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Am Charme sparen "Die Zeiten, wo man zum Tisch kommt, die Gäste begrüßt, ihnen in die Augen schaut, den Block zückt und den Charme spielen lässt, sind endgültig vorbei. Jetzt muss ich genau schauen, wo ich überhaupt draufdrücke und kann mich den Gästen kaum mehr widmen."
Buchtipp

Am Charme sparen

Schwerpunkt

Immer mehr Arbeit wird automatisiert und rationalisiert. Doch die betroffene Arbeit wird für viele ArbeitnehmerInnen komplexer und stressiger statt leichter.

Bestellen, servieren, kassieren. Im Minutentakt. Andrea Handschmann, 40, arbeitet seit mehr als 20 Jahren als Kellnerin, hat vom Heurigen bis zur Innenstadt-Bar, vom Wirtshaus bis zum Strandcafé Tausende Gäste bedient. Andrea ist eine Servierkraft der alten Schule - schnell mit dem Mundwerk, eifrig im Service, flott im Kopfrechnen. Doch die Rationalisierung hat auch vor ihrem Berufsstand nicht haltgemacht. Immer häufiger zieren moderne Handhelds (kleine Computer zum Aufnehmen der Bestellung) des Obers Tasche: "Die Zeiten, wo man zum Tisch kommt, die Gäste begrüßt, ihnen in die Augen schaut, den Block zückt und den Charme spielen lässt, sind endgültig vorbei. Jetzt muss ich genau schauen, wo ich überhaupt drauf rücke und kann mich den Gästen kaum mehr widmen", ärgert sich Andrea. Keine netten Scherze mehr, bloß den Handheld anstarren und ja keinen Tippfehler machen.

Handheld statt Block und Kuli

Das Symbol für Bier oder Cappuccino mag schnell zu finden sein, ausgefallenere Wünsche bedingen bereits eine längere Suche auf dem Display. Vertippen sich Andrea und ihre KollegInnen, werden an der Schank auch die falschen Drinks ausgegeben. "Bei vielen Gästen im Lokal gibt das dann ein schönes
Chaos", weiß Andrea aus mühseliger Erfahrung.
Souveränes Eingeben am Handheld und zeitgleich aufmerksam die Gäste bedienen sind kaum vereinbar. Sogar im Video der Firma, die die Gastronomiesoftware entwickelt hat, ist der Bedienungsprozess kompliziert und langwierig.
Das Eintippen scheint mehr Zeitfresser als Ersparnis. Mit Block und Kugelschreiber würde Andrea derweil gleich die gesamte Bestellung aufnehmen und zudem Mundwerk und Charme spielen lassen. Gut fürs Trinkgeld, schön für Touristen, die ja vom eigenwilligen Charme der Österreicher (besonders der Wiener Ober) schwärmen. Die Kellnerin mit reichlich Erfahrung ist sich gewiss: "Ein gut eingespieltes Team ohne Handhelds ist immer noch schneller und vor allem wesentlich charmanter. Und auf Dauer ist diese Art der Bedienung auch viel profitabler für den Chef."

Schnell und effizient?

Einsparungen sind spätestens seit der Industrialisierung ein ständiges Thema. Waren es früher die Dampfmaschine, Fließband oder leichtere Geräte, die die Arbeit schneller und effizienter machten, wird vor allem innerhalb der letzten 30 Jahren computerunterstützt agiert. Einerseits damit die Menschen in kurzer Zeit möglichst viel Arbeit verrichten können, und andererseits durch Kalkulationen, die an die Grenze gehen. Ein schönes Beispiel gibt hier die Hotellerie. Ein Vierstern-Haus einer Hotelkette in Wien Josefstadt, knapp 50 Zimmer groß, verzichtet schon lange auf eigenes Küchenpersonal - stattdessen wurde eine Catering-Firma beauftragt. Eine einzige Köchin muss das Frühstücksbuffet für bis zu 100 Gäste und mehr zubereiten, ihr Tagwerk beginnt um 4.30 Uhr. In der Pfanne bruzzelt flüssiges Ei aus einem Zehn-Kilo-Tetrapack (fertig gemischt, aus Käfighaltung), literweise Filterkaffee tropft aus riesenhaften Metallmaschinen. Gäste im Doppelzimmer ab 100 Euro frühstücken Tetrapak-Rührei und lassen sich die Betten von Zimmermädchen richten, die unterbezahltes Leihpersonal einer Zeitarbeitsfirma sind. Die Köchin leidet seit Jahren an Entzündungen der Handgelenke - ausfallen kann sie nicht, sie würde ihren übel bezahlten Job bei der Catering-Firma sofort verlieren.
Gegeizt wird auch an der Rezeption - der Nachtportier ist gleichzeitig auch Barmann, schleppt nachts schwere Müllcontainer aus dem Keller, erledigt Sekretariatsarbeiten, trägt die Zeitungen von Zimmer zu Zimmer. Wer denkt, dass Nachtportiere auch schlafen dürfen, irrt. Nachts soll er den Gästen Tickets für Sightseeing-Bustouren, Schönbrunn-Konzerte und Walzer in Touristenheurigen aufdrängen, daneben noch Zahlen in ein Hotel-Statistik-Programm eintippen und mit einer anderen Programmierung den Tagesumsatz errechnen. Ein weiteres Programm dient der Catering-Firma - hier tippt der Nachtportier die Gästebuchungen der kommenden Woche ein. Das Trinkgeld muss an die Tagesrezeption abgetreten werden, das Dasein als Nachtarbeiter in einer hässlichen Uniform ist undankbar: Mit Hilfe des Computers drei Jobs in einem, aber bloß ein miserables Gehalt. Zu Recht ist die Fluktuation in der Gastronomie und Hotellerie gigantisch. Wüssten die KonsumentInnen, unter welchen Bedingungen etwa ihr Frühstück zubereitet wird, dann wären die horrenden Zimmerpreise wohl kaum noch haltbar.

Vorgeschnitten und abgepackt

Sogar die Wurst hat heute zumeist keine zwei Enden mehr, nicht sobald sie im Handel landet. Und auch das ist Rationalisierung. Rund 420 Menschen sind beim Wursterzeuger Wiesbauer in Wien Inzersdorf beschäftigt. Lothar Hauser arbeitet seit 1988 in der Firma, seit zehn Jahren ist er Betriebsrat. "Im Vergleich zu damals produzieren wir heute das Dreifache", weiß der gelernte Fleischhauer -die Zahl der MitarbeiterInnen hingegen ist gleich geblieben. Allerdings sind heute wesentlich weniger FleischfacharbeiterInnen im Betrieb beschäftigt, dafür werken viel mehr HilfsarbeiterInnen bei Wiesbauer. "Es arbeiten mehr MitarbeiterInnen in der Verpackung, als in der eigentlichen Fleischerei. Denn heute wollen die Leute im Geschäft viel lieber die aufgeschnittene Wurst kaufen", weiß Lothar Hauser. Mit Hilfe sogenannter Slicer wird Wurst in dünne Radeln aufgeschnitten, penibel gewogen, etikettiert und verpackt. Fehlerfrei und perfekt angerichtet für die Kühlregale im Supermarkt. War die Fleischverarbeitung früher vor allem körperliche Schwerstarbeit, geben jetzt Laufband und diverse Maschinen den eiligen Takt vor - egal, ob beim Schneiden, Befüllen oder Verpacken. Harte Arbeit bei maximal zwölf Grad im Verarbeitungs-Sektor und null Grad in der Aufschneide-Abteilung, bei bis zu 90 Grad in der Selcherei oder Braterei. Wenn die Ware nach dem Braten geholt wird, sind die MitarbeiterInnen zumindest kurzfris­tig enormen Temperaturschwankungen ausgesetzt. "Zugluft und Raumtemperaturen sind ein Wahnsinn und spätestens wenn sie 50 Jahre alt sind, haben viele unserer MitarbeiterInnen rheumatische Beschwerden", berichtet Hauser.
So eilig, wie die Wurst geschnitten, abgepackt und in den Supermarkt geliefert wird, so schnell ist sie auch wieder auf dem Laufband und im Wagerl. Dass die KassiererInnen einer bekannten Diskonter-Kette schneller als die Kunden/-innen sind, hat sich nun sogar auf youtube und facebook verirrt. Dort grassiert ein Video, das die unglaubliche Geschwindigkeit des Waren-Scannens in einer Innsbrucker-Filiale zeigt - beinahe beängstigend. Einkaufswagen werden dringend empfohlen. Auffallend ist hierbei, dass der Einkauf mit nur einer geöffneten Kasse mitsamt langer Schlange schneller getätigt ist als bei diversen Supermärkten. Mit Hilfe auf Akkord getrimmter MitarbeiterInnen - die nicht bloß für die Kassen zuständig sind - wird weiteres Personal eingespart.
Körperliche und einfache geistige Arbeit wird durch Maschinen und Systeme unterstützt oder ersetzt, doch dafür muss die Technik erst entwickelt werden - von Menschen. Ein Hohn: Viele TechnikerInnen, die an Vereinfachungen arbeiten, etwa das Heer der ProgrammiererInnen, arbeiten bis zur Selbstausbeutung. Durch die Projekt­orientierung ihrer Arbeit haben sie selbst Arbeitswochen, die soziale Errungenschaften absurd scheinen lassen.

Arbeit ist ungerecht verteilt

Ein Arbeitstag von 14 Stunden ist für MitarbeiterInnen in der Informationstechnologie- und Kommunikationsbranche keine Seltenheit. Solch Schufterei wurde früher den ArbeiterInnen abverlangt und von der Gewerkschaft mit Erfolg bekämpft. Das Paradoxe ist: Immer mehr Arbeit wird automatisiert, doch statt die restliche Arbeit gerecht zu verteilen, werden viele von denen, die einen Arbeitsplatz haben, ausgenutzt. Auch in Österreich werden im Jahr Millionen Überstunden gemacht. Allein die geleis­teten unbezahlten Überstunden würden laut Berechnungen des ÖGB umgerechnet 60.000 Arbeitsplätze bringen.

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