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"Jugend von heute" ist engagiert
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"Jugend von heute" ist engagiert

Interview

ÖGJ-Bundesvorsitzender Jürgen Michlmayr über die Wünsche und Forderungen der Gewerkschaftsjugend an eine Bildungsreform.

Jürgen Michlmayr, "Hätt’s wos glernt" ist der Titel für unser Schwerpunktthema Bildung und oft Argument gegen jene, die keinen Job finden - wie siehst du das als Vorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend, lernen die jungen Menschen heute zu wenig?

Jürgen Michlmayr: Diesen Satz kenne ich schon seit Jahren - noch aus der eigenen Schulzeit, wo er allzuoft auch "Lern was Gscheit‘s" lautete mit dem Nachsatz "sonst wirst du Staplerfahrer oder Hilfsarbeiter ...". Dieser Satz vereinfacht aber sehr, denn er geht nicht darauf ein, dass wir ein Schulsystem haben, das sehr früh selektiert, das Begabungen nicht berücksichtigt, Talente nicht fördert und in dem keine Orientierung vorhanden ist, wo sich ein Mensch hinentwickeln könnte.
Und wenn man dann zu arbeitslosen Jugendlichen sagt, "Hätt’s wos glernt, dann hättet‘s einen Job", ist das bei­nahe eine Frechheit und furchtbar demotivierend für junge Menschen, die aus unserem Bildungssystem halb- bis ungebildet entlassen werden. Schließlich gibt es noch die, die immer gerne mit der dummen Jugend argumentieren, weil diese die Grundvoraussetzungen für einen Job, eine Lehre, eine weiterführende Schule nicht mitbekommen hat - sehr oft auch ohne selbst daran schuld zu sein. Die Fehler liegen im System, und wir brauchen eine Systemänderung im Bildungsbereich. Man darf ja auch nicht vergessen, dass die Jahre zwischen dem zehnten und fünfzehnten Lebensjahr eine schwierige Zeit für junge Menschen sind, in der sie stark vom persönlichen Umfeld geprägt werden.

Die Pubertät betrifft aber alle Jugendlichen gleichermaßen weltweit und nicht nur in Österreich - und doch schneiden SchülerInnen in anderen Ländern beim PISA-Test z. B. um Längen besser ab.

Zum PISA-Test konkret: Da bleibt immer die Frage offen, wie wertet man den. Fest steht, dass Österreich nicht wegwischen kann, dass durch diesen Test grobe Fehler im Bildungsbereich offensichtlich werden, und dass bereits Jahre verabsäumt wurde, dieses System endlich zu reformieren. Da kann doch die Jugend weniger dafür. Viel wichtiger wäre die Frage, warum sitzen junge Menschen demotiviert in der Schule, warum fallen sie aus dem Schulsystem? Ich glaube einfach, dass das alles  Signale dafür sind, dass Änderungen im Bildungssystem dringend notwendig sind.

Was müssten das deiner Ansicht nach für Änderungen im Schul- und Bildungssystem sein?

Man muss auf alle Fälle ganz früh anfangen, nämlich im Kindergarten. Gerade in den Ballungszentren leben viele Kinder mit Migrationshintergrund, die ­Probleme mit der deutschen Sprache ­haben. Da wäre sehr wichtig, dass mit Fördermaßnahmen Deutsch unterrichtet wird.
Besonders schwierig ist - meiner Ansicht nach - die frühe Bildungswegentscheidung im Alter von neun Jahren. Zu diesem Zeitpunkt können nur die Eltern für ihre Kinder entscheiden und daher ist diese Entscheidung oft sehr stark von ­derem Beruf und sozialem Umfeld abhängig. Meine Eltern hätten mir und meiner Schwester gerne den Besuch des Gymnasiums ermöglicht, aber das lag 20 Kilometer weit weg und wir wollten nicht so weit fahren. Die Hauptschule war direkt im Ort, da waren all unsere Freunde und die Nachbarskinder, also wählten wir die. Da muss man gegensteuern. Mein Ansatz: Die Gesamtschule für alle gleich in der Nähe. So könnte man auch Frus­tration entgegenwirken und mehr auf die Neigungen und Begabungen der Jugendlichen eingehen. Derzeit ist es ja schon noch immer so, dass handwerklich geschickte junge Menschen im Gymnasium landen, wo sie ihr Talent nicht einsetzen können, und theoretisch Interessierte oft auf einer Berufsschule, wo sie sich mit Praktischem sehr schwer tun - bloß, weil es bei den Eltern auch so war.
Wir fänden es wichtig, dass ab der 6. Schulstufe eine Berufs- bzw. Bildungswegorientierung angeboten wird. Die Berufsinformationsmessen sind da nicht sehr effektiv, da werden die Schulklassen durchgeschleust und letztendlich entscheiden dann oft Sympathie mit den Ausstellern oder ganz krass Werbegeschenke der verschiedenen Anbieter. Das gilt auch für die Tage der offenen Tür in Schulen - auch da wird jungen Menschen keine echte Orientierungshilfe geboten.
Genau deswegen fordern wir die Bildungswegorientierung, schulbegleitend, bis zum Bildungsabschluss und mit externen ExpertInnen aus Gesellschaft und Wirtschaft, bei der speziell auf Begabungen eingegangen wird und praxisnahe Bildungswege erarbeitet werden. So könnten uns allen "leere Kilometer" erspart werden.

Diese Forderungen kennen wir ja auch aus dem Bildungsdialog der Sozialpartner, wie weit wart ihr als Gewerkschaftsjugend da mit einbezogen?

Da muss ich jetzt ein wenig ausholen. Wir haben vor zwei Jahren bei der damaligen Bundesjugendkonferenz der österreichischen Gewerkschaftsjugend schon einen Schwerpunkt auf Bildung gesetzt, darüber diskutiert, welche Schritte gesetzt werden müssten und sogar gemeinsam mit dem Österreichischen Institut für Berufsbildungsforschung (öibf) ein Papier aufgesetzt. Wir haben uns dann sehr bemüht, unsere Standpunkte - wie z. B. die Bildungswegorientierung, Berufsreifeprüfung etc. - auch in die Entscheidungsgremien des ÖGB und der Gewerkschaften weiterzutragen.
Explizit gefragt hat uns aber - als einzige "echte" Jugendorganisation der Sozialpartner - niemand, aber durch unser Mitspracherecht im ÖGB und seinen Gewerkschaften finden sich unsere Positionen auch im Bildungspapier der Sozialpartner wieder. Das sehe ich als Bestätigung für unsere Arbeit und auch für unser internes, zukunftsorientiertes Bildungsprogramm. 

Wenn ich mir TV-Sendungen wie "Saturday Night Fever" auf ATV ansehe, wird mir ganz schwindlig angesichts der "Jugend von heute".

In solchen Sendungen wird doch vor allem der Freizeitsektor - und das ziemlich reißerisch - in den Vordergrund gestellt, dabei geht es um Quote und man sieht nicht, dass es sehr wohl Jugendliche gibt, die sehr engagiert sind, die ihre Lehr- oder Schulausbildung machen, auf den Unis jede Menge Leistung erbringen oder im Beruf erfolgreich sind. Das öffentliche Bild der Jugend ist schon oft negativ: Jugendliche denken nur ans Ausgehen, spielen gewalttätige Computerspiele, sind nur an der Freizeit interessiert. Aber wir in der ÖGJ haben ganz andere Jugendliche kennengelernt, die bereit sind, sich für ihre Zukunft zu engagieren.

Wie viele sind das denn?

Wir haben rund 2.300 Jugendvertrauensrätinnen und -räte (JVR), dazu kommen noch Studenten- und Schüler-VertreterInnen - also rund um 3.000 Menschen, die sich aktiv engagieren …
Ein beeindruckender Beweis dafür, dass sich "die Jugend von heute" sehr wohl engagiert, wenn sie gefragt wird, wenn sie eingebunden wird und wenn sie kreativ sein kann. Und die jungen KollegInnen lernen sogar freiwillig, besuchen Jugendvertrauensratskurse oder AntiFa-Seminare und vieles mehr - und die finden oft am Wochenende statt. Aber darüber berichtet das Fernsehen nicht.

Stichwort Jugendvertrauensrat - da gibt es jetzt ganz aktuell Neuerungen …

Es gibt zwei große Neuerungen. Einerseits bei den überbetrieblichen Ausbildungseinrichtungen, die aufgrund der Ausbildungsgarantie ja ausgebaut worden sind und in denen sich derzeit rund 10.000 Jugendliche befinden. Wir haben schon beim vorigen Kongress gefordert, dass auch diese jungen Menschen InteressenvertreterInnen wählen können. Wir haben uns da an den Regeln für Jugendvertrauensräte orientiert, allerdings mit Anpassungen. So gibt es in diesen Einrichtungen eine höhere Fluktuation; KollegInnen finden doch eine Lehrstelle oder entscheiden sich für einen anderen Berufsweg. Normalerweise wird der JVR für zwei Jahre gewählt, in der überbetrieblichen Ausbildung nur für eines.
Wir wurden auch in die Verhandlungen zum Berufsausbildungsgesetz ein­-bezogen und haben am Gesetzestext und an der Verordnung mitgewirkt. Die KollegInnen, die sich da engagieren, bekommen auch eine Bildungsfreistellung - wir haben das Gesetz aktiv mitgestaltet. 

Und was für Funktionen übt der Vertrauensrat in der überbetrieblichen Ausbildung aus?

Der Vertrauensrat (VR) ist dort die Ansprechperson, sozusagen "der Betriebsrat" für die Teilnehmenden. Jetzt werden manche sagen, das ist eh vom AMS organisiert, da dürfte nichts passieren, aber auch in diesen Einrichtungen kommt es vor, dass die Qualität der Ausbildung nicht passt, dass es Konflikte mit Ausbild­nerInnen gibt, und dann ist es wichtig, dass es Mitsprachemöglichkeiten gibt mit Kontakt zum AMS und zu den Trägerorganisationen. Wichtig ist auch die Weiterbildung der VR, da geht es nicht so vorrangig um den Kollektivvertrag, aber um die Rechte und Pflichten, die es quer über die Branchen gibt. Wir werden gemeinsam mit den KollegInnen da Schulungsprogramme entwickeln und sie in die ÖGJ integrieren. 
Und dann gab es noch eine zweite Forderung zum JVR - die kenne ich übrigens seit meinen ersten Schritten in der Gewerkschaftsjugend, und ich freu mich sehr, dass das jetzt durchgesetzt wurde: Wir wollten, dass das aktive und passive Wahlalter von JVR erhöht wird. Warum überhaupt? In den vergangenen Jahren sind die Jugendlichen bei Beginn ihrer Lehre aus vielerlei Gründen älter als noch vor Jahrzehnten. Laut Arbeitsverfassungsgesetz kann man ab fünf Jugendlichen im Alter unter 18 Jahren einen JVR wählen, das kam oft nicht zustande. Wir wollten aber jungen Menschen die Chance auf direkte Demokratie im Betrieb geben. Unser Ziel war daher ein Erhöhen des Wahlalters. Jetzt gibt es endlich eine Gesetzesänderung, Jugendliche mit Lehrvertrag können bis zum 21. Lebensjahr, einen JVR wählen, und auch das passive Wahlalter konnten wir von 21 auf 23 Jahre erhöhen. Da sind wir stolz drauf.

Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner hat aufgrund der Wirtschaftskrise den "Ausbildungsnachweis zur Mitte der Lehrzeit", auch Praxistest genannt, mit Anfang Februar ausgesetzt - stört euch das?

Das ist für uns kein so großes Problem, da dieser Praxistest nicht so wie gedacht zur Qualitätsüberprüfung der Betriebe und zur Sicherstellung der Qualität in der Ausbildung gedient hat. Immerhin bekamen die Betriebe 3.000 Euro pro "erfolgreichem Lehrling". Allerdings muss man zur Kenntnis nehmen, dass das aktuelle Fördersystem gescheitert ist: 2008 wurden von WKÖ-Präsident Christoph Leitl 5.000 neue Lehrplätze versprochen. Dieses Versprechen wurde nie eingehalten, heute gibt es weniger betriebliche Lehrplätze als damals - deshalb unsere Forderung: Es muss endlich ein "richtiger Ausbildungsfonds" geschaffen werden, in den Betriebe, die nicht ausbilden obwohl sie es könnten, einzahlen und aus dem Betriebe, die ordentlich und qualitativ hochwertig ausbilden, Förderungen erhalten!

Was habt ihr für Erfahrungen und ­Forderungen zu Berufsreifeprüfung, Lehre mit Matura und anschließendem Studium?

Man sieht es eindeutig an den TeilnehmerInnenzahlen für Lehre mit Matura - einer Maßnahme, die ja für Lehrlinge kostenlos ist -, dass das sehr gut angenommen wird. JungfacharbeiterInnen machen sich immer öfter Gedanken um ihre Zukunft ganz im Sinn von Lebenslangem Lernen. Viele machen die Berufsreifeprüfung, um doch noch ein Studium anzufangen.
Von den KollegInnen, mit denen ich vor fünf Jahren meine Facharbeiterprüfung gemacht habe, studieren heute einige an der Uni oder einer Fachhochschule. Manche haben die Wirtschaftskrise für eine Bildungskarenz genützt - das ist in einigen Betrieben möglich. Andere studieren berufsbegleitend.  Da möchte ich anknüpfen: Während Jugendliche heute die Chance zur kostenlosen Berufsreifeprüfung haben, müssen junge FacharbeiterInnen zahlen. Hier fordern wir, dass diese die Matura ebenfalls kos­tenlos nachholen können, und dass es ihnen auch in den Betrieben erleichtert wird sich weiterzubilden. Auch an den Universitäten und Fachhochschulen wünschen wir uns mehr Verständnis für berufstätige Studierende, angefangen von flexibleren Bibliotheksöffnungszeiten bis hin zu weniger starren Lehrplänen. Ganz abgesehen von den Kosten, so kosten Fernstudienlehrgänge zwischen 6.000 Euro und 30.000 Euro - das sind schon Summen. Wir fordern ein österreichweites Fördersystem, bei dem man zumindest einen Teil des Geldes retour bekommt.

Anfang Februar wurden die Forderungen zum "Volksbegehren Bildungsinitiative" von Hannes Androsch veröffentlicht. Wirst du unterschreiben?

Ich war als ÖGJ-Bundesjugendvorsitzender bei den beiden Sitzungen zum Bildungsvolksbegehren und habe versucht, unsere Positionen - und im Speziellen die unterrepräsentierten Lehrlingsthemen - einzubringen; also Berufsorientierung, Lehre mit Matura, berufsbegleitendes Studium, Durchlässigkeit im Bildungssystem, d. h. die Möglichkeit zwischen Lehre und Schule zu wechseln. Davon ist im endgültigen Papier leider nicht viel mehr als ein Satz übrig geblieben. Unterschreiben werde ich das Volksbegehren trotzdem auf alle Fälle, als ÖGJ werden wir aber dafür nicht mobil machen. Denn es stört uns schon, dass es in der Bildungsdiskussion nie um Lehrlinge oder junge FacharbeiterInnen geht.

Wir danken für das Gespräch.

Internet:
Österreichische Gewerkschaftsjugend
www.oegj.at
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