins österreichischer Roma (www.kv-roma.at, der Verein ist auch Dokumentationsarchiv) ist ein positiver "Ausnahmefall", wie er sagt. Mit 14 Jahren musste er als Hilfsarbeiter beginnen - dem als "Zigeuner" beschimpften Jugendlichen, 1944 im KZ-Lackenbach geboren, wollte im Burgenland niemand eine Lehrstelle geben.

Der "Vater der Anerkennung"

Sarközi brachte es zum technischen Angestellten bei einer Wiener Elektrofirma, wechselte nach dem Firmenkonkurs als Kraftfahrer zur MA48 und wirkte im Dienststellenausschuss des Betriebsrates. "Mit 20 Jahren wurde ich Gewerkschaftsmitglied, habe 46 Jahre Arbeit hinter mir und war nur drei Monate arbeitslos." Seit 2005 beruflich im Ruhestand, ist Sarközi von einem Pensionistendasein weit entfernt. Als Vorsitzender des Volksgruppenbeirates, der seit 1995 besteht, und Obmann des Kulturvereins, 1991 gegründet, ist er ständig in Bewegung. Bis Ende 2010 auch als SPÖ-Bezirksrat in Döbling: "Wäre ich nicht Funktionär geworden, hätte ich den Zugang zu den Politikern nicht gefunden." Entscheidend für die Anerkennung der Roma und Sinti als sechste österreichische Volksgruppe (seit 1993): "Ich bin der Vater dieser Anerkennung, eigentlich schon der Großvater, aber das klingt so alt." Sarközi wurde vielfach ausgezeichnet, bekam auch den Berufstitel Professor verliehen. Arbeitsrechtliche Diskriminierungen sollten heute keine Chance haben: "In den zwei Generationen seit meiner Jugend hat sich irrsinnig viel verändert. Wenn ich mich heute um einen Lehrplatz bemühe, zählen die Zeugnisse. Die ethnische Zugehörigkeit hat in einer Bewerbung nichts zu suchen." Sarközi und seine Mitstreiter haben viel erreicht. "Wenn ich heute sage, wir Roma bekommen keinen Lehrplatz, ist das nicht korrekt. Vor einigen Jahren hatten wir in der Roma-Siedlung von Oberwart und Umgebung überwiegend Sonderschüler, heute gibt es keinen einzigen. Dank des Roma-Fonds gibt es Abschlüsse als Facharbeiter, HAK-Absolventen und im zweiten Bildungsweg für Erwachsene konnten wir positiv wirken." Sarközi lobt die Lernbetreuung, Bildungsberatung und Integration am Arbeitsmarkt, wie sie der Verein Roma in Oberwart (www.verein-roma.at) - Beratungsprojekt unter Mitbegründerin Susanne Baranyai - leistet. "Wir müssen uns mehr einbringen, die Initiative ergreifen. Das fordere ich auch für Europa ein - wir wollen unseren europäischen Freunden sagen: Nehmt jugendliche Roma in eure Betriebe auf, gebt ihnen die Chance auf eine Ausbildung!", erklärt Sarközi.
"Es gibt viele österreichische Roma, die den Anschluss in alle Gesellschaftszweige gefunden haben. Sie haben sich assimiliert, haben den Namen gewechselt. Ich verstehe die Angst vor Nachteilen, aber ich würde das nie tun, denn der Mensch bleibt derselbe." In seiner Funktion als Vorsitzender des Volksgruppenbeirates reiste Rudolf Sarközi am 22. März auch wieder zum Europarat nach Straßburg, sprach zur Lage der Roma in Europa. "Als 1989 die Grenzen fielen, wurden die Roma einfach vergessen und dort gelassen, wo sie noch heute sind - am Rand. Die Leute müssen ein Einkommen, Bildung und gesundheitliche Versorgung bekommen. Es kann nicht sein, dass ein 50-jähriger Mensch wie ein Greis aussieht. Die EU hat erkannt, es fließt Geld, aber es kommt nicht an." Die Arbeitsmarktöffnung wird für die Roma in den Nachbarländern keine Rolle spielen: "Zu uns kommen durchwegs Musiker und das ist nicht die große Masse. Ungelernte Kräfte haben ohnehin keine Chance. Die rechten Politiker denken bloß, es schadet ja nicht, die Angst um Arbeitsplätze zu schüren."
Iovanca Gaspar, 44, ist Referentin der MA17 für Integration und Diversität. In der Regionalstelle Süd in Wien-Favoriten kümmert sie sich seit 2005 neben der Bezirksarbeit um die Belange der Roma in ganz Wien. Gaspar ist eine Romni, wurde in der rumänischen Stadt Pojejena an der Grenze zu Serbien geboren, lebte mit fünf anderen Roma-Familien am Rande des Dorfes. Die Soziologin wuchs dreisprachig mit Rumänisch, Serbisch und Romanes auf. "Ich habe mir gewünscht, gleichgestellt zu sein. Aus Armut und Scham haben viele Roma ihre Kinder nicht zur Schule geschickt, aber ich war eine gute Schülerin, habe verstanden, dass ich eine Rolle in der Gesellschaft spiele." Ihr Vater, im Kommunismus ein Traktorist, machte eine Qualifizierung zum Kranfahrer, um der Tochter eine höhere Schule zu ermöglichen. Monatlich investierte er die Hälfte seines Einkommens: vier Jahre Internat, 200 Kilometer entfernt. Die Fachmatura in Industriechemie genügte Iovanca Gaspar nicht, denn auch ihr Sohn Adrian, 1987 geboren, sollte es besser haben. "Meinen Magister habe ich vor allem für ihn gemacht, und als Soziologin weiß ich, dass die Einstellung eine Rolle spielt. Wenn du am Rand lebst, hast du nur zwei Möglichkeiten: Entweder rebellisch zu werden, weil du keinen Platz in der Gesellschaft hast, oder doppelt so viel zu kämpfen, um dich zu beweisen."

"Dui Roma - Zwei Lebenskünstler"

Seit 1996 lebt die Familie in Wien. Adrian ist heute Pianist, studiert Komposition und Musiktheorie an der Universität für Musik und darstellende Kunst, tritt mit fünf verschiedenen Bands auf (www.adriangaspar.at). Gemeinsam haben Mutter und Sohn ein übergreifendes Werk geschaffen, viel des familiären Einkommens investiert. Iovanca Gaspar drehte den Dokumentarfilm "Dui Roma - Zwei Lebenskünstler", in dem sie die Geschichte von Hugo Höllenreiner - Sinti aus Deutschland, Zeitzeuge des NS-Regimes und Mengele-Opfer - dem Lebensweg ihres Sohnes gegenüberstellt. Adrian Gaspar schuf aus Höllenreiners Erzählungen die "Symphonia Romani - Bari Duk" (Bari Duk steht für großen Schmerz), ein Oratorium für Bass, gemischten Chor und Orchester in der Muttersprache Romanes. Ein Projekt, das Botschaften an Roma und Gadje (Nicht-Roma) vermitteln soll. Gaspar: "Ihr könnt selbstbewusst sein, habt eure Vorbilder unter euch, könnt auch unter extremen Bedingungen Freude am Leben haben und eure Sprache ist ein großer Schatz." Für alle Nicht-Roma: "Lernt das Potenzial der Roma zu schätzen und vergesst das Bild des armen, kriminellen, faulen Zigeuners." So wie alle Roma in einen Topf geworfen werden, auch mit jenen Menschen, die gar kein Romanes sprechen, wird auch der Musikschatz als Selbstbedienungsladen verstanden: "Goran Bregovic hat sich bedient und die Musik einfach neu arrangiert. Was die Kusturica-Filme betrifft, so sind sie für Gadje lustig, doch für uns Roma sind sie einfach nur schmerzhaft."
Am 10. Mai werden Doku und Oratorium im ORF-Radiokulturhaus in Kooperation mit dem Verein Baro Ilo (Großes Herz, www.baroilo.at) aufgeführt. Allein es ist schwierig, Sponsoren zu finden. "Wenn ein Roma-Projekt funktioniert und gefördert wird, ist das eine riesige Motivation für uns alle", weiß Gaspar. "Die sozialen Projekte etwa in Rumänien haben uns nicht weitergebracht. Wenn man jemandem nur Fisch gibt, ohne ihn das Fischen zu lehren, wird er verhungern. Es wird immer nur gezeigt, wie arm die Roma in Osteuropa sind. Aber das Problem ist nach 20 Jahren nicht gelöst, weil keine Roma in die Projektleitung eingebunden werden." Von solchen Problemen berichten auch ihre KlientInnen in Wien: "Sie sagen mir, dass sie auch hier nicht ernst genommen werden, wenn sie mit konkreten Vorschlägen kommen und man ihnen gleichzeitig vorwirft, sie wären nicht engagiert."

"Nicht aufgeben"

Iovanca Gaspar arbeitet seit Jahren mit Roma-Vereinen - autochthone und MigrantInnen - zusammen. "Die Lösung ist einfacher, wenn wir als MigrantInnen dieselbe Unterstützung wie autochthone Roma erhalten. Die Erwartungshaltung, dass eine so heterogene Gruppe plötzlich einheitlich wird, ist falsch." Die Gründung einer Volkshochschule für Roma, wo auch Romanes unterrichtet wird, Arbeitsplätze geschaffen werden und auch Nicht-Roma teilnehmen, soll nicht bloß ein Traum bleiben. Gaspars Appell: "Nicht aufgeben, kämpfen und selbstbewusst sein."

Internet:
Mehr Infos unter:
www.roma-service.at 
European Roma Rights Centre
www.errc.org 
Schreiben Sie Ihre Meinung
an die Autorin
sophia.fielhauer@chello.at 
oder die Redaktion
aw@oegb.at 

INFO&NEWS
Zeitungen: "Romani Patrin" vom Verein Roma in Oberwart, "Romano Kipo" vom Kulturverein österreichischer Roma in Wien, "Romano Centro" vom gleichnamigen Verein (www.romano-centro.org).
Radio: Radio Kaktus auf Ö1, Experimentalradio Campus (oe1.orf.at). Das zweisprachige Magazin für Roma und Sinti, jeden Montag von 19.05 bis 19.30 Uhr, wird von der Journalistin Gilda Horvath präsentiert. Info auch:
volksgruppen.orf.at/roma/aktuell 

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum