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Das Recht zu gehen und zu bleiben Spitou Mendy: "Ja, wir brauchen einen neuen gewerkschaftlichen Internationalismus! Denn wir haben als Arbeiterinnen und Arbeiter im Grunde dieselben Interessen. Wir müssen es endlich schaffen, die Arbeitsbedingungen global zu harmonisieren."

Das Recht zu gehen und zu bleiben

Internationales

Eine Karawane durch Westafrika von Bamako in Mali zum Weltsozialforum in Dakar im Senegal vernetzte gewerkschaftliche und antirassistische Initiativen.

Ende Jänner diesen Jahres startete in Bamako, der Hauptstadt von Mali eine ganz besondere Reise: Über 250 AktivistInnen machten sich in Bussen auf den 1.200 Kilometer langen Weg nach Dakar, der Hauptstadt Senegals. Dort fand Anfang Februar das 10. Weltsozialforum statt.
Die Karawane startete unter dem Motto "für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung" und umfasste TeilnehmerInnen aus Mali und Senegal genauso wie aus Österreich, Deutschland, Holland, Frankreich und Spanien. Bereits ein Jahr zuvor war mit der Gründung des Netzwerks "Afrique Europe Interact" der Grundstein für diese ambitionierte Unternehmung gelegt worden. Neben Organisationen von Abgeschobenen in Westafrika und antirassistischen Gruppen in verschiedenen europäischen Ländern waren auch gewerk-schaftliche Initiativen von Anfang an eingebunden. Spitou Mendy von der andalusischen Landarbeitergewerkschaft SOC war auf der Reise mit dabei. Seine Arbeit wie seine gesamte Biografie steht für transnationale Gewerkschaftsarbeit auf der Höhe der Zeit.

Von Dakar nach Almería und zurück

Was die InitiatorInnen der Karawane einte, war die Überzeugung, dass sich an den vorherrschenden Ungleichheitsverhältnissen zwischen Nord und Süd nur dann etwas ändern kann, wenn soziale Bewegungen über nationalstaatliche Grenzen hinweg verbindlich, auf lange Sicht und auf gleicher Augenhöhe von der Basis her zusammenarbeiten.
Dies gilt insbesondere auch für Gewerkschaften - denn globalisierte Produktionsketten sowie die Realität der Migration lassen nationalstaatlich orientierte Interessenpolitiken immer häufiger ins Leere laufen - sie erweisen sich für Gewerkschaften als ein Schuss ins Knie. Außerdem zeigen die Krisendynamiken seit 2008 einmal mehr, dass klar antirassistische Positionierungen der europäischen Gewerkschaften vonnöten sind, will man nationalistischen oder wohlstands-chauvinistischen Deutungsmustern der Krise Einhalt gebieten.
Ein positives Beispiel für solch eine Positionierung ist die andalusische LandarbeiterInnengewerkschaft SOC. Sie ist u. a. in der Region von Almería aktiv, die durch Dokumentarfilme wie "We feed the world" oder "Unser täglich Brot" bekannt wurde. In Almería schuften unter mehr als 35.000 ha Plastikplanen ca. 150.000 migrantische ArbeiterInnen aus afrikanischen, lateinamerikanischen und osteuropäischen Ländern. Sie pflegen und ernten das Gemüse, das vor allem während der Wintermonate in den europäischen Supermärkten verkauft wird. Die SOC verteidigt die Rechte aller ArbeiterInnen ungeachtet ihrer Herkunft und ihrem rechtlichen Status.
Spitou Mendy von der SOC kommt aus einem der klassischen Herkunftsländer der LandarbeiterInnen: aus dem Senegal. Im Jahr 2001 migrierte er nach Spanien. Da sich die Karawane für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung auch zum Ziel gesetzt hatte, in Mali und Senegal zu Organisationen Kontakt aufzunehmen, die aus Europa abgeschobene ArbeitsmigrantInnen betreuen und solche, die sich erst auf die Reise machen wollen, orientiert und vorbereitet, war eine Teilnahme eines Gewerkschafters der SOC mehr als naheliegend. Auf diese Weise würden die transnationalen gewerkschaftlichen Verbindungen an einer Schnittstelle gestärkt, an der sie zwar bisher kaum existieren, aber bitter benötigt werden ...
 

Vom Lehrer zum Landarbeiter

Im Senegal, genauer in der Hauptstadt Dakar, war Spitou Mendy früher Lehrer für Französisch und Spanisch. Bereits dort war er gewerkschaftlich aktiv: "Weil wir miserable Löhne bekamen, mit der wir die Miete nicht bezahlen konnten, haben wir uns organisiert. Ich war Generalsekretär der Gewerkschaft in der katholischen Privatschule, in der ich damals unterrichtet habe. Wir führten Arbeitskämpfe, um die Lebens- und Arbeitssituation der Lehrer und Lehrerinnen zu verbessern. Doch die Lohnverhandlungen kamen nicht voran. Mit der neoliberalen Restrukturierung des Bildungssektors im Land wurde die Lage absolut prekär - ich entschloss mich also zu gehen." So kam Spitou Mendy nach Spanien, wo er während der ersten Jahre seines Aufenthalts selbst erlebte, was es bedeutet, in den Plastikgewächshäusern von Almería schuften zu müssen - ohne Papiere, der Willkür der "Patrones" ausgesetzt. Nach einiger Zeit lernte er einen Landsmann kennen - und mit ihm die Gewerkschaft. Heute ist er Sekretär der SOC Almería - einer seiner Aufgabenbereiche ist der Empfang von JournalistInnen aus ganz Europa, die nach wie vor nach Almería kommen, um über die Lage im "Plastikmeer" zu berichten. Auf den zahlreichen Veranstaltungen während der Reise, die von Bamako über 1.200 km bis nach Dakar führt, erzählt Mendy öffentlich von den Erfahrungen seiner gewerkschaftlichen Arbeit in Senegal wie in Spanien.
Die sozialen Auseinandersetzungen dürfen nicht isoliert geführt werden, wie er oft betont. Die senegalesischen oder malischen Jugendlichen, die in ihrem Land keine Perspektive sehen und sich auf den Weg nach Europa machen, um dort zu arbeiten, sollen wissen, was sie erwartet. Wenn es nach Mendy geht, sollten sie bereits im Vorfeld ihrer Reise ihre Rechte kennen und wissen, wohin sie sich wenden können, wenn sie Probleme am Arbeitsplatz haben.
 

Recht, zu gehen - Recht, zu bleiben

Neben dem Recht zu gehen, also dem Recht auf globale Bewegungsfreiheit, sei aber das Recht zu bleiben ebenso wichtig - sprich, im Herkunftsland unter würdigen Bedingungen leben zu können. 
Spitou Mendy, der Senegal wegen den extrem prekären Arbeitsverhältnissen im Bildungssektor verlassen hat, führt die Verschlechterungen in seinem Land auf die neoliberalen Strukturanpassungsprogramme der letzten drei Jahrzehnte zurück - diese haben gerade in Senegal und Mali zu einem Kahlschlag öffentlicher Infrastruktur geführt. Wenn vom "Recht zu bleiben" die Rede ist, kommt des Weiteren immer wieder die Situation der Bäuerinnen und Bauern ins Gespräch. Denn die Zerstörung der Landwirtschaft spielt eine nicht unwesentliche Rolle für die Dynamik der Migration. Mendy erklärt: "Wenn ein multinationaler Konzern hierher kommt und Zehntausende Hektar fruchtbares Land für seinen eigenen Profit aufkauft, so hat dieser Konzern zu verantworten, dass die bäuerliche Landwirtschaft zerstört wird." Ein weiterer Grund für die Landflucht ist laut Mendy das Preisdumping: "Ein Liter Milch aus lokaler Produktion kostet in etwa 300 CFA (46 Euro-Cent, Anm.) Wenn ein Konsument, sei es in Bamako, in Dakar oder in Ouagadougou einen Lebensmittelladen betritt, findet er dort Pulvermilch in Päckchen vor, die viel weniger kostet! Die Konsumentin oder der Konsument wird also zu diesem Produkt greifen statt zur lokal produzierten Milch. Auf diese Weise tragen die KonsumentInnen, ohne es zu wollen, zur Zerstörung der bäuerlichen Landwirtschaft bei."
In Ländern wie Mali und Senegal beträgt in manchen Regionen die Auswanderungsquote bis zu 25 Prozent. Ländliche Gebiete sind besonders stark betroffen. Aus diesem Grund werden während der Karawane die Themenbereiche Landwirtschaft und Migration oft in einem Atemzug genannt. Besonders zynisch scheint, dass viele MigrantInnen in Europa wieder im landwirtschaftlichen Sektor arbeiten - allerdings in hochindustrialisierten Betrieben, die nicht für die Selbstversorgung, sondern für den Export produzieren.
So zeigt sich, dass die ursprüngliche Akkumulation gerade in Ländern des globalen Südens nach wie vor einen wichtigen Stellenwert für die Dynamik des kapitalistischen Wachstums hat. Auf die Zerstörung von Subsistenzwirtschaft und lokaler Ökonomie folgt die Freisetzung von Arbeitskräften, die - mobil und prekär - an anderer Stelle im globalen Produktionsprozess wieder auftauchen. Doch diese Mobilität und Prekarität hat auch ein Potenzial von Selbstbestimmung und Emanzipation.
 

"Werte global harmonisieren"

In diesem Sinn klingt es auch keineswegs nach Folklore der alten Arbeiterbewegung, wenn Spitou Mendy meint: "Ja, wir brauchen einen neuen gewerkschaftlichen Internationalismus! Denn wir haben als Arbeiterinnen und Arbeiter im Grunde dieselben Interessen. Wir müssen es endlich schaffen, die Arbeitsbedingungen global zu harmonisieren. Wir müssen also, mit anderen Worten, endlich dazu kommen, mit den Arbeitsbedingungen auch die menschlichen Werte zu harmonisieren."

Internet:
Für transnationale Entwicklung
www.afrique-europe-interact.net 
SOC Almería - LandarbeiterInnengewerkschaft
socalmeria.wordpress.com 
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