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Leidensdruck im Freudenhaus Die Möglichkeit unselbstständiger Dienstverhältnisse und der damit verbundenen ArbeitnehmerInnenrechte gibt es nicht, selbst wenn von BordellbetreiberInnen die Anwesenheitszeiten sowie Preise vorgeschrieben und Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt werden.

Leidensdruck im Freudenhaus

Schwerpunkt

Berufliches Rotlicht heißt rechtliches Zwielicht: Von der schwierigen Lage der SexarbeiterInnen in Österreich.

Bitte versetzen Sie sich in die folgende Situation: Sie suchen ihren Arbeitsplatz auf und erbringen eine vereinbarte Arbeitsleistung - aber die abgemachte Entlohnung bleibt aus. Gut, dass Sie die Übereinkunft schriftlich festgehalten haben! Doch als Sie versuchen, Ihr Entgelt einzuklagen, stellt sich heraus: Der Vertrag ist ungültig. Nicht etwa wegen eines Formfehlers, sondern weil Sie über die Erwerbstätigkeit, der Sie legal und steuerpflichtig nachgehen, prinzipiell keine gültigen Verträge abschließen können.

Selbstständig oder angestellt?
Szenenwechsel: Sie finden in Ihrem Postfach Zahlungsaufforderungen von Finanzamt und Sozialversicherung. Da Sie überzeugt sind, dass die Steuern und Beiträge von Ihrem Arbeitgeber abgeführt werden, gehen Sie der Sache nach und müssen herausfinden: Jene Person, für die Sie regelmäßig eine orts- und weisungsgebundene Leistung erbringen, ist gar kein Arbeitgeber, der diese Abgaben entrichten müsste oder könnte.
Rechtlich sind Sie eigentlich selbstständig erwerbstätig, auch wenn praktisch nichts darauf hindeutet. Inwiefern Ihnen nun etwaige anderslautende Verträge weiterhelfen, können Sie dem vorigen Absatz entnehmen - und nun widmen Sie sich bitte den Zahlungsaufforderungen.

Die beiden eingangs geschilderten Szenarien erscheinen vielleicht, als wären sie einem kafkaesken ArbeitnehmerInnen-Albtraum entnommen oder konstruierte Gedankenexperimente zur Verbildlichung einer hypothetischen Welt ohne Arbeitsrecht, und doch sind sie in Österreich für eine Gruppe von Erwerbstätigen aktuelle Realität. »SexarbeiterInnen haben wenig, worauf sie pochen können. Es gibt für sie keine Rechtssicherheit«, sagt. Mag. Eva van Rahden, Leiterin der Wiener Beratungseinrichtung »SOPHIE-BildungsRaum für Prostituierte«. Dies zeigt sich bereits ganz banal und vordergründig in der Terminologie.
Während in Gesetzestexten die negativ konnotierten Begriffe »Prostitution« oder auch »gewerbsmäßige Unzucht« verwendet werden, hat sich im Fachdiskurs die wertneutrale Bezeichnung »SexarbeiterIn« etabliert, die genau genommen jedoch nicht der Situation in Österreich entspricht: Denn ArbeiterInnen (oder auch Angestellte) können Personen, die aus freien Stücken und legal sexuelle Dienstleistungen direkt an Kunden/Kundinnen anbieten, hierzulande nicht sein.

Legal oder egal?
Diese Differenzierung führt zum Kern des Problems. Sexarbeit ist seit 1975 grundsätzlich legal, seit 1984 sind Einkommen aus dieser Tätigkeit steuerpflichtig und seit 1998 besteht Sozialversicherungspflicht. Und dennoch ist freiwillige Prostitution bis heute offiziell »sittenwidrig«. Die zugrunde liegende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1989 ist zwar keine moralische Bewertung der Arbeit an sich, sondern bezieht sich vor allem darauf, dass die Triebhaftigkeit oder Trunkenheit von Kunden/Kundinnen ausgenützt werden könnte.

Allerdings hat die Sittenwidrigkeit tief greifende Auswirkungen, da sie sämtliche Verträge, die sexuelle Dienste gegen Entgelt zum Inhalt haben, für nichtig erklärt. Dies verhindert einerseits, dass nicht entrichtete Honorare für erbrachte Leistungen eingefordert werden können. Andererseits gibt es deshalb nicht die Möglichkeit unselbstständiger Dienstverhältnisse und der damit verbundenen ArbeitnehmerInnenrechte, selbst wenn - wie in der Praxis oft üblich - von BordellbetreiberInnen die Anwesenheitszeiten sowie Preise vorgeschrieben und Arbeitsmittel zur Verfügung gestellt werden.

Pikant oder prekär?
Sexarbeit ist also selbstständige Erwerbstätigkeit mit allen damit verbundenen Risiken, aber ohne Rechtsmittel gegen säumige Kunden.
Dennoch handelt es sich bei Sexarbeit nicht um prekäre Arbeit. »Dieser Begriff ist dort anzuwenden, wo ArbeitgeberInnen ihre Lasten und Pflichten auf die ArbeitnehmerInnen abwälzen«, weiß Helga Hess-Knapp, Expertin der Abteilung Frauen und Familie der AK Wien: »Sexarbeit hat dagegen das Problem, überhaupt als Arbeit anerkannt zu werden, aus der sich arbeitsrechtliche Ansprüche ergeben.«

Wenn schon das Arbeitsrecht für SexarbeiterInnen nicht ganz optimal gelöst zu sein scheint, sollte das »älteste Gewerbe der Welt« zumindest gewerberechtlich gut aufgestellt sein. Ist es aber nicht. Vielmehr wird die freiwillige Ausübung von Prostitution gar nicht als gewerbliche Tätigkeit im Sinne der bundesweiten Gewerbeordnung angesehen und stattdessen durch neun Landespolizei- und Prostitutionsgesetze reglementiert, die stark voneinander abweichen: Das Mindestalter von SexarbeiterInnen variiert zwischen 18 und 19 Jahren; in zwei Bundesländern besteht keine gesetzliche Registrierungspflicht; die Anbahnung und Erbringung ist entweder nur in genehmigten Bordellen gestattet oder nur an bestimmten Orten untersagt; und in Vorarlberg ist Sexarbeit für Männer implizit verboten, was sich aber durch das faktische allgemeine Sexarbeitsverbot - mangels der nötigen Bordellgenehmigungen im gesamten Bundesland - erübrigt.
Doch in einem Punkt jenseits der legalen Prostitution sind sich die Landesgesetze einig: Bieten Personen unter dem gesetzlichen Mindestalter sexuelle Dienstleistungen an, machen sie sich strafbar - ihre Kunden/Kundinnen jedoch nicht.

Vorurteile oder Stigmata?
Die arbeitsrechtliche Situation von sexuellen DienstleisterInnen mag schwierig erscheinen. Doch zumindest außerhalb der Arbeitszeiten gelten für sie die gleichen Rechte wie für alle anderen. Oder? »Oft haben SexarbeiterInnen die arbeitsbezogenen Ausgrenzungen so sehr verinnerlicht«, so van Rahden, »dass sie die Rechtlosigkeit in anderen Bereichen prolongieren.« Etwa wenn Wohnungen ohne Vertrag gemietet werden, da ja aus dem Beruf bekannt ist, dass Verträge das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen. Oder wenn die betreffenden Personen vor Behördenwegen oder Beratungsangeboten zurückschrecken, im Zuge derer sie ihre Profession offenbaren müssten. Hess-Knapp: »SexarbeiterInnen werden im Beruf latent mit Vorurteilen und Verachtung konfrontiert und trauen sich häufig nicht zu offiziellen Institutionen, da sie befürchten, ihre Anliegen würden nicht akzeptiert.«

Freiwillig oder Opferrolle?
Manchmal kann sich diese Stigmatisierung aber auch völlig konträr äußern, weiß van Rahden: »Da die Dienstleistungen mehrheitlich von Frauen angeboten und von Männern nachgefragt werden, entwickelt sich der Umgang mit dem Thema schnell zum Geschlechterrollen- und Opferdiskurs. Auch Frauen fällt es oft schwer, anderen Frauen die freie Entscheidung für diese Form der Erwerbstätigkeit zuzugestehen.«

Im großen nördlichen Nachbarland gibt es das gesetzliche Zugeständnis zur freien Entscheidung für diese Form der Erwerbstätigkeit bereits seit 2002 - und zwar mit der Möglichkeit unselbstständiger Dienstverhältnisse und dem Recht auf gewerkschaftliche Vertretung (durch die ver.di), aber ohne die Restriktion der »Sittenwidrigkeit«, die damals von einem Gericht sinngemäß als nicht mehr zeitgemäß negiert wurde. In Österreich ist sie zwar rein legistisch noch immer zeitgemäß, doch laut Hess-Knapp ist die Gesellschaft bereits »weiter, als es die Gesetzeslage vermuten lässt.

Ganz gleich, mit wem ich darüber rede: Alle wären dafür, Sexarbeit in einen Rechtsstand zu erheben, der geregelte, würdevolle Arbeitsverhältnisse ermöglicht.« Die Legitimierung von Sexarbeit ist außerdem ein Schlüssel zur Bekämpfung von Ausbeutung und Zwangsverhältnissen, so van Rahden: »Nur wenn eindeutig und offiziell reglementiert ist, wie gute Arbeitsbedingungen auszusehen haben, lassen sich schlechte sanktionieren.«

Weblinks
Sexworker, das Forum von und für Profis:
www.sexworker.at
SOPHIE-Bildungsraum für Prostituierte:
de.sophie.or.at

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markus.zahradnik@googlemail.com
oder die Redaktion
aw@oegb.at

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