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1. Mai hoch zwei
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1. Mai hoch zwei

Interview

Rudolf Kaske, Josef Wallner und die AMS-Chefs Herbert Buchinger und Johannes Kopf über neue Chancen und Herausforderungen der Arbeitsmarktöffnung.

Arbeit& Wirtschaft: Wie entspannt sehen Arbeiterkammer und AMS der Arbeitsmarktöffnung am 1. Mai entgegen?

Rudolf Kaske: Zu diesem Anlass kann man die Bundesregierung und unseren Sozialminister Rudi Hundstorfer loben, vor allem wenn ich an das Anti-Lohn- und Sozialdumpinggesetz denke. Da sind wir sensationell unterwegs, soweit ich weiß, gibt es kein zweites Gesetz dieser Art in Europa. Am 1. Mai wird kein Arbeitsmarkt-Tsunami kommen, sondern eine geordnete Öffnung. Die meisten, die ins Ausland wollten, sind schon in die EU-Staaten ohne Übergangsregelungen gegangen. Wir erwarten heuer 15.000 bis 25.000 zusätzliche Arbeitskräfte vor allem aus den Nachbarländern - mit Ausnahme von Slowenien, dessen Kaufkraft in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist. Das ist für den heimischen Arbeitsmarkt mit 3,5 Mio. ArbeitnehmerInnen durchaus zu bewältigen.
  
Josef Wallner: Wir haben die insgesamt sieben Jahre Übergangsfrist durch selektives Öffnen gut genützt und sind aus der Krise relativ am besten hervorgegangen. In den vergangenen Jahren wurden die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik aufgestockt, um die Menschen auf die zum Teil doch etwas härteren Konkurrenzbedingungen besser einzustellen.
  
Johannes Kopf: Die Krise war sehr rasch da und auch sehr tief. Genauso überrascht wie von ihrem Ausbruch sind wir alle aber auch von ihrem raschen Ende. Derzeit werden die Wachstumsprognosen immer wieder nach oben revidiert. Jetzt sind jene Unternehmen im Vorteil, die ihre Leute behalten haben. Vor der Arbeitsmarktöffnung fürchten wir uns nicht, aktuell gibt es in manchen Branchen auch schon merklichen Arbeitskräfte-Bedarf und Österreich hat die niedrigste Arbeitslosenquote in Europa. Der 1. Mai bietet uns die Chance, im Austausch mit anderen Arbeitsmarktverwaltungen gezielt Arbeitskräfte zu suchen. Wir möchten den Bedarf aber nicht nur durch Zuwanderung, sondern auch durch Ausbildung decken.
  
Herbert Buchinger: Kleinere Probleme erwarten wir eigentlich nur bei unqualifizierten Arbeitskräften. Hier werden wir uns noch mehr anstrengen, diese Gruppe durch zertifizierte Abschlüsse zu qualifizieren. Die Modularisierung von Facharbeiterausbildungen ermöglicht, dass Betroffene kürzere Arbeitslosigkeiten für die Weiterbildung nützen und damit sukzessive eine Ausbildung erhalten.
  
Welche neuen Herausforderungen gibt es?
  
Wallner: Angesichts der doch etwas verschärften Bedingungen im Zuge der Arbeitsmarktöffnung sollte sich das AMS mehr um alle ArbeitnehmerInnen kümmern, auch um die qualifizierten. Diese sollten nicht nur wegen des Arbeitslosengeldes zum AMS kommen. Ich würde es nicht gut finden, wenn Unternehmen in Zukunft über internationale Agenturen Arbeitskräfte suchen und nicht über das AMS.
  
Buchinger: Derzeit wird das AMS bei 38 Prozent der freien Stellen mit einbezogen, bei AkademikerInnen sind es nur zehn Prozent. Unser Fokus liegt bei den Menschen, die nicht oder kaum ausgebildet sind. Auch die Mindestsicherung bringt eine neue Klientel zu uns, die zum Teil sehr Arbeitsmarkt-fern ist. Insofern gibt es einen Rückstau, mit dessen Abarbeitung wir sicher noch mindestens zwei Jahre beschäftigt sein werden.
Kopf: Stimmt, wir haben zu wenig Angebote für Höherqualifizierte, vor allem AkademikerInnen. Und das ist auch für das Image des AMS schlecht, weil diese Menschen und deren Arbeitgeber wichtige Meinungsträger sind. Andererseits: Fast 50 Prozent unserer Kunden/Kundinnen haben nur Pflichtschulabschluss. Die Selbsthilfefähigkeiten von AkademikerInnen sind ungleich höher. Dazu kommt noch, dass gute Jobs meist nicht mit Arbeitslosen, sondern mit JobwechslerInnen besetzt werden. Doch wir werden unsere Selbstbedienungsangebote weiter ausbauen, was dann wiederum das AMS für qualifizierte Arbeitskräfte auch attraktiver macht.
  
Kaske: In Zukunft müssen wir beide Segmente mit maßgeschneiderten Angeboten bedienen. Es gab in letzter Zeit schon eine gute Weiterentwicklung des AMS zu einem dienstleistungsorientierten Unternehmen. Aber es gibt noch Verbesserungspotenzial: Mehr Zeit für Beratung statt Schnellabfertigung, wertschätzender Dialog mit den Kunden/Kundinnen usw. - darum geht es. Mit 1. Mai entsteht einer der größten Arbeitsmärkte der Welt, der bietet auch eine Chance für qualifizierte Arbeitskräfte. Wie das Ganze tatsächlich ausgeht, das können wir trotz Expertenprognosen nicht genau sagen. Die EU-8 haben jedenfalls seit 2004 stark aufgeholt.
   Noch kurz zu Kollegen Kopf: Ja, wir sind bezüglich Wachstum gut unterwegs, aber erst ab 2,5 Prozent Wirtschaftswachstum reduziert sich die Arbeitslosigkeit. Denn - da unterscheiden wir uns etwas - ich bin nicht sicher, dass die Krise wirklich vorbei ist. Noch haben wir mehr Arbeitslose als davor.
Kopf: Die europäische Idee lebt auch davon, dass nicht jeder bei sich zu Hause bleibt. All jene, die gern im Ausland arbeiten möchten, haben jetzt noch mehr Chancen. In den vergangenen Jahren wurden mit der schrittweisen Öffnung die Arbeitskräfte dort geholt, wo sie gebraucht wurden. Das hat sich auf alle Beteiligten positiv ausgewirkt.
  
Was kann Österreich aus den Erfahrungen seit der Öffnung 2004 lernen?
  
Wallner: Die schrittweise Öffnung war eindeutig besser als die plötzliche wie z. B. bei Großbritannien. Derzeit bekommen heimische Firmen zum Teil für ihre Baustellen in Rumänien vor Ort keine Arbeiter, weil diese etwa in Andalusien Paprika ernten. Die AK hat mehrere Studien über die Auswirkungen der Arbeitsmarktöffnung in Großbritannien durchgesehen: Die meisten Leute, die dorthin ausgewandert sind, wurden nicht ihrer Ausbildung entsprechend eingesetzt, da haben dann beispielsweise AkademikerInnen als RezeptionistInnen gearbeitet. Selbstverständlich waren auch die großen Lohnunterschiede ein Motiv, so haben niederländische Firmen in Polen über ganze Häuserwände um die dortigen Arbeitskräfte geworben.
  
Kopf: Es gibt zwischen den Arbeitsmarktverwaltungen in Europa einen sehr regen Austausch. Wir haben alle ähnliche Erfahrungen, sind aber keine Konkurrenten. Österreich gilt vielen als Vorbild. Von Deutschland konnten bzw. können wir punkto Erstkontakt lernen, Deutschland von uns beim Qualitätsmanagement.
Welche Änderungen plant das AMS?
  
Buchinger: Erstens: Den durch die Mindestsicherung gestiegenen Anteil von unqualifizierten Kunden/Kundinnen werden wir in den nächsten drei Jahren nicht allein bewältigen, hier müssen wir daher mit externen Beratern zusammenarbeiten. Zweitens: Für maßgeschneiderte Dienstleistungsangebote müssen wir die Lebensumstände der Betreffenden differenziert erfassen. Derzeit rechnen wir für einen Standard-Erstkontakt 22 Minuten, in der Praxis reduziert sich das durch Personalknappheit oft auf rund zehn Minuten. In Deutschland rechnet man für den Erstkontakt eine Stunde, so fühlen sich die Leute ernst genommen und gut betreut. Drittens brauchen wir mehr Ressourcen, um das Service für die Unternehmen zu verbessern. Denn nicht jeder, der die formalen Anforderungen erfüllt, passt dann auch in den jeweiligen Betrieb. Viertens: Die Zuteilung zu Kursen und Maßnahmen erfolgt derzeit noch zu schablonenhaft, hier gibt es viel Unzufriedenheit - nicht mit den Kursen selbst, aber mit der Art und Weise der Zuteilung. Wir können allerdings nicht darauf vertrauen, dass uns der Staat dafür das Personal finanziert, daher müssen wir - etwa durch mehr Technologieeinsatz - effizienter werden und gleichzeitig die Selbsthilfefähigkeit der Leute stärken.

Kaske: Das AMS zählt zu den schlanksten Arbeitsmarktverwaltungen in Europa, und die BeraterInnen stehen sehr unter Druck. Hier ist die Politik gefordert.
  
Wallner: Die deutsche Bundesagentur für Arbeit hat mehr als 100.000 MitarbeiterInnen; niemand verlangt jetzt, dass Österreich dementsprechend das AMS auf 10.000 Angestellte aufstockt, aber aktuell sind es nur 4.800!
  
Das Lohn- und Sozialdumpingbekämpfungsgesetz wird Bezahlung unter dem KV bestrafen. Kann das nicht mit sich bringen, dass sich in manchen Branchen Löhne und Gehälter allmählich in Richtung Mindestlohn zurückentwickeln?
  
Kaske: Österreich hat wirklich eine Vorreiterrolle für gleiche Bezahlung eingenommen, und die Strafen sind schließlich kein Klacks. Außerdem ist dieses Gesetz auch für Arbeitgeber-VertreterInnen interessant, denn es kann Wettbewerbsverzerrungen verhindern.
  
Wallner: Für mich ist das Glas eindeutig halb voll. Es ist eben leider keine Selbstverständlichkeit, dass ausländische Arbeitskräfte den Mindestlohn bekommen. Außerdem ist ein Monitoring geplant, sollten sich Lücken zeigen, wird es Verbesserungsvorschläge geben.
  
Kopf: Wie weit der KV-Mindestlohn üblich ist, ist je nach Branche sehr unterschiedlich. In kleineren Gewerbebetrieben etwa ist das durchaus normal. Wichtig ist außerdem, dass die ArbeitnehmerInnen ihrer Ausbildung und ihren Tätigkeiten entsprechend eingestuft werden.
  
Wie einfach ist es, die Öffnung auch wirklich zu nützen, wie steht es etwa um die Anerkennung von Abschlüssen?
  
Buchinger: Hier besteht Handlungsbedarf. So dauert etwa das Nostrifizierungsverfahren für eine Krankenschwester aus Bratislava rund ein Jahr und kostet mehrere Hundert Euro - obwohl dort das Ausbildungsniveau mindestens gleich hoch ist.
  
Wallner: Auch Informationsmangel ist ein Manko, ein polnischer Handwerker etwa braucht für seine korrekte Einstufung eine Bestätigung des Wirtschaftsministeriums. An sich nicht kompliziert, aber er muss das auch wissen, damit er nicht falsch eingestuft und unterbezahlt wird. Wir befürchten, dass eine Vereinfachung in diesem Bereich noch eine Weile dauern wird. Schließlich gibt es sogar innerhalb von Österreich zum Beispiel im Gesundheitsbereich Probleme mit der Anerkennung von Abschlüssen.
  
Kaske: Es gibt im Tourismus eine Brancheninitiative von Arbeitgebern und ArbeitnehmerInnen für einen europäischen Qualifikationspass. Keine leichte Sache, die Diskussionen dauern schon mehrere Jahre, aber jetzt sind wir in der Zielgeraden. Außerdem wurde die Kooperation mit ausländischen Gewerkschaften verstärkt, zum Beispiel mit Ungarn. In regionalen Projekten werden InteressentInnen über die Anerkennung von Abschlüssen und Ähnliches direkt informiert.
  
Was ändert sich bei den Saisonierquoten?
  
Kaske: Davon sind traditionell Landwirtschaft und Tourismus stark betroffen. Stammsaisoniers aus Bulgarien, Rumänien oder aus Drittstaaten, die seit mehreren Jahren nach Österreich kommen, unterliegen keiner Quotenregelung. Die restliche Saisonierquote wird reduziert.
  
Kopf: Die genauen Zahlen stehen noch nicht fest, das Sommer-Kontingent wird im April festgesetzt.
  
Welche positiven Effekte kann die Arbeitsmarktöffnung bringen?
  
Wallner: Der größere Wirtschaftsraum bringt mehr Dynamik und Wirtschaftswachstum. Es fragt sich nur, wie wird dieser Wohlstand verteilt? Eine AK/FORBA-Umfrage unter BetriebsrätInnen zur EU-Er-weiterung ergab, dass die Gewinne in 71 Prozent der Betriebe gestiegen sind, nur 13 Prozent haben diese zum Teil auch an die ArbeitnehmerInnen weitergegeben.
  
Kopf: Das Projekt Europa bringt Arbeit, Sicherheit, Wohlstand und Frieden, das dürfen wir nicht vergessen. Nicht zuletzt dadurch ist heute für viele Menschen internationaler Austausch schon im Jugendalter möglich.

Kaske: Es gibt Wirtschaftsbereiche mit Quoten bis zu 30 Prozent, die ohne ausländische Arbeitskräfte nicht funktionieren würden.
Die früher mit den sogenannten Gastarbeitern abgedeckt wurden ...
  
Buchinger: Die Integrationsprobleme mit diesen Gruppen sind zum Teil bis heute nicht gelöst. Unsere Nachbarländer stehen uns kulturell näher, hier sind diesbezüglich weniger Probleme zu erwarten.
  
Wallner: Das Wachstum der vergangenen Jahre und damit viele Arbeitsplätze hängen auch mit der Ostöffnung zusammen, was sich natürlich nur schwer beweisen lässt. All jenen aber, denen durch mehr Konkurrenz der Wind schärfer ins Ge-sicht bläst, muss das AMS Hilfestellung geben. Die Menschen brauchen Unterstützung, wenn sie sich beruflich verändern müssen, und zwar nicht nur die Geringqualifizierten.
  
Kopf: Ich verstehe den Wunsch, in der Lebensmitte den Beruf zu wechseln. Nur kann das AMS nicht als Weiterbildungsagentur tätig sein, dazu fehlen die Mittel.
  
Wallner: Das ist eine Doppelbotschaft, die keiner versteht, einerseits das lebenslange Lernen zu postulieren, und wenn die Menschen das begriffen haben zu sagen, das ist dein persönlicher Wunsch und nicht unser Problem. In der Regel geht es dabei ja nicht um esoterische Selbstverwirklichungswünsche, sondern die Betreffenden sind getrieben von den Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt.
  
Buchinger: Wir sind die kleinste Sozialversicherung, nur 2,8 Mio. ArbeitnehmerInnen von insgesamt 4,1 Mio. Erwerbstätigen zahlen den dreiprozentigen Beitrag zur Arbeitslosenversicherung. Man kann uns dafür nicht alles umhängen.

Wir danken für das Gespräch.

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