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Potente Zwerge Ob Landwirtschaft, Medizin, ­Lebens­mittel-, Auto- oder ­Kosmetikindustrie, die Errungenschaften der Nano­technologie werden bereits (in bare Münze) umgesetzt. ­Tatsächlich sind die Partikel längst in aller Munde - in Form von Zahnpasta, Ketchup etc.
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Potente Zwerge

Schwerpunkt

Die Nanotechnologie gilt als Technologie der Zukunft. Für Arbeitnehmer- und KonsumentenschützerInnen sind die winzigen Teilchen eine große Herausforderung.

Nanoroboter, die im Körperinneren Spermien selektieren oder Tarnanzüge aus Metallpartikeln, noch sind sie Utopie, doch die Nano-Zukunft hat längst begonnen: Ob Landwirtschaft, Medizin, Lebensmittel-, Auto- oder Kosmetikindustrie, die Errungenschaften der Nanotechnologie werden bereits (in bare Münze) umgesetzt. Tatsächlich sind die Partikel längst in aller Munde - zumindest in Form von Zahnpasta, Ketchup, Suppenpulver oder löslichem Kaffee.  Die Industrie setzt vielen Nahrungsmitteln Nanopartikel zu oder beschichtet Behälter, um Fließeigenschaften, Festigkeit und Farbe zu verbessern oder die Haltbarkeit zu verlängern.

Schutzschild oder Lotusblumeneffekt

Verpackungen werden mit Nanosensoren ausgestattet, um den Zustand des Inhalts zu überwachen. Sie kontrollieren Luftfeuchtigkeit und die Einhaltung der Kühlkette, spüren unerwünschte Keime auf etc. Wer heute Schutzschild oder Lotusblumeneffekt sagt, meint damit fast immer Nanotechnologie. In Sonnenschutzmitteln helfen Titandioxid-Partikel, den Lichtschutz zu verbessern und den unerwünschten weißen Film auf der Haut zu vermeiden. Manche Hersteller schmücken sich mit den Silben Nano (z. B. Imprägnierungen, Nano-Versiegelung an Tankstellen etc.), die meisten allerdings hängen dieses Detail nicht an die große Glocke. Da derzeit nicht genau deklariert werden muss, ist meist nicht zu erkennen, in welcher Form die verschiedenen Bestandteile eines Produkts verwendet wurden.
Ausgehend von bekannten Materialien arbeitet die Nanotechnologie mit Teilchen, die in einer oder mehreren Dimensionen kleiner als 100 Nanometer sind (1 nm = 1 Millionstel Millimeter). Diese Partikel haben allerdings häufig andere Eigenschaften als das Ausgangsmaterial, so sind etwa Stahl-Nanoröhrchen hundertmal fester, aber viel leichter als normaler Stahl. Naturgemäß bieten derart winzige Partikel für Industrie und Forschung viele faszinierende Möglichkeiten. Aber sie haben auch einige Nachteile: Je kleiner das Teilchen, desto größer ist die Gefahr, dass es unbeabsichtigt und (vorerst) unbemerkt in die Lunge, ins Blut oder sogar ins Gehirn gelangen kann. Durch die Partikel könnten vermehrt Freie Radikale gebildet werden, wodurch letztendlich DNA-Schäden, Krebs etc. entstehen können. Sind unlösliche oder schwer lösliche Nanoteilchen einmal im Körper, so lassen sie sich derzeit fast nicht mehr entfernen. Schwellenwerte (ab welcher Menge Partikel gefährlich werden können) fehlen. Mittels Nanotechnologie aufgepeppte Pflanzenschutzmittel könnten unkontrolliert in die Umwelt gelangen. Und derzeit sieht man etwa an den weltweiten Problemen mit resistenten Bakterien, was der massenhafte Einsatz einer an sich großartigen Errungenschaft wie der Antibiotika bewirken kann.
Während Nano-ExpertInnen mit Hochdruck forschen, sind PolitikerInnen, Interessenvertretungen, Behörden etc. beim Verhandeln. Von 2006 bis 2009 diskutierten beim EU-Projekt NanoCap ­Gewerkschaften, NGOs und ExpertInnen über mögliche Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsrisiken der Nanotechnologie. Anlässlich der Schlusskonferenz im April 2009 präsentierte ETUC unter anderem folgende Forderungen:

  • Nano-Risikomanagement unter Einbindung von Beschäftigten und deren Vertretungen
  • Kennzeichnung aller Konsumgüter mit freisetzbaren Nanomaterialien
  • Einrichtung nationaler Register der Produktion, Einfuhr und Verwendung von Nano
  • Anpassung der Sicherheitsdatenblätter
  • Anwendung des Vorsorge-Prinzips »Keine Daten - keine Exponierung« auch bei Nanotechnologie: Der Kontakt mit Nanopartikeln im Arbeitsprozess sollte so weit wie möglich vermieden werden.
  • Mindestens 15 Prozent der öffentlichen Nano-Forschungsgelder für begleitende Forschung punkto Sicherheit (derzeit fünf Prozent)

2009 schließlich wurde der Österreichische Aktionsplan Nanotechnologie (NAP) abgeschlossen. Die Beteiligten kons­tatierten, dass es in vielen Nanotechnologie-Bereichen noch Wissenslücken gibt (auch wegen nicht vorhandener Deklarationspflicht) und sich »die Dokumentation über Effekte von Nanopartikeln auf Organismen heute noch auf Blitzlichtaufnahmen beschränkt«. Allerdings wurde nicht nur der Ist-Stand erhoben, sondern konkrete Forderungen und Ziele erarbeitet. Punkto Arbeitsplatzssicherheit etwa sind Grenzwerte und kostengünstige, zuverlässige Messsysteme nötig. 2011 soll eine Nano-Informationsplattform (NIP) mit verständlichen Informationen für alle Interessierten entstehen, die laufend von ExpertInnen aktualisiert wird. Obwohl Lacke in Form von Additiven und Pigmenten schon seit Jahrzehnten Nano­partikel enthalten, bedeutet die Ausbreitung der Nanotechnologie eine neue Herausforderung beim ArbeitnehmerInnenschutz. Derzeit sind mögliche Gefahren noch kaum bekannt - selbst in Unternehmen, die Nanoteilchen produzieren. Mangels Kennzeichnungspflicht wissen nicht nur KonsumentInnen, sondern zum Teil auch ArbeiterInnen und Angestellte nicht, wann sie mit Nanopartikeln in Kontakt kommen. Manche Anwender kennen das Grundmaterial ihrer Nanomaterialien nicht.1 Chemiker Dr. Günther Kittel, ppm Forschung und Beratung: »Es ist verständlich, dass Unternehmen derzeit verunsichert sind. Aber die Arbeitgeber müssen für gesunde und sichere Arbeitsplätze sorgen und können nicht warten, bis alle Gefahren bekannt sind. Denn die Wissenslücken lassen sich schon allein wegen der enormen Vielfalt an Nanomaterialien nicht kurzfristig schließen. Außerdem sind ungewisse Risiken in der Arbeitswelt ja nichts Neues und können nicht als Ausrede genommen werden, nichts zu tun.«

Schutzmaßnahmen notwendig

Solange nicht klar nachgewiesen ist, dass von den hergestellten Materialien keine Gefährdung ausgeht, müssen im Sinne des Vorsorgeprinzips Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Das beginnt mit geschlossenen Systemen bei der Synthese von Nanomaterial und endet bei der Schutzausrüstung (z. B. Schutzkleidung, Atem-schutz), wenn sich ein offener Umgang nicht vermeiden lässt. Wichtig ist, die Bildung von Aerosolen zu vermeiden, d. h. trockene Pulver dürfen nur so verarbeitet werden, dass die Partikel nicht in die Luft abgegeben und eingeatmet werden könnten. Der Umgang mit Suspensionen oder festen Kompositmaterialien ist hier deutlich unbedenklicher.
Bei einer Untersuchung zum Thema »Umgang mit Nano im Betrieb«1 äußerten die Befragten ganz konkrete Unterstützungswünsche: brauchbare Sicherheitsdatenblätter, Positiv- und Negativlisten von Nanomaterialien, Pilotprojekte zur Praxis des Nano-Risikomanagements sowie entsprechende Leitfäden, mehr Information über gesetzliche Rahmenbedingungen etc.
Immerhin gibt es punkto KonsumentInnenschutz eine Positivmeldung: Ab Juli 2013 nimmt die neue EU-Kosmetikverordnung die Hersteller in die Pflicht. Nanomaterialien dürfen nur dann verwendet werden, wenn deren Anwendung sicher ist und müssen deklariert werden. Wo Nano drin ist, muss dann auch Nano draufstehen.

Weblinks
Infos zum Thema: Institut für Technikfolgenabschätzung:
www.oeaw.ac.at/ita
www.arbeitsinspektion.gv.at

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung an die Autorin
afadler@aon.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

1 ppm Forschung und Beratung: »Umgang mit Nano im Betrieb«, Linz, 2009; im Auftrag von BM für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz und Zentral-Arbeitsinspektorat

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