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Höchste Zeit für Umverteilung Es gibt einen Kuchen an Geldvermögen, der weltweit aufgeteilt wird: Immer mehr bekommen aber immer kleinere Stücke, während sich wenige die großen Stücke und den Zuckerguss nehmen. Es wäre höchste Zeit für Umverteilung, denn es ist genug für alle da.

Höchste Zeit für Umverteilung

Interview

AK Wien-Vizepräsidentin und stv. Bundesgeschäftsführerin der Gewerkschaft vida Renate Lehner über Armutsfalle, Mindestlohn und Umverteilung.

Arbeit&Wirtschaft: Renate Lehner, du bist AK Wien-Vizepräsidentin und Bundesgeschäftsführerin der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida, die gerade ihren zweiten Gewerkschaftstag hatte. Schwerpunktthema der aktuellen Arbeit&Wirtschaft ist der »Wert der Arbeit«.

Renate Lehner: Mir fallen zu diesem Thema gleich einige grundlegende Fragen ein:
Wie kann es etwa sein, dass Frauen und Männer in Österreich noch immer einen Stundenlohn von sieben bis acht Euro für oft schwierige und harte Arbeit bekommen und selbst erfolglose ManagerInnen hohe Gagen und Abfertigungen erhalten? Wie kann es sein, dass es eben jenen ManagerInnen möglich ist, zum genau richtigen Zeitpunkt - wenn »zufällig« der Kurs nach oben schnellt - Aktien zu verkaufen und so hohe Gewinne zu lukrieren?
Wie kann es sein, dass die Mehrheit der Menschen am Sparbuch derzeit vielleicht ein Prozent Zinsen bekommt und die Inflation im Endeffekt höher ist? Die Kluft zwischen Arm und Reich wird in Österreich immer breiter und nicht nur in Österreich, sondern weltweit. Das Geldvermögen ist ungleich verteilt. Wieso lassen wir zu - und wir lassen es zu -, dass Millionen Menschen verhungern, damit wir in Europa im Überfluss leben können? Wir beuten die Menschen in den Ländern des Südens aus, ihre Arbeit ist uns nicht viel wert. Es gibt Monokulturen, z. B. die Baumwoll- oder Kautschuk-Plantagen, wo enormer Profit gemacht wird und oft Jahre nach der extremen Bewirtschaftung nichts mehr wächst. Die Menschen dort, auch Kinder, arbeiten oft unter widrigsten Arbeitsbedingungen zwölf Stunden am Tag.
Aber wir müssen gar nicht so weit schauen. Die EU unternimmt z. B. derzeit nichts dagegen, dass 16.000 Vietnamesen für die bulgarische Landwirtschaft angeheuert werden. Der offizielle Mindestlohn in Bulgarien beträgt 85 Cent, diese ArbeitnehmerInnen erhalten 20 Cent. Und das alles bei einer Arbeitslosigkeit von zehn Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von 20,7 Prozent in Bulgarien.

Moderne Sklaverei?

Könnte man so formulieren. Es gibt einen Kuchen an Geldvermögen, der weltweit aufgeteilt wird: Immer mehr bekommen aber immer kleinere Stücke, während sich einige wenige die großen Stücke und den Zuckerguss nehmen. Es wäre höchste Zeit für Umverteilung, denn es ist genug für alle da.
In den vergangenen Jahren haben vor allem politische Entscheidungen zur Liberalisierung der Finanzmärkte und des Welthandels beigetragen. Das Senken der Steuern auf Kapital hat z. B. bewirkt, dass die Verhandlungsmacht des Kapitals gegenüber dem Rest der Gesellschaft erhöht wurde.
Die Folgen sind, dass die Ungleichheit gestiegen ist und die Lohneinkommen weniger stark gestiegen sind als die Gewinne.

Und menschliche Arbeit ist weniger wert als die des Geldes, das man für sich arbeiten lässt?

Dieses Problem haben wir auch in Österreich. Es kann nicht sein, dass eine Million Menschen in Österreich armutsgefährdet sind und die Hälfte davon von Armut betroffen ist - das sind immerhin zwölf Prozent der Bevölkerung. Und das in einem der reichsten Länder der Welt.
Dazu kommt - Stichwort »Wert der Arbeit« -, dass rund zehn Prozent der Beschäftigten, rund 250.000 Personen, armutsgefährdet oder arm sind, obwohl sie arbeiten. Der Grund dafür ist die Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse wie freie DienstnehmerInnen, neue Selbstständige oder auch Leiharbeit.
In der Krise waren ja die LeiharbeiterInnen die ersten, die gehen mussten - jetzt wissen wir, dass die Leiharbeit wieder boomt. Denn immer öfter wird Stammpersonal durch LeiharbeiterInnen ersetzt, die flexibel bis zum »geht-nicht-mehr« sein müssen. LeiharbeiterInnen können jederzeit an den Überlasser zurückgegeben werden und werden dort gekündigt, wenn sie nicht mehr gebraucht werden.

Also Ihren Wert veloren haben?

Man fühlt sich nicht sehr wertgeschätzt, wenn man je nach Bedarf den Arbeitsplatz wechseln muss und ihn jederzeit verlieren kann. Daher halte ich es für eine sehr wichtige Forderung der Gewerkschaften, dass LeiharbeiterInnen nach einiger Zeit auf ihren Wunsch hin von dem Unternehmen, in dem sie beschäftigt sind, übernommen werden müssen.
Nicht unproblematisch ist auch die Lage der Teilzeitbeschäftigten. Die Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida betreut einige Branchen, wie die sozialen Dienste oder die Reinigungsbranche, in denen viele Beschäftigte Teilzeit arbeiten. Ja, oft werden gar keine Vollzeitarbeitsplätze mehr vergeben, sondern nur noch Teilzeit. Wenn wenig Arbeit anfällt, gibt es eben weniger Stunden zu leisten, wenn viel Arbeit anfällt müssen mehr Stunden geleistet werden. Das ist Arbeit auf Abruf! Freiwillige Teilzeitarbeit zur Vereinbarung von Beruf und Familie ist dagegen kaum möglich.
Wir haben zwar den Mehrarbeitszuschlag durchgesetzt, in vielen Branchen wird er aber nicht ausbezahlt. ArbeitgeberInnen umgehen ihn durch das Ausstellen neuer Dienstverträge. Eine unserer Forderungen, die wir auch am vida-Gewerkschaftstag im Grundsatzprogramm beschlossen haben, ist, dass diese Lücke im Gesetz geschlossen werden muss, damit die ArbeitgeberInnen den Mehrarbeitszuschlag auch tatsächlich bezahlen müssen. Weiters fordern wir die Anhebung des Mehrarbeitszuschlags auf 50 Prozent.

Davon sind viele Frauen betroffen?

Ja, fast ausschließlich. Frauen leisten gesellschaftlich extrem wertvolle Arbeit, z. B. in der Altenbetreuung, aber auch in der Reinigung und werden in diesen Branchen weit unter ihrem Wert bezahlt.
Mehr als ein Viertel der BerufseinsteigerInnen sind übrigens atypisch beschäftigt, davon acht Prozent in Teilzeit. Das muss man sich vorstellen, was das bedeutet, wenn man so ins Berufsleben startet.

Dass die Menschen mit Teilzeitarbeit weniger verdienen ist klar. Im Vollzeitjob erwartet man sich aber ein Einkommen zum Auskommen. Wie hoch muss das mindestens sein?

Wir haben im Jahr 2007 auf Sozialpartnerebene 1.000 Euro Mindestlohn ausverhandelt, und wir haben das auch mit vielen Anstrengungen durchgesetzt, bei den TaxilenkerInnen mit Jänner 2009, bei den FriseurInnen gibt es ebenfalls erste Erfolge. Unser nächstes Ziel ist 1.300 Euro Mindestlohn - das sind 7,50 Euro in der Stunde. Das muss auch den ArbeitgeberInnen die Arbeitsstunde wert sein.
Bei der aktuellen Lohnrunde im Reinigungsgewerbe konnten wir bereits einen großen Erfolg erzielen, dort beträgt mit 1. Jänner 2011 der Mindestlohn 1.302 Euro - und das betrifft immerhin 40.000 Beschäftigte.

Wäre ein gesetzlicher Mindestlohn sinnvoll?

Wenn wir lediglich 50 Prozent der Branchen mit Kollektivverträgen abgedeckt hätten, wie in vielen anderen Ländern, wäre der gesetzliche Mindestlohn sinnvoll. In Österreich werden 95 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse von Kollektivverträgen erfasst. Beim gesetzlichen Mindestlohn besteht aber die Gefahr, dass die Politik das Sagen hat. In den USA ist z. B. der Mindestlohn über Jahre nicht mehr angehoben worden. Wir als GewerkschafterInnen werden uns deshalb weiterhin bei den KV-Verhandlungen dafür einsetzen, dass der Mindestlohn nicht bei 1.300 Euro stehen bleibt.

Wie stehst du zur bedarfsorientierten Mindestsicherung?

Die bedarfsorientierte Mindestsicherung in der Höhe von 744 Euro gilt in einigen Bundesländern seit Anfang September und wird bereits jetzt stark von AlleinerzieherInnen in Anspruch genommen. Wir wissen, dass viele von ihnen - in der Regel Frauen - an der Armutsgrenze leben.
Ein wichtiger Schritt, um die Einkommensschere zu schließen, ist die Novelle im Gleichbehandlungsgesetz. Es wird ja in Zukunft einen verpflichtenden Einkommensbericht geben, und auch bei den Stellenausschreibungen muss das Mindesteinkommen, das BewerberInnen erwartet, öffentlich gemacht werden. Diese Transparenz halte ich für überaus notwendig. Das wird bei vielen Menschen einen ziemlichen Aha-Effekt auslösen.

Je weniger Menschen in Arbeit sind, desto mehr sind auf diese Leistung angewiesen.

Daher müssen wir endlich offen über die Verteilung der vorhandenen Arbeitszeit diskutieren. Die Menschen müssen mit ihrem Einkommen auch auskommen. Das ist aber - siehe atypische Beschäftigte - im reichen Österreich immer seltener der Fall.
In Österreich leisten die Menschen europaweit am meisten Überstunden, hier bräuchte es ein solidarisches Miteinander. Ein Weg dazu ist, die Überstunden für den Arbeitgeber zu verteuern, damit dieser Boom des flexiblen Arbeitens eingedämmt wird.
Es kann nicht sein, dass jemand jede Woche 60 Stunden arbeitet - ob gewollt oder angeordnet -, und auf der anderen Seite ArbeitnehmerInnen mit 20 Stunden und dem entsprechenden Einkommen auskommen müssen. Das ist auch der Grund, warum viele Menschen einen zweiten oder dritten Job brauchen, um überleben zu können.

Und arbeiten bis zum Burn-out - muss das sein?

In unserer Leistungsgesellschaft hat Arbeit einen hohen sozialen Wert. Viel zu viele definieren sich ausschließlich über ihre Arbeit.
Dabei gibt es auch ein Leben neben der Arbeit. Und ein wichtiger Schritt, um dieses Leben zu verbessern, wäre eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung auf 38 Stunden pro Woche mit vollem Lohnausgleich. Auf Kollektivvertragsebene sollte auf 35 Stunden gesenkt werden - das wäre ein gangbarer Weg, um die Lebenssituation der Beschäftigten zu verbessern, und um mehr Menschen in Arbeit zu bringen.

Im Mai nächsten Jahres wird sich ja der heimische Arbeitsmarkt für BürgerInnen aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten öffnen - in der Gewerkschaft vida hat man viel Erfahrung mit diesem Thema, weil schon jetzt viele KollegInnen aus diesen Ländern z. B. im Tourismus tätig sind.

Aus diesem Grund begrüßen wir auch das neue Antilohn- und Antisozialdumpinggesetz. Wir wissen aus der Beratungsarbeit im Burgenland, dass ungarische KollegInnen in Österreich um bis zu 40 Prozent niedrigere Löhne bekommen. Bisher musste jede/jeder Einzelne von ihnen den vorenthaltenen Lohn vor Gericht einklagen, aber wer macht das schon. In Zukunft sollen diese ArbeitnehmerInnen leichter zu dem ihnen vorenthaltenen Lohn kommen.

Die Gewerkschaft vida vertritt auch viele Menschen in pflegenden Berufen. Der Wert ihrer Arbeit wird oft - auch finanziell - zu gering geachtet …

Daher fordern wir als Gewerkschaft vida die Sozialmilliarde. In den sozialen Berufen sind sehr viele Frauen beschäftigt, die für ihre wichtige und oft physisch und psychisch belastende Tätigkeit meist gering bezahlt werden. Das Geld wird dringend gebraucht, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern und neue Arbeitsplätze zu schaffen - vor allem in der Pflege.

Woher soll das ganze Geld dazu aber kommen?

In Österreich haben wir einnahmenseitig beim Budget einige unserer Forderungen umsetzen können, wie z. B. die Einführung der Vermögenszuwachssteuer und die Bankenabgabe, aber es braucht dringend mehr Umverteilung. Wir in der Gewerkschaft vida fordern deshalb die Einführung einer Vermögenssteuer auf große Vermögen, also ab 500.000 Euro.
Wir sind auch immer noch der Ansicht, dass eine globale Finanztransaktionssteuer dringend notwendig ist. Hier braucht es auch in der EU endlich einen Schulterschluss. Als die Krise ausgebrochen ist, wurde versprochen, dass diese undurchsichtigen Finanztransaktionen eingedämmt werden, und dass es Kontrollen am Finanzmarkt geben wird. Das ist alles nicht mehr der Fall. Das alte Spiel wird weiter gespielt, da muss sich etwas ändern.

Wir danken für das Gespräch.

Zur Person
Renate Lehner
Geboren: 15.11.1958, Erlernter Beruf: Industriekauffrau
1985-1987: Mitarbeiterin in der Buchhaltung der Gewerkschaft LUGA
1988-1989: Sozialakademie
1989-2000: LUGA-Frauensekretärin, Fachsekretärin Konserven-, Tiefkühl- und Süßwarenindustrie
1999: BRV in der Gewerkschaft ANG
2000-2006: Zentralsekretärin der Gewerkschaft HGPD, seit 2004 AK-Wien-Vizepräsidentin
Seit 7. Dezember 2006 stellvertretende vida-Bundesgeschäftsführerin und Bundessektionssekretärin der vida-Sektion private Dienstleistungen

Weblink
Gewerkschaft vida:
www.vida.at
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