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Um jeden Preis? Bei Mediaanalysen werden AkademikerInnen automatisch zur A-Schicht gerechnet. Doch bald wird sich ein Teil der Bildungsoberschicht die Qualitätszeitungen und -zeitschriften nicht mehr leisten können (außer per Internet).

Um jeden Preis?

Schwerpunkt

Prekäre Arbeitsverhältnisse und Lohndumping greifen immer mehr um sich.Längst heißt gebildet nicht mehr gut verdienend.

Der Trend zu prekären Arbeitsverhältnissen und Lohndumping betrifft nicht nur die klassischen Niedriglohnbranchen, sondern auch Wissenschaft und Forschung, Bildungseinrichtungen sowie Medien- und Kreativunternehmen. Die Rechnung gebildet = gut verdienend stimmt längst nicht mehr.

Stundenlohn zehn Euro

Gesucht: Online-PR-Redakteur m/w mit sehr guten Französisch-Kenntnissen, fundiertem Web-2.0-Wissen sowie Interesse an und Kenntnissen über Sportwetten und Online-Poker für selbstständige Online-Themenrecherche und das selbstständige Erstellen und Platzieren von Texten in französischer Sprache auf Online-Plattformen; Werkvertragsbasis, Arbeit von zu Hause aus (Internetanschluss erforderlich), Stundenlohn: EUR 10,-.
Oder: Gerlinde W.*), heute 42, Historikerin, hat nach der Familienpause lange nach einem passenden Job gesucht und schließlich fast zwei Jahre lang als Büroleiterin bei einem Nachhilfeinstitut gearbeitet, als freie Dienstnehmerin, 25 Wochenstunden, Stundenlohn: acht Euro.
Zehn Euro pro Stunde, rund 1.700 brutto pro Monat, das klingt vielleicht für manche gar nicht so wenig. Nur: Es gibt kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld, in der Regel auch kein Recht auf Krankenstand u. Ä., Urlaub bedeutet meist Verdienstausfall, von automatischen jährlichen Einkommenszuwächsen ganz zu schweigen. Die Mittelschicht beginnt ab einem Bruttoeinkommen von 2.000 Euro, davon kann der Online-PR-Redakteur oben nur träumen.

Wertvolle Flexibilität

Nun träumen sicher nicht alle Menschen nach abgeschlossener Ausbildung von einem 40-Stunden-Vollzeitjob. Für persönliche Freiräume und Flexibilität sind viele durchaus bereit, auf Annehmlichkeiten wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu verzichten. Unter Flexibilität scheinen allerdings die Unternehmen etwas ganz anderes zu verstehen: die Bereitschaft, immer mehr Leistung bei - im besten Fall unveränderter Bezahlung - zu erbringen. Und den Willen, die Risiken eines Unternehmers zu bewältigen, aber gleichzeitig die Zuverlässigkeit, Loyalität und rasche Verfügbarkeit eines Angestellten zu bieten. Manfred K.*), Kameramann: »Meist läuft die Auftragsvergabe so ab, dass ich etwa am Mittwoch einen Anruf von einer Produktionsfirma bekomme, dass ich vielleicht am Samstag für einen Dreh gebraucht werde. Das bleibt dann so lange ungewiss, bis die Ab- oder Zusage kommt. Das heißt, ich muss mir den Samstag freihalten, selbst wenn dann vielleicht am Freitag eine Absage kommt.« Feiertags- oder Wochenendzuschläge sind nicht üblich.
Schon 2004 waren in Wien laut der WIFO-Studie »Untersuchung des ökonomischen Potenzials der Creative Industries in Wien« knapp die Hälfte der Unternehmen in den Kreativbranchen Ein-Personen-Unternehmen. Ein Viertel der in diesem Bereich Tätigen hatte einen Hochschulabschluss, weitere 44 Prozent Matura.
Die Wirtschaftskrise hat nicht nur weniger Aufträge, sondern in manchen Branchen auch niedrigere Einkommen für viele Prekäre bedeutet. Zusätzlich drücken PraktikantInnen, die auch mal gratis oder für ein paar Hundert Euro arbeiten (müssen), die Honorare und Gehälter in all jenen Branchen nach unten, in die massenhaft StudienabgängerInnen drängen. Outsourcing und ähnliche Sparmaßnahmen tun ein Übriges. Manfred K.: »Wenn ich meine Honorare in Schilling umrechne, dann komme ich heute für einen Auftrag auf dieselbe Summe wie vor mehr als 20 Jahren - zu schlechteren Bedingungen.« Wie so manche/r seiner KollegInnen versucht auch der Kameramann, sich ein zweites Standbein in einer anderen Branche aufzubauen. Was nicht ganz einfach ist, denn wie soll man mit derart geringem Budget etwa Geld für Weiterbildung lukrieren? »Ich wollte eigentlich nur so lange freiberuflich und zu Hause arbeiten, bis meine Kinder aus dem Gröbsten raus sind. Mittlerweile dauert dieser Zustand schon 17 Jahre. Das würde mich auch nicht wirklich stören, wenn mein Einkommen adäquat wäre«, erzählte mir kürzlich eine Kollegin. »Ich hab das Gefühl, ich muss jeden Tag mindestens zehn Stunden arbeiten, um auch nur halbwegs über die Runden zu kommen. Und da verbuche ich Notwendigkeiten wie Veranstaltungen besuchen und Netzwerken ohnehin schon als Freizeit.«
StudentInnen und JungakademikerInnen sind oft froh, überhaupt einen Job gefunden haben, Erfahrungen sammeln zu können, den Lebenslauf aufzuwerten und nehmen dafür geringe Bezahlung in Kauf. Coole Sprüche und das Versprechen auf Weiterentwicklung/Fixanstellung sollen den Einstieg versüßen:
Du bist ein Heavy Internet User? Du schreibst sehr gutes Englisch und sehr gutes Französisch? Du bist auch privat viel in Foren und Communities unterwegs? Passt! Du wirst uns beim Aufbau von Identitäten in verschiedenen von uns benannten Diskussionsforen unterstützen und zu Themen deiner Wahl hochwertige Beiträge schreiben.

Anforderungen

  • Vielseitige Interessen wie z. B. Gesundheit, Beziehungen, Immobilien- und Finanzwirtschaft
  • Top-Englisch, Top-Deutsch, Top Französisch
  • Du bist schnell auf der Tastatur
  • Sprachliche Kreativität und Effizienz - schreiben von englischen und französischen Texten fällt dir leicht
  • PC- und Internetskills
  • Eigene hohe Ansprüche an Arbeitsergebnisse und Termintreue
  • Selbstmotivation, Teamfähigkeit und Bereitschaft zur aktiven Kommunikation
  • Verlässlichkeit, gutes Zeitmanagement und Einsatzfreudigkeit setzen wir voraus
  • Jede weitere Sprache ist ein Vorteil
  • Sei ganz vorn dabei! Selbst in den USA haben unsere Skills noch absoluten Neuheitswert.
  • Werkvertrag, 15 h/Woche. Bei Bewährung nach ca. 1 Jahr Teilzeitanstellung möglich. Bezahlung: 8 (acht!) Euro pro Stunde.

In der Öffentlichkeit werden MitarbeiterInnen in der Medien- und Kreativbranche und besonders AkademikerInnen immer noch mit entsprechend gutem Einkommen assoziiert. Bei Mediaanalysen werden AkademikerInnen automatisch zur A-Schicht gerechnet. Doch bald wird sich ein Teil der Bildungsoberschicht die Qualitätszeitungen und -zeitschriften nicht mehr leisten können (außer per Internet), von Weiterbildung ganz zu schweigen. Geldmangel, unsichere Verhältnisse und Selbstausbeutung haben soziale Folgen: Das Geld und/oder die Zeit für Unternehmungen mit Freunden fehlen zum Teil. Die klassischen ArbeitskollegInnen gibt es kaum, denn diese sind im Grunde KonkurrentInnen. Und: Wer kann schon Familiengründung planen, wenn man sich immer nur von Projekt zu Projekt hantelt?

Erste Erfolge

Die GPA-djp weiß, dass etwa freie Dienstverträge häufig Umgehungsverträge sind, mit denen Kosten für eine Arbeitskraft minimiert werden sollen. Andrea Schober von der Interessengemeinschaft work@flex: »In den vergangenen drei Jahren ist die Zahl der freien Dienstverträge um 22 Prozent zurückgegangen. Natürlich wissen auch wir, dass einige davon dann in Werkverträge umgewandelt wurden. Aber etwa in Callcenters und bei Schulungseinrichtungen wurden - nicht zuletzt durch die gute Kooperation mit den Krankenkassen - die meisten Betroffenen tatsächlich angestellt.« Work@Flex fordert außerdem, den ArbeitnehmerInnen-Begriff dahingehend auszudehnen, dass auch als ArbeitnehmerIn gilt, wer im Auftrag und auf Rechnung anderer Arbeit leistet und in einem wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnis steht. Nur: Wäre es dann für ein Unternehmen nicht naheliegend, in Zukunft die Zusammenarbeit mit neuen Selbstständigen weniger regelmäßig und »einseitig« zu gestalten, also mehr Prekäre zu beschäftigen, aber diese dann weniger regelmäßig als bisher?
Der Mailänder Soziologe Sergio Bologna sieht angesichts der aktuellen Situation den Bedarf für umfassende politische Reformen. Er fordert das Anrecht auf soziale Absicherung für alle - gleichgültig in welchem Arbeitsverhältnis sie tätig sind. Grundrechte wie etwa das Streikrecht, das für neue Selbstständige, freie DienstnehmerInnen etc. nicht greift, müssten überdacht und die Prekären in stabile Netzwerke integriert werden.

*) Namen von der Redaktion geändert

Weblink
Work@Flex:
www.gpa-djp.at/flex

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