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ArbeiterInnenkinder vereinigt euch
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ArbeiterInnenkinder vereinigt euch

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ArbeiterInnenkinder, die studieren, sehen sich mit einer Vielzahl an Problemen konfrontiert, die durch den sozialen Status der Eltern begründbar sind.

Der Begriff ArbeiterInnenkind ist ein historischer Begriff und für diesen Artikel etwas zu kurz gegriffen. Gemeint sind damit Menschen, deren Eltern weder AkademikerInnen noch wohlhabend sind, also deren Eltern ArbeiterInnen, "untere Angestellte", "kleine Beamte/Beamtinnen" etc. sind, die also eine sogenannte "niedrige soziale Herkunft" haben bzw. aus ärmeren Schichten kommen.

Die feinen Unterschiede

Dass ArbeiterInnenkinder an den Universitäten finanziell schlechter ausgestattet sind und weniger Wissen darüber besitzen wie die Universität "funktioniert" (da sie nicht auf akademisches Vorwissen durch die Eltern zurückgreifen können), ist allgemein bekannt. Aber sie haben auch durch ihren Habitus Nachteile an der Universität (siehe Bourdieu: "Die feinen Unterschiede. Kritik an der gesellschaftlichen Urteilskraft", 1982, oder Bourdieu: "Die verborgenen Mechanismen der Macht", 1992). Der Habitus, laut Bourdieu das "gesamte Auftreten einer Person", macht es Menschen, deren Wiege in bürgerlichen und bildungsnäheren Haushalten stand, einfacher, sich im sozialen Umfeld der Universitäten zu bewegen, als Menschen aus den Mittel- oder Unterschichten.
Hierfür gibt es sowohl genug an empirischen Forschungen als auch genug "plastische" Beispiele, wie zum Beispiel die akademische Sprache, die zwar auf höheren Schulen bis zur Matura erlernt werden kann, aber nie so in "Fleisch und Blut" übergeht, wie bei Kindern, die diese Sprache seit frühester Kindheit gewöhnt sind.
Die akademische Sprache ist laut dem Politikwissenschafter Wolf Wagner (siehe Wagner: "Uni-Angst und Uni-Bluff", 2002) dazu da, "dass sich Akademiker von ihrer Außenwelt durch ihren Habitus abgrenzen". Laut Wagner ist die akademische Sprache "von teils unverständlichen Fremdworten (Fachtermini), … von Substantiven und sehr umständlichen Formulierungen geprägt". Und AkademikerInnen müssen aufgrund der "Doppelfunktion der Wissenschaft" Texte unverständlich schreiben. Diese Doppelfunktion besteht aus einer "problemlösenden" und einer "aufstiegsorganisierenden Funktion", wobei die aufstiegsorganisierende Funktion an deutschen Hochschulen stärker ist. WissenschafterInnen müssen sich "demnach so umständlich gebärden, um sich zu reputieren - um von anderen Akademikern ernst genommen zu werden", um so aufsteigen zu können. Witzig dabei ist vielleicht Wagners Interpretation des Outputs: "Langeweile auf höchstem Niveau." Das Beispiel der akademischen Sprache zeigt, dass ArbeiterInnenkinder an Universitäten strukturell benachteiligt sind.
Ein anderes Problem ist, ArbeiterInnenkinder, die studieren, entfremden sich von ihrer Herkunftsschicht ("der hält sich wohl für etwas Besseres"), weil sich die Lebensumstände und Probleme ändern und damit auch das "Wir"-­Gefühl mit jener Schicht. Die akademische Welt kann durch oben genannte Habitusprobleme jedoch schwer zur neuen Heimat werden.
Im Englischen werden studierende ArbeiterInnenkinder oft "Straddler" ("Spreizer") genannt. Das Bild dazu ist ein Mensch, der mit einem Bein in seiner sozialen Herkunftsschicht steht und mit dem anderen, durch das Spreizen der Beine, in der akademischen Welt.

Eine Frage der Herkunft

Der deutsche Elitenforscher Michael Hartmann erforschte, inwieweit bei "Spitzenkarrieren" die soziale Herkunft eine Rolle spielt (siehe Hartmann: Der Mythos von den Leistungseliten", 2002). Seine empirischen Ergebnisse belegen, dass sich ArbeiterInnenkinder in der Wirtschaft noch schwerer tun als zum Beispiel an den Universitäten, die er zu den staatsnahen Bereichen zählt. Hartmann erklärt dies folgendermaßen: In der Wirtschaft ist der Habitus noch wichtiger als in staatsnahen Bereichen. Bei der Besetzung von Spitzenpositionen in der Wirtschaft wird stärker "aus dem Bauch heraus" entschieden, als dies in staatsnahen Bereichen passiert, wo Formalismen stärker Karrierewege prägen. Laut Hartmann, geben ManagerInnen an, dass "die Chemie stimmen muss", oder "die gleiche Wellenlänge" vorhanden sein muss, weil dies zum Beispiel das Vertrauen steigert. Ein Vorstandsvorsitzender, der von Hartmann zu seinen Rekrutierungsgesprächen befragt wurde, gibt an, gerne über klassische Musik mit BewerberInnen von Vorstandspositionen zu sprechen. Dass sich dabei Menschen leichter tun, die klassische Musik sozusagen mit der Muttermilch konsumiert haben, als Menschen, die dabei Schlager hörten, liegt auf der Hand. Kinder, die ihre Väter beim Umgang mit Geschäftspartnern beobachten können, haben natürlich auch einen Startvorteil. Ein karrieretechnischer Vorteil für ArbeiterInnenkinder in staatsnahen Organisationen ist der Umstand, dass diese Positionen für großbürgerliche Kinder nicht so interessant sind, wie eine vergleichbare Stellung in der Wirtschaft. In Zeiten der Krise, so Hartmann, wo Toppositionen in der Wirtschaft rar werden, drängen aber diese Kinder auch in den staatsnahen Bereich, und verdrängen Kinder aus niedrigeren Schichten.

Gemeinsam stärker

Einige ArbeiterInnenkinder an den Universitäten haben sich zusammengeschlossen, um ihre Nachteile an den Unis zu erforschen und zu bekämpfen. Nachfolgend werden drei davon vorgestellt:
Working Class Academics: Diese an der University of Wisconsin 1994 gegründete Plattform begann als loser E-Mail-Verteiler betroffener wissenschaftlicher MitarbeiterInnen an der Universität, die sich über ihre Probleme austauschten. Mittlerweile ist daraus eine Plattform entstanden, die Kongresse organisiert, Forschung betreibt, Bücher rezensiert, Stipendien und Forschungsmöglichkeiten für und zu ArbeiterInnenkindern an Universitäten vergibt und diesen auch Hilfe anbietet. Außerdem bieten sie Unterrichtswerkzeuge an, Vernetzungen und haben einen eigenen Schwerpunkt für spezifische Probleme von ArbeiterInnentöchtern. Dieser Schwer­punkt war sogar der eigentliche Ausgangspunkt für diese Plattform im Jahre 1994. Ziel ist es, Karrierewege zu fördern und Klassenunterschiede an den Universitäten zu reduzieren.

FiKuS

Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende (FiKuS) der Uni Münster: FiKuS gibt es schon seit acht Jahren und ist einzigartig in Deutschland. Im Jänner 2010 gab das FiKuS die erste Ausgabe des "Dishwasher" heraus, ein Magazin, das sich an studierende ArbeiterInnenkinder richtet. Der "Dishwasher" beschäftigt sich mit gesellschaftskritischen Problematiken und philosophischen Diskussionen rund um Marx und Bourdieu. "Die Resonanz auf das Projekt sei groß, und das Ziel, die Problematik bundesweit bekannt zu machen, Lobbyarbeit zu betreiben und ArbeiterInnenkindern ein Forum zu bieten, ist auf einem guten Weg", meinte Tobias Fabinger, ein ­Aktivist bei FiKuS, anlässlich eines TAZ-Interviews.
Referat für finanziell und kulturell benachteiligte Studierende an der ÖH der Uni Wien: Ziel dieses Referates ist es, den Grundsatz Bildung für alle, und vor allem für Benachteiligte, zu stärken. Ein daraus resultierendes Ziel ist die Vernetzung von Studierenden aus bildungsfernen Schichten, um wie auf ihrer Website nachzulesen ist, "aus den Erfahrungen anderer Studierender zu lernen. … Wir finden es wichtig, Studierende aufgrund ihrer Bildungsherkunft zu vernetzen, da diese oftmals sehr ähnliche Probleme haben. Probleme, die von den Betroffenen meist auf ein individuelles Versagen oder persönliche Unzulänglichkeit zurückgeführt werden. Dennoch zeigt sich, dass sich viele Probleme auf die Bildungsstruktur zurückführen lassen". Ein konkreter Output dieses Referats ist sicherlich das Buch "Keine Chance für Lisa Simpson", das vom ersten Referenten dieses Referats, Ingolf Erler, 2007 herausgegeben wurde. Dieses Buch beschäftigt sich mit Bildungsbarrieren an Österreichs Hochschulen.

Internet:
Referat für finanziell und kulturell ­benachteiligte Studierende
tinyurl.com/5rkmlaf

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