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Sparpolitik ist common nonsense Allein 83 Prozent der Frauen in Österreich arbeiten im Dienstleistungsbereich. Aber noch immer gelingt es Industriellen und ihren InteressenvertreterInnen, der Öffentlichkeit und eben auch den PolitikerInnen einzureden, dass sie die Wirtschaft wären.

Sparpolitik ist common nonsense

Schwerpunkt

Nahezu alle nicken, wenn es heißt: Der Staat muss sparen. Doch ist das wirklich so? Wem nützt das? Und wann ist das Gegenteil richtig?

Die Finanzwirtschaft und allen voran die Banken haben die Krise verursacht und die Realwirtschaft und die ArbeitnehmerInnen mitgerissen. Die globale Finanzkrise hat nach Angaben von FMA-Vorstand Kurt Pribil bisher 11,2 Billionen Euro (15 Bio. Dollar) gekostet. In dieser Zahl mit zwölf Nullen sind auch die Kursverluste an den Börsen enthalten, die mit der Krise einhergingen.
Doch schon im vergangenen Jahr haben sich die Banker an der New Yorker Wall Street Boni in der Höhe von 144 Mrd. Dollar ausgezahlt. Sparen müssen also andere. Die arbeitenden Menschen und "der Staat". Denn "man kann nicht mehr ausgeben als man einnimmt", das weiß, so argumentierte zumindest die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, jede schwäbische Hausfrau. So weit der common sense. Doch ist das wirklich so? Muss der Staat sparen? Und auf wessen Kosten muss er das tun?
 

Fehlschluss: Staat ist wie Hausfrau

"Das Problem bei solchen Vergleichen, ist der Analogieschluss. Der einzelne Haushalt hat keine wirkliche Möglichkeit seine Einnahmen zu erhöhen, und wenig Möglichkeiten seine Ausgaben zu senken", so Stephan Schulmeister, Experte im Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) zum Fehlschluss Hausfrau - Staat. Die Auswirkungen des Sparens sind einfach nicht zu vergleichen. Während es außer der Familie selbst niemandem auffällt, wenn die Ausgaben strikt begrenzt werden, so sind die Auswirkungen, wenn der Staat auf die Ausgabenbremse steigt für die Volkswirtschaft oftmals fatal: "50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes laufen über den öffentlichen Sektor, das hat immense Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft", betont Schulmeister. Dabei hat der Staat - im Gegensatz zur Durchschnittsfamilie - sehr wohl sinnvolle Möglichkeiten, die Einnahmen zu steuern, sprich - im Einzelfall eben auch zu erhöhen.

Vergleich Staat Unternehmen hinkt

Aber auch der oft zitierte Vergleich Staat - Unternehmen hinkt etwas: Andrea Grisold, Professorin für Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien erklärt: "Der Analogieschluss Staat/Unternehmen hält schon deshalb nicht, weil sich auch Unternehmen verschulden, um ihre Rechnungen zu zahlen oder Investitionen zu tätigen."
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, der Doktrin vom eisernen Sparen nicht auf den Leim zu gehen: Denn was für einen Einzelnen richtig ist, ist für die Gruppe alles andere als hilfreich, erklärt Schulmeister anhand eines Beispiels im Theater: "Wenn einer aufsteht, ist das für ihn gut, weil dann sieht er besser. Wenn das aber alle im Zuschauerraum machen, dann sieht wieder jeder gleich schlecht wie vorher."
Etwas was für einen Einzelnen rational und naheliegend erscheint, kann für das System Staat irrational sein und das Gegenteil dessen bewirken, was man erreichen will: "Wenn nämlich zum Beispiel der Staat die Wirtschaftsleistung zurückfährt", so Stephan Schulmeister, dann schadet das dem gesamten System.

Gute Schulden, schlechte Schulden

Es kommt also, so sind sich die ExpertInnen einig, sehr darauf an wofür der Staat Schulden macht. Andrea Grisold: "Aus ökonomischer Perspektive sind all jene Staatsschulden sinnvoll, die zu einem höheren wirtschaftlichen Output und einem höheren Wohlstand in der Zukunft führen."
Woher aber kommt die Ansicht, dass der Staat wie Muttchen aus den Fünfzigerjahren das Haushaltsbuch zu führen hat und keine Schulden machen darf?
"Es sind komplexe Prozesse verbunden mit einem massiven Paradigmenwechsel, der dazu geführt hat, dass sich die Meinung 'der Staat ist schlecht, Privat ist gut‘ als Weltanschauung und allumfassende Mode durchgesetzt hat", so Schulmeister. Auch PolitikerInnen scheitern, wenn sie andere Ansichten vertreten, denn gegen die Medien Politik zu machen wurde zunehmend schwieriger. Also alles eine unumkehrbare, quasi naturgesetzliche Sache? "Man könnte es schon ganz anders machen, wenn man ein Konzept hätte", erinnert Schulmeister an Franklin Delano Roosevelt, der 1933 Amerika mit seinem New Deal aus der Depression holt. Der New Deal war eine Reihe von Wirtschafts- und Sozialreformen in den USA, die mit massiven staatlichen Investitionen die Binnenkonjunktur ankurbelten. Damals waren ein Viertel der US-AmerikanerInnen arbeitslos und die Not war groß.
Stefan Schulmeister meint, dass heutzutage viel Zivilcourage und eigenes Denken vonnöten wäre, um diesem neoliberalen Paradigma etwas entgegenzusetzen. Dazu kommt, so Luise Gubitzer, Professorin am Institut für Institutionelle & Heterodoxe Ökonomie der WU, "dass wir schon längst in einer Dienstleistungsgesellschaft leben. Allein 83 Prozent der Frauen in Österreich arbeiten im Dienstleistungsbereich. Aber noch immer gelingt es Industriellen und ihren InteressenvertreterInnen, der Öffentlichkeit und eben auch den PolitikerInnen einzureden, dass sie die Wirtschaft wären. Dabei steht ihre Wirtschaftsleistung in keiner Relation zu ihrer Macht."

Sparen und die Folgen

Die Politik hat dadurch oftmals einen sehr eingeschränkten Begriff von der Wirtschaft. Luise Gubitzer erklärt: "Wenn gespart wird, was sich derzeit überall abzeichnet, dann muss man auf die Frauen schauen und sich fragen: Welche Bedeutung haben diese Bereiche, in denen gespart wird, für die Versorgung der Menschen? Es sind wesentliche Versorgungsbereiche wie zum Beispiel Pflege, in denen eingespart wird, und dort wird doppeltes Leid verursacht: Zum einen bei den ArbeitnehmerInnen und zum anderen bei den KlientInnen." Man sollte, so Gubitzer, den Staatshaushalt eher durch Sparen in jenen Bereichen sanieren, die nicht versorgungsrelevant sind "Die Abwrackprämie war aus dieser Sicht nicht sonderlich sinnvoll." Durch Einsparungen im Dienstleistungsbereich gehen vor allem Frauenarbeitsplätze verloren, und die unbezahlte Arbeit nimmt zu. Zum Beispiel werden die Krankenhäuser angehalten, die Verweildauer von PatientInnen deutlich einzuschränken, was dazu führt, dass vor allem Frauen die Pflege zu Hause unbezahlt übernehmen. Durch den Verlust von Arbeitsplätzen geht dem Staat aber auch wertvolles Humankapital und produktive Kapazitäten verloren.

Mehr Schulden, weniger Arbeitslose?

Soll der Staat also ganz nach der Aussage des eben erst hymnisch gefeierten Bundeskanzlers Kreisky lieber ein bisschen mehr Schulden machen, um Arbeitslosigkeit zu verhindern?
Andrea Grisold meint dazu: "Grundsätzlich hatte Kreisky Recht. In der längerfristigen ökonomischen Perspektive hatte er Recht." Stephan Schulmeister ist sich ebenfalls sicher: "Kreisky hatte sehr wohl Recht, die Lage in Österreich hätte sich damals durch Sparen verschlimmert."
Luise Gubitzer, die die Finanzmarktkrise mit den Worten Naomi Kleins als Finanzmarktkatastrophe bezeichnet, betont, dass es vor allem in Krisensituationen den neoliberalen Interessen blendend gelinge sich zu positionieren. Das sei umso bedenklicher, als die Lösung für die durch die Krise entstandenen Probleme heute nicht mehr wie in den Siebzigerjahren auf nationalstaatlicher Ebene gefunden werden könne.
Andrea Grisold: "Es ist völlig klar, wem das nützt, wenn bei Sozialausgaben oder der Bildung gespart wird. Es gibt weltweit einen Steuerwettbewerb nach unten. Daher ist das Problem nicht allein nationalstaatlich zu lösen. Allerdings ist empirisch nachweisbar, dass die Unternehmensbesteuerung nicht der einzige Grund für Ansiedelung neuer Unternehmen ist."
Trotzdem sind sich die WissenschafterInnen einig, dass die Staatsschulden nicht in den Himmel wachsen sollten. Denn ein zu hoher Schuldendienst schadet auch dem Mittelstand und den ArbeitnehmerInnen. Allerdings meinen sie, dass eine Entschuldung nicht durch weitere Massensteuern, sondern durch eine Erhöhung der Steuern auf Kapital und Vermögen sowie eine Erhöhung der Unternehmenssteuern zu erreichen sei.

Auch im Sinn der UnternehmerInnen

Stefan Schulmeister: "Eine Staatsschuldensanierung, die an den Vermögen ansetzt wäre im Endeffekt auch im Sinne der Unternehmer. Das würde ihnen ganz massiv nützen. Nicht profitieren würden die Finanzkapitalbesitzer. Unternehmer haben das schon lange begriffen UnternehmervertreterInnen tun sich damit ideologisch etwas schwerer."

Internet:
InterviewpartnerInnen:
www.wu.ac.at/vw3/institut/grisold
www.wu.ac.at/vw3/institut/gubitzer
stephan.schulmeister.wifo.ac.at
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