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Weltmeister im KV Wer sich um eine Arbeit in einem anderen Land bewirbt und dafür das vertraute Umfeld verlässt, sollte die Kernelemente mit relevanter Wirkung auf den Arbeitsvertrag und das Einkommen kennen: Formalqualifikation, Zeugnisse, Kompetenzen und Berufserfahrung.

Weltmeister im KV

Schwerpunkt

Gerade nach der Arbeitsmarktöffnung am 1. Mai ist es mehr denn je notwendig, Kollektivverträge zu nutzen und europafit zu machen!

97 Prozent aller Arbeitsverträge haben als Basis einen Kollektivvertrag. Damit ist Österreich Weltmeister. Zusammen mit dem Recht des Betriebsrates, die richtige Einstufung im Kollektivvertrag zu überprüfen, gibt es also rechtlich sehr gute Voraussetzungen, fehlerhafte Verträge und Diskriminierung durch zu geringe Entlohnung zu verhindern. Dennoch warten Fallen an verschiedenen Stellen und es gilt, einige rechtliche und praktische Hürden zu überwinden, damit offene Arbeitsmärkte Chancen bieten. 

Erstinformation im Heimatland

Kollektivverträge in anderen Ländern sind meist ganz anders als in Österreich. Sie haben insgesamt einen geringeren Stellenwert und sind eher auf betrieblicher denn auf Branchenebene angesiedelt (in Polen existieren zum Beispiel 12.000 Kollektivverträge, von denen nur 50 auf nationaler Ebene eine ganze Branche umfassen). Sehr oft enthalten sie weder Qualifikations- oder Tätigkeitsbeschreibungen, noch berücksichtigen sie berufliche Erfahrungen. Auch Mindestgehälter sind nur manchmal geregelt. In manchen Ländern sind größere Gruppen qualifizierter ArbeitnehmerInnen von den Kollektivverträgen ausgenommen, während sie in Österreich in ihren Genuss kommen.Wichtig ist daher klarzumachen, dass die Dokumentation der beruflichen Qualifikation und der konkreten Tätigkeiten durch Arbeitszeugnisse eine wichtige Voraussetzung dafür ist, den Kollektivvertrag in Österreich in seinen Möglichkeiten richtig nutzen zu können.
Wer sich um eine Arbeit in einem anderen Land bewirbt und dafür das vertraute Umfeld verlässt, sollte die Kernelemente mit relevanter Wirkung auf den Arbeitsvertrag und das Einkommen kennen: Formalqualifikation und Zeugnisse, Kenntnisse, Fertigkeiten, Kompetenzen und Berufserfahrung.

Diese Kernelemente können gesetzlich definiert sein (besonders im öffentlichen Dienst und in gesetzlich reglementierten Berufen), in branchenweiten Kollektivverträgen, durch kollektive Vereinbarungen auf Betriebsebene oder individuell im Arbeitsvertrag selbst.
Die Bedeutung der richtigen Einstufung und damit der richtigen Bezahlung muss besonders hervorgehoben werden. Eine Nichtanerkennung von Vordienstzeiten (durch Unkenntnis oder Mangel an Nachweis) ist kaum aufzuholen, eine Einstufung in eine falsche Gruppe kann Gehaltsdiskriminierung nach sich ziehen. Der Betriebsrat hat aus der Arbeitsverfassung ein Recht, bei der Einstellung neuer MitarbeiterInnen über die vorgesehene Tätigkeit und damit die entsprechende Einstufung im Kollektivvertrag informiert zu werden.
Die Kenntnis einer oder mehrerer zusätzlicher Sprachen ist hierbei außerdem als Aufwertung zu berücksichtigen, zum Beispiel bei Verkaufs- und Beratungstätigkeiten.
Das gibt dem Betriebsrat auch die Möglichkeit, die neuen MitarbeiterInnen über ihre Rechte aufzuklären, nach beruflichem Erfahrungshintergrund, Arbeitszeugnissen und Vordienstzeiten zu fragen.
Wenn bei der Einstellung Fehler im Arbeitsvertrag hinsichtlich der Einstufung passiert sind, so können und sollen sie in den darauffolgenden Wochen repariert und der Vertrag korrigiert werden. Auch dazu kann der Betriebsrat aktiv werden. Positiver Nebeneffekt: So kann der Betriebsrat das Vertrauen der neuen MitarbeiterInnen gewinnen und sie auch für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft motivieren.
In der Metallindustrie sieht der Kollektivvertrag eine erweiterte Mitsprache vor: Bei Nichteinigung auf betrieblicher Ebene kann der Betriebsrat ein Vermittlungsverfahren der Kollektivvertragsparteien einleiten. In Betrieben ohne Betriebsrat kann die Gewerkschaft vermittelnd eingreifen, wenn die Einstufung einer oder mehrerer Gruppen von Angestellten als falsch vorgenommen vermutet wird.
 

"Facheinschlägige Vordienstzeiten" 

Die meisten österreichischen Kollektivverträge kennen eine Anrechnung der Berufserfahrung, wenn sie für die vorgesehene Tätigkeit in der neuen Arbeit relevant ist. "Facheinschlägige Vordienstzeiten" werden im definierten Ausmaß angerechnet und bewirken dann ein entsprechend höheres Gehalt in der jeweiligen Tätigkeitsstufe. Sie können auch aus einer selbstständigen beruflichen Tätigkeit resultieren. In jedem Fall müssen sie nachgewiesen werden. Bei einem Berufswechsel im selben Land und in derselben Branche ist das durch das Dienstzeugnis meist leicht zu bewerkstelligen. Schwieriger wird es beim Branchen- und damit Kollektivvertragswechsel, denn die Strukturen und Beschreibungen der Kollektivverträge können sehr unterschiedlich sein; der Nachweis facheinschlägiger Tätigkeit gelingt dann nur in einer detaillierten Einzelbestätigung, wie sie in Standarddienstzeugnissen nicht immer gegeben ist.
Wenn beim Arbeitswechsel von einem in ein anderes Land die Qualifizierungswege, die Kollektivverträge, die Strukturen und die Arbeitsverträge stark unterschiedlich sind, die eventuell vorhandene Dokumentation nur in einer Übersetzung vorliegt oder überhaupt nicht mehr aufzutreiben ist, weil die Arbeitgeberinstitution mit dem politischen Umbruch einfach untergegangen ist, dann kann der Nachweis der Vordienstzeiten ein sehr schwieriges Unterfangen werden.
 

Gesetzlich geregelte Berufe 

Insbesondere im Gesundheits- und Pflegebereich gibt es viele gesetzlich gere-gelte Berufe: Ohne entsprechendes Zeugnis als Qualifikationsnachweis dürfen qualifizierte Tätigkeiten nicht ausgeführt werden. Es dient auch als Nachweis für die korrekte kollektivvertragliche Einstufung und bestimmt damit das Gehalt.
Facheinschlägige Nachweise und Zeugnisse aus einem anderen Land müssen in Österreich "nostrifiziert", das heißt als gleichwertig beglaubigt werden: Eine manchmal aufwendige Prozedur, die zu einer besonderen Hürde bis hin zur Diskriminierung führen kann, wenn Auflagen erteilt werden, die nicht sachlich begründbar sind, sondern rein protektionistischer Absicht entspringen.
Auf diesem Gebiet können Betriebsrat und Gewerkschaft Hilfen zur Überwindung der Bürokratie bieten, mittelfristig sind aber gesetzliche Initiativen auf nationaler und vor allem auch auf europäischer Ebene erforderlich, um die Arbeitsmobilität zu erleichtern.
 

Kollektivverträge europafit 

Arbeitsplatzwechsel quer durch Branchen, aber auch im offenen europäischen Arbeitsmarkt werden in Zukunft sicher weiter zunehmen. Damit ist eine erhöhte Herausforderung gegeben, was Anerkennungen von Berufserfahrungen aus unterschiedlichen Hintergründen anlangt.
Das Stichwort heißt "stärkere Durchlässigkeit" der Systeme. Hier gibt es Reformbedarf mit mehreren Ansatzmöglichkeiten: Zusammenfassung von Kollektivverträgen zu größeren Komplexen (auch branchenübergreifend, zum Beispiel bei Dienstreisebestimmungen), Harmonisierung der Tätigkeitsbeschreibungen für größere Gruppen, um die Vergleichbarkeit zu erhöhen, Andocken an das Matrixsystem des Europäischen Qualifikationsrahmens mit seinen drei Säulen von "Kenntnissen" (Qualifikation), "Fertigkeiten" (Anwendung) und "Kompetenzen" (persönliche, soziale, entwicklungsbezogene Nutzung) und seinen acht Niveaus, um unterschiedliche Beschreibungssysteme vergleichbarer zu machen.
 

Initiativen auf europäischer Ebene

Auf europäischer Ebene kann die Transparenzrichtlinie 91/533EEC verbessert werden: Bei den Mindestanforderungen an einen Arbeitsvertrag soll auch das Kompetenzniveau entsprechend dem Europäischen Qualifikationsrahmen als verbindlich verankert und mit dem Recht auf ein standardisiertes Arbeitszeugnis die Anrechnung und Berücksichtigung von Berufserfahrung erleichtert werden. 

Internet:
Argumentarium Arbeitsmarktöffnung:
www.gpa-djp.at/international
Mit Fakten zu den Übergangsfristen und zur Arbeitsmarktöffnung, zum Kollektivvertrag, zur europaweiten Entsendungspraxis und zu den neuen gesetzlichen Handhaben gegen Lohn- und Sozialdumping.
Erfahrungen länderübergreifender Mobilität im Projekt "Dobrodošli":
www.gpa-djp.at/dobrodosli 
Mit Analysen zur Komplexität der Kollektivvertragslandschaft in Europa, Beispielen aus Polen, Ungarn, Tschechien und Österreich, Vorschlägen und Initiativen zur Überwindung von Mobilitätshindernissen auf europäischer und nationaler Ebene.
Schreiben Sie Ihre Meinung
an den Autor
gerald.musger@gpa-djp.at 
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