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Betriebsratsrealitäten Die Initiative liegt hier ganz klar aufseiten der ArbeitgeberInnen. Während diese nach den Regeln des Schachs spielen, versuchen die Gewerkschaften und BetriebsrätInnen noch immer mit Spielzügen des Mühlespiels entgegenzuhalten.
Buchtipp

Betriebsratsrealitäten

Aus AK und Gewerkschaften

Betriebliche Durchsetzungsfähigkeit von Gewerkschaften und BetriebsrätInnen im Kontext der Globalisierung.

Erstmals liegt in Österreich ein Buch zu den Arbeitsrealitäten von BetriebsrätInnen vor, in dem die Probleme sowie Herausforderungen, denen sie sich täglich im Betrieb stellen, im Zentrum stehen.

Ein Blick von der Basis

Ausgehend von problemzentrierten Tiefeninterviews mit BetriebsrätInnen und betreuenden GewerkschaftssekretärInnen der GPA-djp sowie Gruppendiskussionen mit über 100 BetriebsrätInnen aus unterschiedlichen Teilgewerkschaften des ÖGB wird im Buch ein Blick »von unten« generiert, der die Realitäten der gewerkschaftlichen Basis erfassen soll. Dabei wird die, von der bisherigen Gewerkschaftsforschung wenig berücksichtigte, betriebliche Ebene in den Mittelpunkt des Interesses gestellt.
Es zeigt sich, dass die von BetriebsrätInnen wahrgenommen und in den Interviews artikulierten Problemlagen vielfältig und drängend sind. Das Entstehen neuer Betriebsphilosophien, die Beschleunigungstendenzen in der Arbeitswelt und die Veränderung von Konzernstrukturen werden im Buch ebenso behandelt, wie der Einzug neuer Managementkulturen, der Verlust direkter AnsprechpartnerInnen im Betrieb oder die Zentralisierung von Rechtsexpertisen innerhalb transnationaler Konzerne. Auch Probleme in der internen Organisation des Betriebsratsgremiums, das Verhältnis zwischen BetriebsrätInnen und Gewerkschaft, deren unterschiedliche Erwartungen und Aufgabenverständnisse sowie die Ausgestaltung ihrer Beziehung werden besprochen.
Ziel jeder kritisch verstandenen Forschung muss es sein, ein möglichst umfassendes Bild gesellschaftlicher Prozesse zu zeichnen. Daher werden im Buch die in den Interviews artikulierten Problemlagen auf ihre Ursachen hin untersucht und in einen größeren Zusammenhang globaler gesellschaftlicher und ökonomischer Entwicklungen gestellt. Ausgehend von den unterschiedlichen Machtpotenzialen von Gewerkschaften und BetriebsrätInnen wird ihre Verortung in den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen vorgenommen.

Die Veränderung von Raum und Zeit

Die BuchautorInnen, Mario Becksteiner, Elisabeth Steinklammer und Florian Reiter, zeichnen den langsamen Aushöhlungsprozess der gesellschaftlichen Grundlagen des sozialpartnerschaftlichen Systems nach, der weniger durch einen offenen politischen Angriff getragen ist, sondern vielmehr vermittelt wird durch die langsame Einführung neuer zeitlicher und räumlicher Strukturierungen im Zuge neoliberaler Globalisierungsprozesse. Beispiele dafür sind der Übergang vom korporatistischen Wohlfahrtsstaat hin zu einem sich zusehends internationalisierenden Wettbewerbsstaat, der die Rahmenbedingungen der Sozialpartnerschaft auf makropolitischer Ebene verändert hat, oder die um sich greifende Internationalisierung der Produktionsorganisation, der Einsatz neuer Manage-mentpraxen und die kurzfristige Planungsausrichtung auf den Shareholder-Value. Es werden betriebliche Strukturen und Arbeitslogiken verändert, und die Verhältnisse in den Betrieben kommen immer öfter in Widerspruch zum fordistisch geprägten ArbVG. Dies erschwert eine flächendeckende Betriebsratsarbeit. Angesichts der Veränderungen von räumlichen und zeitlichen Strukturierungen in der Gesellschaft und im Betrieb werden die sozialpartnerschaftlich geprägten Praxen und Handlungsweisen von BetriebsrätInnen und Gewerkschaften entwertet und büßen an Wirkmächtigkeit ein. Indem etwa durch die Zentralisierung von Entscheidungswegen im Sinne schlankerer Strukturen oder der Eingliederung in transnational agierende Konzerne, die Entscheidungskompetenzen von direkt vor Ort sitzenden Vorgesetzten beschnitten werden, wird der Aushandlungsspielraum auf Ebene der persönlichen Vertrauensverhältnisse kleiner. Leitungspersonal verweilt immer kürzer im Betrieb, ist gebunden an die prämierte Erfüllung von Zielvorgaben und legt immer weniger Wert auf Handschlagqualität bzw. ist weniger auf den Aufbau langanhaltender Vertrauensbeziehungen ausgerichtet. Andererseits werden mit Hilfe hochprofessioneller Rechtsabteilungen von ArbeitgeberInnen rechtliche bzw. kollektivvertragliche Regelungen im Betrieb unter-wandert, in Frage gestellt und umkämpft. Diese Veränderungen verwickeln BetriebsrätInnen und Gewerkschaften in einen zähen Abwehrkampf, um Verschlechterungen für die Lohnabhängigen zu verhindern.

Schach versus Mühle

Die interviewten BetriebsrätInnen erleben diese Entwicklung in einem Anstieg ihrer Arbeitsintensität. Sie versuchen defensiv, durch eine Anpassung der eigenen Praxis an die neuen Bedingungen, Verschlechterungen zu verhindern und abzuschwächen. Damit einher gehen Frustration und Ohnmachtsgefühle, weil immer weniger wirkmächtige Handlungsoptionen wahrnehmbar sind. Die Initiative liegt hier ganz klar aufseiten der ArbeitgeberInnen. Während diese nach den Regeln des Schachs spielen, versuchen die Gewerkschaften und BetriebsrätInnen noch immer mit Spielzügen des Mühlespiels entgegenzuhalten. Die AutorInnen thematisieren auch, dass sich viele BetriebsrätInnen mit diesen Herausforderungen von der Gewerkschaft im Stich gelassen fühlen und die Identifikation mit dieser erodiert. Viele empfinden die, zum Aufbau und Erhalt der funktionalistischen Beziehung, angebotenen Serviceleistungen der Gewerkschaft oftmals als nicht ausreichend für die Problemlagen und zunehmenden betrieblichen Konflikten vor denen sie stehen. Gleichzeitig spielt die Organisierung und Politisierung der Belegschaft zum Aufbau von Organisationsmacht im Betrieb und die gemeinsame Suche nach alternativen Handlungsoptionen zurzeit eine untergeordnete Rolle für das Handeln der AkteurInnen.
Genau hier identifizieren die BuchautorInnen Potenziale und Ressourcen für die Steigerung gewerkschaftlicher Durchsetzungsfähigkeit und diskutieren die Möglichkeit einer betriebsnahen, beteiligungsorientierten Gewerkschaftspolitik und eine Demokratisierung der gewerkschaftlichen Strukturen und Praxen als Grundlage und Voraussetzung für eine neue Offensive gewerkschaftlicher Interessenvertretung.

Die Chancen eingreifender Forschung

Als eingreifende Forschung konzipiert, ermöglicht der kritische, transdisziplinäre Blick ein vielschichtiges Bild der Situation von BetriebsrätInnen und den Auswirkungen veränderter gesellschaftlicher Machtverhältnisse auf die betriebliche Durchsetzungsfähigkeit. Das Buch bietet allen Akteuren der betrieblichen Interessenvertretung die Möglichkeit, das eigene Handeln zu Kontextualisierung und in Verbindung mit gesamtgesellschaftlichen Veränderungen zu setzen. Es ermöglicht ein vertieftes und schärferes Bild der Zusammenhänge, in denen BetriebsrätInnen tagtäglich handlungsfähig sein müssen. Die damit einhergehende Identifikation und Offenlegung von Blockaden, Potenziale und Ressourcen bietet die Basis für Diskussion und Strategiebildung zur gewerkschaftlichen Durchsetzungsfähigkeit. Eine Beispiel dafür stellte die Reflexions- und Diskussionsveranstaltung der Arbeiterkammer Wien am 16. November dar, bei der BetriebsrätInnen und SekretärInnen der Gewerkschaften GPA-djp, vida und PRO-GE Fragen der betrieblichen Durchsetzungsfähigkeit entlang der Untersuchungsergebnisse des Buchs diskutierten und in einen offenen Dialog über Erwartungen und Arbeitsteilung zwischen Gewerkschaften und BetriebsrätInnen traten.

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Weitere Angebote zur Diskussion und gemeinsamen Reflexion sowie Buchpräsentationstermine werden laufend auf dem Blog zum Buch veröffentlicht:
blog.gpa-djp.at/betriebsratsrealitaeten

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elisabethsteinklammer@gmx.at
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