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Gleichheit statt Wachstum Freundschaft bedeute teilen, Hierarchie Konkurrenz. Gleichere Gesellschaften fördern also Freundschaften - und diese tragen unter anderem quasi präventiv dazu bei, dass Menschen seltener psychisch erkranken.
Buchtipp

Gleichheit statt Wachstum

Gesellschaftspolitik

Hohes Wirtschaftswachstum kann soziale Probleme nur bedingt lösen. Was zählt ist eine gerechtere Einkommensverteilung, meint Richard Wilkinson.

Der britische Mediziner und Sozialforscher Richard Wilkinson ist dieser Tage ein beliebter Redner in aller Welt. Gemeinsam mit Kate Pickett wertete er Daten zu den 50 reichsten Staaten der Welt aus. Sie kamen zu dem Schluss: »Gleichheit ist Glück.« So nennt sich auch das Buch der beiden, das inzwischen nicht nur in der englischen Originalfassung, sondern ebenfalls in der deutschen Übersetzung zum Bestseller avancierte. Untertitel: »Warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind.«

Beim GPA-djp-Bundesforum

Die GPA-djp lud Wilkinson zu ihrem Bundesforum Anfang November in Wien. Der Wissenschafter wurde mit Applaus empfangen - und nach seiner Rede mit noch mehr Applaus wieder verabschiedet. Sein Befund: Noch mehr Wirtschaftswachstum macht keinen Sinn. Es erhöht weder weiter die durchschnittliche Lebenserwartung, noch sinken Kriminalität oder die Zahl psychischer Erkrankungen.
Wichtig ist vielmehr die gerechtere Verteilung der Einkommen. Zwischen Japan und Schweden, Norwegen sowie Finnland gibt es große kulturelle Unterschiede. Dennoch haben diese Staaten vieles gemeinsam: niedrige Mord- und Gefängnisraten, eine geringere Kindersterblichkeit als in anderen Ländern, weniger Teenager-Schwangerschaften, weniger Drogenkonsum, weniger psychische Erkrankungen. Was ist aber nun anders in Japan und Schweden als beispielsweise in den USA, in Großbritannien, in Portugal? Es sind die Einkommensunterschiede. In Japan und den nordischen Ländern verdienen die oberen 20 Prozent lediglich um rund 3,5-al so viel wie die unteren 20 Prozent. In den USA oder Großbritannien ist der Unterschied achtmal so groß. »Und je größer die Unterschiede zwischen Arm und Reich, desto größer sind auch die sozialen Probleme«, sagt Wilkinson.
Ungleiche Staaten, wie der Forscher sie nennt, stehen wesentlich schlechter da. Es ist sowohl um die Gesundheit der Bevölkerung schlechter bestellt als auch um Faktoren wie Vertrauen in Mitmenschen, Kriminalität oder die psychische Befindlichkeit der Bürger. »In den westlichen Industriestaaten, in denen es keinen so starken Unterschied zwischen den oberen und den unteren 20 Prozent gibt, werden bis zu sechsmal weniger Morde begangen.« Österreich liegt im oberen Mittelfeld. Hierzulande verdienen die Reichsten um 4,8-mal mehr als die Ärmsten.
Noch mehr Wirtschaftswachstum für die Allgemeinheit, noch mehr Arbeit für den Einzelnen - mehr Überstunden, mehr Geld, mehr Möglichkeit zu konsumieren: all das wird nicht dazu beitragen, den gesamtgesellschaftlichen Herausforderungen adäquat zu begegnen, betont Wilkinson. Es nütze auch nichts, jedes Problem einzeln anzugehen - beispielsweise mit Kampagnen gegen Drogenkonsum, dem Verteilen von Kondomen, um Teenager-Schwangerschaften zu verhindern, Entzugskliniken für Alkoholkranke. In Zukunft werden sich nach Ansicht Wilkinsons jene Gesellschaften gut entwickeln, die darauf achten, dass es keine allzu großen Einkommensunterschiede gibt. Wie das erreicht werden kann, dafür gibt es nicht den einen, richtigen Weg, betont der Forscher. In Japan beispielsweise sind die Unterschiede grundsätzlich nicht sehr hoch. In Schweden wiederum wird mit Hilfe des Steuersystems gegengearbeitet.

Mitbestimmung hebt Zufriedenheit

Im Kleinen haben sich Modelle bewährt, in denen MitarbeiterInnen das Unternehmen übernommen haben. Wenn der Profit nicht für Fremde, sondern für eine Gemeinschaft und damit auch die eigene Tasche erwirtschaftet wird, wenn man mitbestimmen kann, ob, wie und wie viel investiert wird, dann hebt das die Zufriedenheit der Betroffenen, so die Erfahrung.
Einen Beitrag zu geringeren Einkommensunterschieden leisten aber auch die Gewerkschaften, sagt Wilkinson. Starke Gewerkschaftsbewegungen sorgen dafür, dass die unteren Einkommen stetig erhöht werden. Sie setzen sich in den Unternehmen aber auch dafür ein, dass die Managergehälter nicht ins Bodenlose steigen. Passiert das nämlich, ist auch im Mikrokosmos eines Betriebs zu beobachten, dass es mehr psychische Erkrankungen, mehr Burn-out, mehr Mobbing gibt. Auch das Klima in einem Unternehmen profitiert also davon, wenn die Führung dafür sorgt, dass die Einkommen nicht allzu sehr auseinanderklaffen. Eine wichtige Rolle kommt dabei auch dem Betriebsrat zu.

Und Überstunden?

Beim GPA-djp-Bundesform wird Wilkinson auch nach der Auswirkung von Überstunden gefragt. Seine Antwort fällt klar aus: In ungleicheren Staaten werden wesentlich mehr Überstunden geleistet als in gleicheren Gesellschaften. Das Ziel: Mehr Geld zu verdienen, um damit mehr Konsumgüter kaufen zu können. Diese sind notwendig, um den sozialen Status zu heben oder zu halten.
Was bedeutet das aber nun für den Einzelnen? Ja sicher, sagt Wilkinson, das Individuum steige im sozialen Ansehen, wenn es im Beruf die Karriereleiter hochklettere, ein höheres Gehalt beziehe, sich mehr leisten könne. Das große Aber des Forschers folgt auf den Fuß: In einer Gesellschaft, in welcher der Einzelne nach einem immer höheren Verdienst strebt, leiden alle unter einer schlechteren Lebensqualität als in gleicheren Gesellschaften.
Und: Es bleibt weniger Zeit, um dem Gemeinwohl zu dienen. Von diesem profitieren im Gegenzug dann nicht nur wieder alle. Aktivitäten in der und für die Gemeinschaft bedeuten auch soziale Beziehungen. Und diese schaffen Zufriedenheit. Als Beispiel nennt Wilkinson hier auch Religionsgemeinschaften. Es gebe viele Studien, die zeigen, dass gläubige Menschen oft gesünder seien als säkular lebende. Wilkinson geht davon aus, dass dies mit den Sozialkontakten innerhalb einer Gemeinschaft zu tun hat.
»Grundsätzlich schließen einander Hierarchie und Freundschaft ja aus«, sagt der Wissenschafter. Freundschaft bedeute teilen, Hierarchie Konkurrenz. Gleichere Gesellschaften fördern also Freundschaften - und diese tragen unter anderem quasi präventiv dazu bei, dass Menschen seltener psychisch erkranken. Ausgewertet haben Wilkinson und Picket Hunderte Datensätze, die meisten erstellt von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO), aber auch Zahlen der Vereinten Nationen (UN) sowie des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF). Überrascht hat Wilkinson dabei, dass sich das Muster immer wiederholt. Egal, welcher Faktor herangezogen wurde: die gleicheren Gesellschaften schnitten immer besser ab. Und: Das, was in ungleicheren Gesellschaften von so vielen angestrebt und nicht erreicht wird, der berufliche und damit soziale und auch finanzielle Aufstieg, gelingt in gleicheren Gesellschaften sogar leichter. Der Grund: der bessere Zugang zu Bildung.
Ließen sich auch Phänomene wie die jüngst erlebte Finanzkrise durch eine gerechtere Einkommensverteilung vermeiden? Unbedingt, meint Wilkinson. Er zieht hier Parallelen zu 1929/30. »In beiden Fällen wurde der Gipfel an ungerechter Verteilung erreicht - verbunden mit hohen Schulden.« Schulden entstünden zum Beispiel dann, wenn Menschen versuchen, trotz geringerem Einkommen mit dem Konsumverhalten jener mitzuhalten, deren Status man haben will.

Am Ende des Nutzens von Wachstum

Kann man aus all dem den Schluss ziehen, dass sich Gesellschaften überhaupt nicht um ein höheres Wirtschaftswachstum bemühen sollen? Nein, sagt Wilkinson ganz klar. In den frühen Stadien wirtschaftlichen Wachstums steigt die durchschnittliche Lebenserwartung enorm. In Ländern wie Österreich macht aber das Streben nach immer höherem Wirtschaftswachstum keinen Sinn mehr. »In den reichen Gesellschaften sind wir am Ende des Nutzens von Wachstum angelangt.«

Weblink
Mehr Infos unter:
www.equalitytrust.org.uk

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