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Ein-Euro-Jobs und Bürgerarbeit 68 Prozent der Befragten verfügten über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss. Fast jede/r Zweite gab an, im Ein-Euro-Job dieselbe Tätigkeit gemacht zu haben wie die regulär beschäftigten KollegInnen.
Arbeitslosengeld und Hartz IV

Ein-Euro-Jobs und Bürgerarbeit

Schwerpunkt

Arbeiten ohne Arbeitsvertrag, Mindestlohn und Perspektive in Deutschland. Die Regelungen beim Nachbarn sind kein Vorbild für Österreich.

Ab 1. Jänner 2011 sollen in Deutschland etwa 34.000 Langzeitarbeitslose für etwa 900 Euro netto im »gemeinnützigen Sektor« arbeiten. Darunter versteht die deutsche Arbeitsministerin Von der Leyen Arbeit in Kirchengemeinden und Vereinen, als HausmeisterHilfskraft an Schulen oder als EintüterIn an der Kasse von Supermärkten. Das Ziel der CDU ist klar: »Wir wollen, dass es in jeder Familie mindestens einen Erwachsenen gibt, der morgens zur Arbeit geht«, konkretisiert Bernd Krömer, CDU-Generalsekretär. Ein frommer Wunsch, den die meisten angesichts der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland wohl teilen. Ob dieses Ziel jedoch mit einer weiteren Zwangsmaßnahme für Langzeitarbeitslose zu erreichen ist, bleibt angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der Arbeitsvermittlung à la Hartz IV anzuzweifeln.

2003-2005: Hartz I-IV tritt in Kraft

In den Jahren 2003 bis 2005 traten in Deutschland die sogenannten Hartz-Gesetze (Hartz I bis IV) in Kraft, die das bisherige System von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe in Deutschland völlig umkrempelten. Mit dem Argument, Arbeitslose rascher wieder in den Arbeitsprozess eingliedern zu wollen, wurden Arbeitslosengeld und Sozialhilfe zusammengeführt und die Zumutbarkeitsbedingungen radikal verschärft. Besonders streng sind die Zumutbarkeitsbestimmungen bei Jugendlichen. Schon nach einmaliger Verweigerung eines Arbeitsangebots können ihnen die Leistungen für den Lebensunterhalt gekürzt werden. Die Zumutbarkeit gilt allgemein auch für Löhne bis zu 30 Prozent unter dem Tarifniveau. Daher ist diese Regelung aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) völlig unzumutbar.

Ein-Euro-Jobs

Neben der Reform von Arbeitslosengeld und Zumutbarkeit wurden im Zuge der Hartz-Reformen auch neue Instrumente der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt entwickelt, wie etwa die sog. »Ein-Euro-Jobs« oder korrekt »Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung«. Ein-Euro-JobberInnen erhalten Arbeitslosengeld II (meist einfach Hartz IV genannt) weiter ausbezahlt und verrichten dafür eine Tätigkeit, die zusätzlich sein - also keinen bestehenden Arbeitsplatz ersetzen darf - und zudem im öffentlichen Interesse liegen sollte. Dafür erhalten sie eine »angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen« von ein bis zwei Euro pro Stunde. Daher auch der vielsagende Name. Weigert sich jemand ein Ein-Euro-Job-Angebot anzunehmen, muss er/sie mit Kürzung oder Streichung der Leistung rechnen.
Ziel ist es, Langzeitarbeitslose mit Vermittlungshemmnissen wieder an ein »normales Arbeitsleben« heranzuführen und so ihre Jobchancen zu erhöhen. Genau genommen sollten Arbeitssuchende nur dann in einen Ein-Euro-Job vermittelt werden, wenn andere Möglichkeiten, also die Eingliederung in reguläre Arbeit, Ausbildung oder Qualifizierung, nicht bestehen. 
Die Realität geht jedoch weit darüber hinaus. Im Jahresdurchschnitt gibt es in Deutschland rund 300.000 TeilnehmerInnen in Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung. Da die Arbeitsgelegenheiten maximal zwölf Monate dauern dürfen, ist die Zahl der Teilnahmen pro Jahr noch wesentlich höher: 764.000 gab es im Jahr 2008. Vor allem in Ostdeutschland werden Ein-Euro-Jobs im großen Stil eingesetzt. Sie kommen in etwa eineinhalbmal so oft zur Anwendung wie eine berufliche Weiterbildung.
Kein Wunder übrigens, dass Ein-Euro-Jobs so attraktiv sind, kosten sie doch die ArbeitgeberInnen nur die Mehraufwandsentschädigung und eine sog. Trägerpauschale, insgesamt rund 500 Euro. Die restlichen Kosten werden aus der Weiterzahlung des Arbeitslosengelds II bzw. sonstiger Leistungen gedeckt. Mit Ein-Euro-Jobs lassen sich zudem kurzfristig hohe Aktivierungsraten erzielen. »Quantität von der Stange statt Qualität im Einzelfall«, kritisiert der DGB.

Zwei Drittel entsprachen nicht

Auch der deutsche Bundesrechnungshof kritisierte in seinem Prüfbericht 2008 das System der Ein-Euro-Jobs: Zwei Drittel der geprüften Maßnahmen hätten nicht den gesetzlichen Fördervoraussetzungen entsprochen. In acht von zehn beanstandeten Fällen sei die Tätigkeit keine zusätzliche gewesen. In der Hälfte der beanstandeten Fälle stand die Tätigkeit nicht im öffentlichen Interesse. Die Arbeitsgelegenheiten blieben für drei von vier Hilfsbedürftigen wirkungslos. Messbare Integrationsfortschritte waren nicht erkennbar.
Eine Befragung des DGB unter Ein-Euro-JobberInnen bestätigt diese Kritik. 64 Prozent der Befragten glauben nicht daran, durch den Ein-Euro-Job wieder in ein reguläres Arbeitsverhältnis zu kommen. 40 Prozent geben an, an seelischen Problemen zu leiden. Jede/r Vierte empfindet die Verpflichtung, an solchen Jobgelegenheiten teilzunehmen als Entwürdigung und nimmt nur wegen der drohenden Kürzungen teil. Dabei zeigt sich ein deutliches Ost-West-Gefälle. Arbeitssuchende in den neuen Bundesländern sehen die Ein-Euro-Jobs deutlich positiver als Arbeitssuchende in den alten Bundesländern, auch wenn damit keine längerfristigen Jobchancen verbunden sind. Offenbar steigt mit zunehmender Aussichtslosigkeit der eigenen Situation die Bereitschaft, sich an jeden Strohhalm zu klammern. 41 Prozent der Ostdeutschen haben sich sogar aktiv für einen Ein-Euro-Job beworben. Das stellt die Sinnhaftigkeit des Zwangs zur Arbeit in Frage. Die Arbeitslosigkeit der Hartz-IV-Bedürftigen resultiert nicht aus einem Mangel an Arbeitswillen, sondern auch aus einem Mangel an Angeboten. 68 Prozent der Befragten verfügten über eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen Hochschulabschluss. Fast jede/r Zweite gab an, im Ein-Euro-Job dieselbe Tätigkeit gemacht zu haben wie regulär beschäftigte KollegInnen. Jede/r Vierte sagte, dass für seine/ihre Ein-Euro-Tätigkeit eine abgeschlossene Berufsausbildung nötig gewesen sei.
Die Vermittlung in Ein-Euro-Jobs beschränkt sich also bei weitem nicht auf Personen mit Vermittlungshemmnissen und auf zusätzliche Stellen. Tatsächlich verdrängen sie oft reguläre Arbeitsverhältnisse und bringen zudem Tarifsysteme unter enormen Druck. Vor allem in Ostdeutschland werden Ein-Euro-Jobs nicht mehr gezielt eingesetzt, um Einzelne zu unterstützen, sondern großflächig als Marktersatzmaßnahme. Dafür sind sie aber nicht geschaffen. Denn die Menschen in Ein-Euro-Jobs haben weder einen Arbeitsvertrag noch sonstige ArbeitnehmerInnenrechte. Sie sind lediglich staatlich geförderte Billigarbeitskräfte. Der DGB fordert daher dringend vor allem für die neuen Bundesländer, andere Modelle der öffentlich geförderten Beschäftigung anzuwenden, bei denen sozial gesicherte Beschäftigungsmöglichkeiten mit einem Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde entstehen.

Völkerrechtlich bedenklich

Auch völkerrechtlich ist die Arbeitspflicht nicht unbedenklich. Eine arbeitsrechtliche Studie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung zeigt, dass einige Instrumente der Hartz-Gesetzgebung gegen geltendes internationales Recht verstoßen, insbesondere gegen das Verbot der Pflichtarbeit (Übereinkommen Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation).
Die arbeitsmarktpolitischen Auswirkungen der geförderten Billigarbeit zeigen sich am deutschen Arbeitsmarkt. Die Hartz-Reformen haben nicht zu einer nachhaltigen Reduktion der Arbeitslosigkeit geführt, sondern stattdessen die Ausweitung des Niedriglohnsektors unterstützt. Die offensichtlichen Folgen einer Politik, die auf Arbeit um jeden Preis setzt, sind neben einem Rückgang der unteren Löhne ein rasantes Wachstum bei prekären Beschäftigungsverhältnissen und sozialer Ungleichheit. Das sollte uns eher als Abschreckung denn als Vorbild dienen.

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