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An der Betreuungskette Das bedeutet, eine dritte Person - meist eine Frau - übernimmt diese Arbeiten. Weil kaum jemand so viel Geld hat, einen solchen Arbeitsplatz zu regulären Bedingungen zu finanzieren wird schlecht bezahlt und nicht versichert.

An der Betreuungskette

Schwerpunkt

Die Versorgung von Kindern und Pflegebedürftigen im Haushalt wird immer öfter von Migrantinnen erbracht. Wer aber kümmert sich um deren Kinder zu Hause?

Manchmal führt die Verkettung unglücklicher Umstände zu einem Ergebnis, das keiner so wollte. Etwa, dass Kinder ohne ihre Eltern aufwachsen. Oder kein professionelles Personal da ist, um kranke Menschen angemessen zu betreuen. Weil die Frauen, die diese Arbeiten bislang übernommen haben, das zwar immer noch tun - nur mittlerweile in einem anderen, reicheren Land. 

Ärmere ziehen Kinder Reicherer auf 

Was dadurch entsteht, sind sogenannte "globale, transnationale Betreuungsketten". Die amerikanische Soziologin Arlie Hochschild beschreibt das so: "Eine Frau kümmert sich zu Hause um die Kinder der Migrantin, eine zweite kümmert sich um die Kinder derjenigen, die auf die Kinder der Migrantin aufpasst, und eine dritte, die ausgewanderte Mutter selbst, kümmert sich um die Kinder von Berufstätigen in der Ersten Welt. Ärmere Frauen ziehen die Kinder wohlhabenderer Frauen auf, während noch ärmere - oder ältere oder vom Land kommende - deren Kinder aufziehen." Diese Betreuungsketten bestehen aus drei oder mehr Frauen, wobei in jeder Stufe der Betreuung der Lohn für die Betreuungsleistung abnimmt und die letzte Betreuerin oft unbezahlt tätig ist. Die Betreuungsaufgaben leisten fast ausschließlich Frauen. Somit wird diese Arbeit nicht zwischen den Geschlechtern, sondern global innerhalb des weiblichen Geschlechts umverteilt. (Vgl. ZAG 2004)
Allerdings sind die Umstände, die zu diesen Betreuungsketten führen, keineswegs "unglücklich" im Sinne einer schicksalhaften Fügung. Sie sind das Ergebnis einer Politik, die vielfach darauf setzt, sich aus der Verantwortung zu ziehen und gesellschaftliche Probleme im Privaten zu belassen.
In Österreich haben Frauen in den vergangenen Jahrzehnten bei der Bildung extrem aufgeholt. Hatten 1995 "nur" 75 Prozent der jungen Frauen einen über die Pflichtschule hinausgehenden Abschluss, sind es 2009 bei jungen Frauen und Männern gleichermaßen 86 Prozent. (Vgl. Statistik Austria) Diese immer besser ausgebildeten Frauen wollen ihre Fähigkeiten nun auch tatsächlich am Arbeitsmarkt einsetzen. Damit entsteht aber eine Lücke im Haushalt. Früher wurden die Haus- und Betreuungsarbeiten zumeist von Ehefrauen "aus Liebe" unbezahlt erbracht. Das ändert sich nun, diese Arbeiten werden vermehrt zugekauft. Das unzureichende öffentliche Angebot an Kinderbetreuung und Pflegeeinrichtungen (oder mobilen Pflegediensten) zwingt die Haushalte, sich nach "privaten" Lösungen umzusehen. Das bedeutet, eine dritte Person - wiederum zumeist eine Frau - wird dafür bezahlt, diese Arbeiten zu übernehmen. Weil kaum jemand so viel Geld hat, einen solchen Arbeitsplatz zu regulären Bedingungen zu finanzieren, passiert das meist in Form von schlecht bezahlter, nicht versicherter Beschäftigung. Eine solche nimmt nur jemand an, der keine andere Möglichkeit am Arbeitsmarkt vorfindet. Das trifft vor allem auf Migrantinnen zu, die oft keinen rechtmäßigen Aufenthalt und/oder keinen regulären Zugang zum Arbeitsmarkt haben.
 

Wie entstehen Betreuungsketten? 

Wer in ein anderes Land auswandert, tut das selten aus Abenteuerlust. Wirtschaftliche Krisen und Kriege, Arbeitslosigkeit und Armut sind ebenso Gründe dafür, dass Menschen ihre Heimatländer verlassen, wie ethnische oder sexuelle Diskriminierung - in manchen Weltregionen heute bereits mehr Frauen als Männer. Die Frauen kommen aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Osteuropa, arbeiten als Dienstmädchen oder Kinderfrauen in den Industrieländern und sind häufig hauptverantwortlich für das Familieneinkommen. Für die Philippinen stellen mittlerweile die Überweisungen von Haushaltsarbeiterinnen in Europa oder in den USA die größte Devisenquelle dar. Dort gibt es eigens dafür zuständige Agenturen, die Frauen nach Europa und in die USA vermitteln. Globale Betreuungsketten haben ihren Ursprung aber auch in den Empfängerländern, wo die Nachfrage nach Haushalts- und Kinderbetreuungsleistungen zugenommen hat. Einerseits aufgrund zunehmender weiblicher Erwerbsarbeit, andererseits aufgrund des Verschwindens von großfamiliären Familienverbünden, die ein Zurückgreifen auf weibliche Verwandte (Großmütter, Tanten etc.) ermöglichten. Der notwendige Ausbau sozialer Dienstleistungen (Kinderbetreuung, Pflege) findet jedoch nicht statt. Demografische Entwicklungen in Europa und in Österreich lassen vermuten, dass die Nachfrage nach diesen Diensten in den nächsten Jahren noch steigen wird. 

Jede Menge illegaler Jobs 

Schon 2009 ließen sich in Österreich nach Schätzungen der Marktanalysten Kreutzer, Fischer und Partner die privaten Haushalte diese Unterstützung über zwei Mrd. Euro kosten. Mehr als vier Fünftel davon fließen in den informellen Bereich. Dabei sind neun von zehn HausarbeiterInnen weiblich. Die Tätigkeiten (Putzen, Waschen, Kochen, Einkaufen, Kinderbetreuung und Pflege), sind ebenso unterschiedlich wie die Beschäftigungsverhältnisse: Sie umfassen Putzjobs mit einer Wochenarbeitszeit von zwei Stunden, aber auch den ständigen Bereitschaftsdienst von Frauen, die in den Haushalten ihrer ArbeitgeberInnen leben. Damit entstehen eine Menge neuer Jobs, allerdings vor allem illegale. Die Migrantinnen riskieren Strafen wegen Schwarzarbeit, verlieren ihr Einkommen, wenn sie krank sind, und an eine Altersversorgung ist nicht zu denken. Dazu kommen Probleme wie viel zu geringe Einkommen, nicht bezahlte Überstunden oder sogar das Vorenthalten von Lohn sowie immer wieder auch Gewalt und sexuelle Belästigung.
Was gleich geblieben ist, ist dass diese Arbeiten hauptsächlich von Frauen erledigt werden. Geändert hat sich, dass durch die Migration die Dienstbotinnenfrage neben der Klassenfrage eine ethnische und nationale Dimension dazugewonnen hat. Zudem sind die Haushaltsarbeiterinnen heute nicht mehr zur Überbrückung der Zeit zwischen Schule und Hochzeit tätig. Es sind keine "Mädchen", sondern erwachsene Frauen. Häufig haben sie bereits Familie, die sie in ihren Heimatländern zurücklassen müssen. Und sehr oft sind sie auch gut gebildet, wie viele Osteuropäerinnen, die in österreichischen Haushalten putzen. Mit ihren Berufen als Lehrerinnen oder Ärztinnen finden sie in ihren Heimatländern jedoch keine Arbeit oder verdienen zu wenig, um ihre Familie zu ernähren bzw. ihren Kindern eine gute Bildung zu finanzieren.
Wie verändern sich Beziehungen zwischen Eltern und Kindern, wenn die Migrantinnen im schlimmsten Fall jahrelang von ihren Familien getrennt sind? Wie eine Studie der US-Soziologin Rhacel Parrenas (2001) zeigt, entstehen dadurch neue Vorstellungen über "Familie": Mutter-Sein ist nicht durch die räumliche Nähe zu den eigenen Kindern definiert, sondern zeigt sich vor allem durch finanzielle Unterstützung. Auch Arlie Hochschild kommt zu einer ähnlichen Feststellung, wenn sie fragt: "Importieren Länder der Ersten Welt wie die USA heute Mutterliebe, wie sie früher Kupfer, Zink, Gold und andere Bodenschätze aus den Ländern der Dritten Welt importiert haben? (...) Unter den beschriebenen Bedingungen führen globale Betreuungsketten weltweit zu zunehmender emotionaler Ungleichheit und sozialer Ungerechtigkeit. Es geht Hochschild aber dabei nicht darum, hier traditionelle Vorstellungen von Mutterschaft zu verteidigen, wie etwa, dass Kinder nur bei ihren Müttern glücklich sein können. Die Wissenschafterin macht vor allem auf die psychischen Kosten und auf das Risiko der Entfremdung aufmerksam, wenn Mutterschaft vor allem materiell, etwa durch Finanzierung einer Schulbildung, gelebt wird.
 

Lösungsansätze 

Wenn diese globale Ungleichheit verringert werden soll, muss zumindest an zwei Punkten angesetzt werden. Zum einen müssen Männer ihren Teil der unbezahlten Betreuungs- und Versorgungsarbeit übernehmen, anstatt dass diese auf der "sozialen Klassenleiter" zwischen den Frauen weiter nach unten gereicht wird. Zum anderen ist es notwendig, MigrantInnen den Zugang zum regulären Arbeitsmarkt zu ermöglichen, und ihnen so ein Einkommen mit der entsprechenden sozial- und arbeitsrechtlichen Absicherung zu ermöglichen. Der transnationale MigrantInnenstreik am 1. März diesen Jahres hat ein wichtiges Zeichen gesetzt, Bewusstsein dafür zu schaffen. 

Internet:
Für den ersten Überblick:
tinyurl.com/yaujs3h
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