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"Wir haben Feuerwehrfunktion"
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"Wir haben Feuerwehrfunktion"

Interview

ÖGB-Präsident Erich Foglar im Gespräch mit zwei BetriebsrätInnen, die derzeit die Sozialakademie besuchen, über die Krise und deren Folgen.

Sabine Schwarzendorfer, Alter 35, ­Regionalsekretärin GPA-djp Oberösterreich, Teilnehmerin des 60. SOZAK-Lehrgangs
Andreas Guttmann, Alter 37, Arbei­terbetriebsrat voestalpine Stahl Donawitz, Teilnehmer des 60. SOZAK-Lehrgangs

Arbeit&Wirtschaft: Ist unser Titel "Nach der Krise ist vor der Krise" zu pessimistisch formuliert?

Nein, der Titel trifft es sehr genau - leider, weil sich grundlegend nichts geändert hat, was Auslöser und Ursachen der Krise betrifft. Es wird wieder spekuliert wie eh und je, es werden Boni gezahlt wie eh und je, und das Wirtschaftssystem aus Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung ist ein und dasselbe wie vor der Krise. Jedoch einiges hat sich schon geändert - durch die Krise: Die ArbeitnehmerInnen sind massiv unter Druck geraten und zahlen zum Großteil die Zeche für die Bewältigung der Krise. Und die Staatsverschuldung ist aufgrund der Rettungsmaßnahmen - vor allem für Banken und aufgrund niedrigerer Steuereinnahmen - in die Höhe geschnellt. So wurde aus einer Immobilienkrise eine Finanzkrise, daraus eine Wirtschaftskrise, und die ist zu einer Schuldenkrise geworden. Jetzt droht auch noch eine soziale Krise.
All das, was eine vernünftige Reaktion darauf gewesen wäre, ist nicht eingetreten. Es wurde verabsäumt, Spekulationen einzudämmen, die Bonus-Zahlungen in ein vernünftiges Maß zu bringen, die Finanzmärkte zu regulieren und eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Die hätte ja nicht nur eine einnahmenseitige Steuerwirkung, sondern auch eine regulierende Wirkung. Für die Finanztransaktionssteuer hat sich Anfang März eine deutliche Mehrheit im EU-Parlament gefunden. Jetzt muss die EU-Kommission rasch tätig werden. Am sinnvollsten wäre natürlich eine globale Lösung, aber das ist aus heutiger Sicht nicht denkbar, weil sehr viele Länder nicht bereit sind, diese Steuer einzuführen.

Was sind die Folgen der Krise?

Derzeit wird auf europäischer Ebene heftig über eine Wirtschaftsregierung, über einen Wettbewerbspakt oder über einen Euro-Pakt debattiert. Aber all das bedeutet, dass noch mehr Druck auf die einzelnen Staaten ausgeübt wird, die Staatsverschuldung rasch zurückzufahren - mit all den sozialen Härten und negativen Auswirkungen auf die ArbeitnehmerInnen und ihre Familien, vor allem aber auf unsere Systeme der sozialen Sicherheit, ob Pensionen, Gesundheit oder Sozialhilfe.
EZB-Präsident Jean-Claude Trichet hat kürzlich gemeint, er findet es unmöglich, wenn die Inflation zu Lohn­erhöhungen führt. Das wirft schon die Frage auf, warum ArbeitnehmerInnen keinen Teuerungsausgleich bekommen sollten. Wir werden dafür sorgen, dass sich Trichet in dieser Frage sicher nicht durchsetzt. Schon vor der Krise hat es Konvergenzkriterien gegeben, geht es nach der EU-Kommission, sollen künftig verschärfte Kriterien gelten. Aus vormals nur angedrohten Sanktionen sollen in Zukunft automatische werden. So gesehen ist nach der Krise auch immer vor der nächsten Krise.

Also haben wir nichts gelernt?

Kein Land der EU hätte die Krise allein durchgestanden. Fairerweise muss man daher auch sagen: Es haben sich alle Länder in einer seltenen Einigkeit zu den Rettungsschirmen bekannt, um damit die Krise zu bekämpfen - in letzter Konsequenz wurde Solidarität aufgebracht. Das war bei der großen Wirtschaftskrise in den 1930er-Jahren nicht der Fall.

Andreas Guttmann: Die Banken haben viel Geld bekommen, um wieder aus der Krise steuern zu können. Wie steht der ÖGB zur Bankensteuer? Werden die Banken diese sofort an die Kunden/Kundinnen weitergeben?

Zunächst muss man feststellen: Bank ist nicht gleich Bank. Es gibt einen großen Unterschied zwischen Investmentbanken, bei denen hat die Krise ihren Ausgang genommen, und jenen Banken, die das realwirtschaftliche Geschäft betreiben - die unverzichtbar sind für ein funktionierendes Wirtschaftsleben.
Den Banken wurde daher aus guten Gründen geholfen: Denn wenn Banken zusammenbrechen, bricht die Wirtschaft zusammen - das hätte katas­trophale Auswirkungen. Daher ist ein funktionierender Bankensektor ein lebenswichtiger Kreislauf der Wirtschaft. Es wurde damit aber auch gleichzeitig das Eigentum der Bank-Eigner gerettet.
Banken könnten jetzt natürlich die Bankenabgabe auf verschiedensten ­Wegen an ihre Kunden/-innen weiter­geben, z. B. über Kontogebühren, Kreditgebühren oder Sparzinsen. Allerdings wissen wir nicht, ob die Banken diese Gebühren nicht auch ohne Bankenabgabe erhöht hätten. Daher haben wir mit der Bankenabgabe zumindest Mehreinnahmen erreicht, die zur Krisenbewältigung beitragen. Durch das strenge Monitoring des KonsumentInnenschutzes der Arbeiterkammer und durch den Wettbewerb der Banken bei Kreditkonditionen und Sparzinsen bin ich relativ entspannt, was die Bankenabgabe betrifft.
Weniger entspannt sehe ich hingegen den in Wahrheit größten Preistreiber: die Spekulationen allgemein, und speziell Spekulationen im Lebensmittelbereich oder mit Rohstoffen, die für die Erzeugung von Lebensmitteln notwendig sind. Das ist in meinen Augen ein Verbrechen an der Menschheit: Weltweit verhungern Tausende Menschen, weil sie sich Lebensmittel einfach nicht mehr leisten können.

Andreas: Wir haben in der voestalpine, zumindest in Donawitz, die Krise relativ gut überstanden. Was mich als Gewerkschafter aber sehr stört ist, dass die Arbeitslosigkeit nicht ganz so schnell zurückgeht, obwohl viele Firmen wieder hohe Gewinne schreiben. Wäre es für die Gewerkschaft denkbar, gesetzlich Überstunden für das Unternehmen so teuer zu machen, dass es nicht mehr lukrativ ist, die vorhandenen Beschäftigten zu Überstunden zu nötigen? 

Es steht grundsätzlich jeder Gewerkschaft frei, im Kollektivvertrag einen Überstundenzuschlag festzulegen. Allerdings ist das gerade in Zeiten der Krisenbewältigung schwer beim Kollektivvertragspartner durchzusetzen. Unternehmen wollen in erster Linie natürlich Überstundenzuschläge wegbekommen. Eine Lösung, um Überstunden zu reduzieren, wäre zum Beispiel auf betrieblicher Ebene. Da kann der Betriebsrat eine Regelung vorschlagen, dass eine ­bestimmte Anzahl von MitarbeiterIn­-nen Überstunden leistet, und wenn das mehr werden, dann muss ein neuer ­Mitarbeiter, eine neue Mitarbeiterin eingestellt werden. Das ist dann ähnlich der Forderung der Gewerkschaften zu sehen, die Zeitarbeit in den Unternehmen auf zehn Prozent zu beschränken, weil in manchen Betrieben aufgrund der aktuellen Situation weit mehr als zehn Prozent ZeitarbeitnehmerInnen beschäftigt sind.
Auf gesetzlicher Ebene kann man das im Moment schwer regeln, weil die dafür nötige Mehrheit im Nationalrat derzeit unwahrscheinlich ist.
Was man aber unbedingt mit bedenken muss ist, dass ein zu hohes Maß an Überstunden schlicht und einfach ungesund ist. Daher sollten wir nachdenken, ob das Verteuern der Überstunden der richtige Weg ist. Denn auch wenn das Unternehmen bereit ist, einen immens hohen Überstundenzuschlag zu zahlen, werden sie damit für ArbeitnehmerInnen nicht gesünder. Daher müssen wir auch jene ArbeitnehmerInnen, die vielleicht aufgrund der guten Bezahlung ­bereit sind, sehr viele Überstunden zu machen, vor den gesundheitlichen Risiken und späteren Schäden warnen. Denn das kann letztendlich, zum Beispiel aufgrund von Berufsunfähigkeit oder Invalidität, sogar zu geringeren Pensionen führen. Auf die gesamte Erwerbsarbeitszeit gesehen rentiert sich das dann für die Betroffenen in den seltensten Fällen. 

Sabine Schwarzendorfer: Zeitarbeit ist auch für mich ein wichtiges Thema. Warum kann man Unternehmen nicht verpflichten, ZeitarbeitnehmerInnen nach einer gewissen Zeit ins Stammpersonal aufzunehmen?

ZeitarbeitnehmerInnen sind, wenn man es genau nimmt, theoretisch nicht unbedingt schlechter gestellt als das Stammpersonal: Sie haben eine gesetzliche Basis, das Arbeitskräfteüberlassungsgesetz, sie haben einen guten Kollektivvertrag mit einer Kündigungsfrist wie andere auch. Zudem gibt es Branchen, wo die Kündigungszeiten für das Stammpersonal sogar kürzer sind, zum Beispiel am Bau oder im Gastgewerbe.
Zeitarbeitskräfte waren aber natürlich die ersten, die nach Ausbruch der Krise ihre Arbeit verloren haben - darauf haben wir ab Herbst 2008 oft aufmerksam gemacht.
Eine Regelung die besagt, dass Unternehmen nach einer bestimmten Zeit ihre ZeitarbeitnehmerInnen in das Stammpersonal übernehmen müssen, wäre begrüßenswert - keine Frage. Derzeit gibt es zumindest die Möglichkeit, per Betriebsvereinbarung die Anzahl der ZeitarbeitnehmerInnen im Verhältnis zur Stammbelegschaft zu begrenzen. Das ist ein guter Ansatz auf betrieblicher Ebene. Gesetzlich sieht es aber momentan nicht nach Mehrheiten aus.

Sabine: Als ich noch bei der Quelle gearbeitet habe, hat es mich erschüttert, dass es immer noch Unterschiede zwischen ArbeiterInnen und Angestellten gibt, wie zum Beispiel bei den Kündigungsfristen. Warum ist das so?

Die Unterschiede gehen auf die Geschichte zurück: Verschiedene Branchen brachten unterschiedliche Regelungen hervor. Daraus haben sich unterschiedliche Gesetzesvorlagen entwickelt: für die ArbeiterInnen das ABGB und für die Angestellten im Wesentlichen das Angestelltengesetz. Die laufende Debatte um die Vereinheitlichung des Arbeitsrechts betrifft daher vor allem Beginn und Ende des Arbeitsverhältnisses und die Ansprüche, die damit zusammenhängen - das sind die klassischen Elemente.

Andreas: Thema flexiblere Arbeitszeit: Wir ArbeitnehmerInnen sind bereits sehr flexibel; eine gesetzliche Verkürzung der wöchentlichen Normalarbeitszeit würde zum Beispiel uns im Betrieb sehr helfen, um gesündere Schichtmodelle umsetzen zu können. Bestehen da Chancen?

Die Forderung nach einer Verkürzung der Normalarbeitszeit stammt aus einer Zeit, in der wir in Österreich noch mehr Industrie und produzierendes Gewerbe hatten. Das hat sich jedoch drastisch verändert. Ausschlaggebend dafür war die Entwicklung zu einer Dienstleistungs- und Informationswirtschaft - und dort ticken die Uhren im wahrsten Sinne des Wortes anders. Für Mobiltelefone und Laptops gibt es keine Stechuhr mehr, da ist die Selbstausbeutung ungebrochen. Die größte Chance ist meiner Meinung nach die Reduzierung der Belastung - und da sind wir wieder beim Thema Überstunden. Es müsste den BetriebsrätInnen mit Unterstützung der Gewerkschaften gelingen, Überstunden so einzudämmen, dass für die Betroffenen die Belastungen geringer werden.
Eine generelle Arbeitszeitverkürzung - wie sie einst unter Dallinger noch diskutiert wurde - erscheint heute nicht mehr ganz zeitgemäß. Denn wenn wir über Arbeitszeitverkürzung reden, muss uns klar sein, dass wir etwa 900.000 Teilzeitbeschäftigte und prekäre Arbeitsverhältnisse in unserem Land haben. Einige wenige wollen das selbst, weil es ihnen gerade in ihre Lebensphase gut hineinpasst, andere finden schlicht und einfach keine andere Arbeit.

Sabine: Ich frage mich manchmal, warum wir als GewerkschafterInnen Errungenschaften wie das Insolvenzentgeltsicherungsgesetz nicht "besser verkaufen"? Viele glauben, dass das selbstverständlich ist.

Für viele Menschen trifft das leider zu, alles was da und gegeben ist, wird als selbstverständlich angesehen und dabei wird vergessen, dass nichts von selbst gekommen ist - ganz im Gegenteil: Gerade, was das Arbeitsrecht angeht, ist fast alles nur durch das Engagement der Gewerkschaften entstanden. Vor 250 Jahren gab es keinen Kollektivvertrag, vor 150 Jahren keine BetriebsrätInnen und keine ­Sozialversicherung in der heutigen Ausprägung. Dafür war damals noch Kinderarbeit weit verbreitet. Heute haben wir ein 13. und 14. Monatsgehalt, Urlaubs­anspruch, Unfall-, Kranken-, Pensions-, Arbeitslosenversicherung etc.
Die Gewerkschaft ist jener Teil unserer Gesellschaft, der für soziale Gerechtigkeit eintritt, dazu gehören für uns vier wesentliche Elemente: Verteilungsgerechtigkeit, soziale Sicherheit, Chancengleichheit und Mitbestimmung. Nur, wir reden eben nicht jeden Tag darüber, weil es schon selbstverständlich geworden ist. Und die Menschen interessiert weniger, wie diese Selbstverständlichkeiten historisch entstanden sind, zum Teil lange vor ihrer Zeit. Sie wollen wissen, wie sich jetzt und heute ihre Situation verbessern lässt.
Das gilt auch für den Insolvenzausgleichsfonds: So lange es dem Unternehmen gut geht, interessiert sich niemand dafür. Geht das Unternehmen pleite, sind die Nicht-Mitglieder oft die ersten, die beim Betriebsrat sitzen. Da beginnt wieder euer Job: Wir haben nun einmal eine Art akute Feuerwehrfunktion, die die Menschen mehr interessiert als die historische Entstehung von Selbstverständlichkeiten. Ich kann nur hoffen, dass wir euch dafür gemeinsam mit der Arbeiterkammer auch über Fortbildungsmaßnahmen wie die Sozialakademie ausreichend Unterstützung und Beratung geben - denn die ist unentbehrlich für eure Funktion.

Wir danken für das Gespräch.

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