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Pseudo-Befreiung

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Ein Kommentar des Konsumentenpolitikers Karl Kollmann zum Geschäft mit dem Glück, dem Sex und dem Herzeigen, dass man Geld hat.

Was vor dreißig Jahren noch niemand geglaubt hätte, ist heute Alltag geworden: Das Geschäft mit Sex, Glück und dem »Angeben« ist groß geworden. Was früher tabu war und in dunklen Nischen blieb, hat der fortgeschrittene Kapitalismus in seine Verwertung aufgenommen. Erotik und Sex sind fester Bestandteil von Werbung, ebenso das unverhohlene »Zeigen« von Luxusgütern, Urlauben und Freizeitbeschäftigungen. Massive Glücksspielwerbung umrahmt die TV-Abendnachrichten. In vielen elektronischen Spielen und Filmen dominieren Gewalt und Aggression. Das ist nicht nur Werbung, sondern Geschäftsinhalt. Käuflicher Sex, erkaufte Anerkennung, Geld verspielen und Gewalt sind fette Geschäftsfelder geworden.
Was hat sich da ereignet?
Die bürgerlichen und humanistischen Werte: friedlicher Umgang miteinander, Sparen, überlegter Konsum, Befriedigungsaufschub, Sublimieren, waren in einer Mangelgesellschaft mit scharfen Klassengegensätzen notwendig, um Ruhe und Ordnung zu erhalten. Unzufriedene Menschen wurden keine TerroristInnen, sondern KünstlerInnen, Gelehrte, PolitikerInnen und AbenteurerInnen, um das salopp zu sagen. Denn, wer aufständisch war und gegen geltende, bspw. sexuelle Normen sichtbar aufmuckte, landete in sozialer Isolation oder im Gefängnis. Was hier stattfand, war eine repressive Sublimierung - für die klassische Psychoanalyse (Sigmund Freud) entstand daraus Kultur im weitesten Sinn: nicht nur Hochkultur, also Kunst, sondern eben auch anständiges Benehmen, ziviler Umgang miteinander.

Mit dem Übergang von der Mangel- zur Überflussgesellschaft wurde diese Haltung überflüssig.Wo Konsum dominiert, ist Verzicht schädlich für Geschäfte und Wirtschaft. Das gesellschaftliche Anerkennungsmuster wechselte - statt sozialer Konformität fand nunmehr demonstrativer Konsum hohe Anerkennung. Dazu kam, dass die Wirtschaft umfassend nach ökonomischer Verwertung neuer Bereiche des Lebens suchte. Wenn gesellschaftliche Tabus schwächer werden, lassen sich mit rauschenden Festen, mit Angeberei, Sex, Glücksspiel, Gewalt und Luxuskonsum neue lukrative Geschäft machen.
Diese Rücknahme von Verfeinerung und Verzicht (= Entsublimierung), diese Enttabuisierung bislang als Schmutz und Schund geächteter dunkler Gassen, blieb aber repressiv. Statt Sparsamkeit und überlegtem Konsum gilt heute Konsumzwang. Wer hier nicht mithält, ist »draußen«, gehört nicht »dazu«. Darum der Ausdruck: repressive Entsublimierung oder repressive Toleranz. Er kommt aus der Kritischen Theorie, eine Gesellschaftskritik, die sich intensiv mit Marx und Freud beschäftigte. Bekannte Vertreter waren Herbert Marcuse, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer.

Auch wenn sich das Korsett des erwünschten Verhaltens gelockert hat, frei ist diese Gesellschaft, sind die Menschen nicht. Verwertungschancen für Unternehmen wurden größer, Konsummöglichkeiten stiegen ins Ungeahnte. Das wird nur ungern kritisch hinterfragt. Äußert  sich doch wer kritisch zu Werbung oder Glücksspiel - immerhin frisst Werbung schon rund ein Zwölftel des Konsumbudgets, die Ausgaben für Glücksspiele sind noch wesentlich höher - kommt rasch der Vorwurf von Zensur und Entmündigung.

Neue Anerkennungsformen
Gründe für die Liebe zum Konsum und die Bereitschaft vieler Menschen, sich seinen Zwängen zu unterwerfen, liegt wohl darin, dass Konsumieren heute eigentlich das einzige Lebensfeld ist, das seine Glücksversprechen halbwegs hält. Zufriedenstellende, sichere Arbeitsverhältnisse sind selten geworden, Liebesbeziehungen zerbrechen schnell, und Kinder verursachen Ärger mit ihrer entfesselten Konsumgier.
Auch haben die Enttabuisierung von Sexualität und ihre universelle Präsenz in Werbung und Medien zu neuen Zwängen geführt. Eine Sechzehnjährige, die noch Jungfrau ist, wird heute von ihrer Umwelt, den Gleichaltrigen und Medien, dazu gebracht, sich als nicht normal zu empfinden. Den wirtschaftlich Schwachen geht es mit ihren gefühlten Konsumdefiziten nicht anders.

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