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»Go ›in‹ China« Österreichische BetriebsrätInnen auf gewerkschaftlicher Spurensuche in China.
Traditionelle Lößhöhlen am Land Die traditionellen Lößhöhlen am Land werden heute mehr und mehr aufgegeben. Sie sind ein unfassbarer Gegensatz zu den Wolkenkratzern und Luxuseinkaufszentren in Peking und Schanghai.

»Go ›in‹ China«

Internationales

Österreichische BetriebsrätInnen begaben sich im Frühling dieses Jahres auf gewerkschaftliche Spurensuche in China.

Weltumspannend arbeiten - der entwicklungspolitische Verein des ÖGB - hat im März 2010 eine sechzehntägige Begegnungsreise für österreichische BetriebsrätInnen und GewerkschafterInnen nach China organisiert.
Ziel der Reise war, neben Betriebsbesuchen in österreichischen Niederlassungen (Voith Paper in Kunshan, AT&S in Schanghai), chinesisch-österreichischen Joint Ventures (CPBM-KEBA in Peking, Lenzing Nanjing Fibers in Nanjing) und rein chinesischen Produktionsstätten (Seidenfabrik in Suzhou, Stofftierfabrik in Nanjing), Kontakt zu ArbeitnehmerInnenvertretungen, Gewerkschaften, aber auch zu zivilgesellschaftlichen Gruppen wie Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aufzunehmen. Diese Reise ist Teil des Projekts »Go ›in‹ China - Work ›in‹ China« von weltumspannend arbeiten, das durch die Austrian Development Agency gefördert wird.

Nur zwei mit Arbeitskomitee
Laut Arbeitsvertragsgesetz von 2008 müssen sämtliche betriebsinternen Regelungen, welche die Interessen der ­ArbeitnehmerInnen betreffen, - Lohn, Arbeitszeit, Pausen, Urlaub, Sicherheit, Hygiene, Versicherung, Fortbildung - mit der ArbeitnehmerInnenvertretung - in China Arbeitskomitee genannt - diskutiert werden. Doch von den sechs Unternehmen, die wir auf unserer Reise besuchten, gibt es nur in zweien ein Arbeitskomitee - in der staatlichen Seidenfabrik in Suzhou und im Joint Venture Lenzing Fibers mit Nanjing Chemical Fibers in Nanjing.
Bei einem Treffen mit Zhang Guo Xian, dem stellvertretenden Vorsitzenden des All-Chinesischen Gewerkschaftsbundes (ACGB), wurde uns der niedrige Organisationsgrad bestätigt. Betriebsgewerkschaften gibt es fast ausschließlich in Staatsunternehmen. Aufgrund der Tatsache, dass der ACGB unter der Führung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) steht, befürchten private Unternehmen eine zu starke Verflechtung mit der Politik und eine mögliche Einmischung der Partei in Firmenbelange.

Zehn Branchengewerkschaften
Der ACGB hat 210 Mio. Mitglieder und ist in zehn nationale Branchengewerkschaften und 31 Provinzgewerkschaften gegliedert. Die Basis bilden die Betriebsgewerkschaften. In organisierten Betrieben ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Gewerkschaftsbeitrag einzuheben und zu verwalten. Dieser beträgt zwei Prozent der Lohnsumme. Der AN-Anteil davon beträgt 0,5 Prozent.
Von diesen Beiträgen bleiben 60 Prozent bei der Betriebsgewerkschaft, 35 Prozent gehen an die Gewerkschafts­organisationen auf Provinz-, Kreis- oder Stadtebene und fünf Prozent an den Dachverband in Peking.
Als eine der wichtigsten Herausforderungen des ACGB wird die Beseitigung der sozialen Unterschiede genannt. Das größte Problem in China ist derzeit die schlechte soziale Stellung der WanderarbeiterInnen.

Landflucht und Hukuo
Im Gespräch mit NGO-MitarbeiterInnen und SozialwissenschafterInnen der Universität Peking wurde diese Problematik offen angesprochen. Bauern, die am Land keine Arbeit finden und meist schlecht ausgebildet sind, ziehen in die boomenden Städte im Osten Chinas, um dort Arbeit zu finden.
Ohne Registrierung (Hukou*) können diese Menschen keine Sozialleistungen in Anspruch nehmen und zählen deshalb zu den Ärmsten. Einen staatlichen Mindestlohn gibt es nicht. »Mindestlöhne« sind regional sehr unterschiedlich. Sie betragen im »Speckgürtel« an der Süd-Ost-Küste derzeit bereits an die 1.000 RMB/Monat (1 RMB = EUR 11,92), in manchen Regionen im Landesinneren nur 400 bis 500 RMB.
Die (Wander-)ArbeiterInnen arbeiten nach wie vor oft unter verheerenden Bedingungen wie giftigen Dämpfen, Lacken, Klebstoffen und sonstigen Chemikalien, die z.B. bei der Herstellung von Spielzeug, Kleidung, Schuhen und elektronischen Geräten verwendet werden. Sie leben in menschenunwürdigen Unterkünften und haben keinen Versicherungsschutz. Viele Rechte werden ihnen verwehrt. Der ACGB und die chinesische Regierung sind sich des wachsenden Problems der Unzufriedenheit zwar bewusst, NGOs sehen aber noch mehr Schwierigkeiten auf das Land zukommen.

Leer gefegte Dörfer
Die Reise führte uns aber auch ins Landesinnere. Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist unübersehbar. Außerhalb der Metropolen hat China ein ganz anderes Gesicht. Menschen leben in Armut. Dörfer sind leer gefegt - Kinder mit ihren Großeltern die einzigen, die wir antreffen. »Jeder, der arbeiten kann, geht in die Stadt, um Geld für die Familie zu verdienen«, sagt Wei Wei, ein ehemaliger Wanderarbeiter, der eine Hotline betreibt, bei der sich WanderarbeiterInnen telefonisch über ihre Rechte informieren können.
Wir besuchten zwei Schwestern, die in traditionellen Lößhöhlen am Land, die heute mehr und mehr aufgegeben werden, leben. Diese Begegnung war ein unfassbarer Gegensatz zu den Wolkenkratzern und Luxuseinkaufszentren in Peking und Schanghai.
Am Ende, nach mehr als 5.600 km, verließ unsere Reisegruppe das Land mit vielen bohrenden Fragen im Kopf. Die ökonomischen Fortschritte Chinas sind faszinierend. Gleichzeitig tauchen ökologische Bedenken auf. Die Menschenrechtssituation ist laut Informationen von NGOs in manchen Regionen haarsträubend.

Die tausendfach vollstreckte Todesstrafe schwebt als Damoklesschwert über jedem politischen Engagement. Gleichzeitig gibt es Situationen, in denen auch kritische BesucherInnen fasziniert sind vom ehrlichen Fortschrittswillen der Regierung, der Gewerkschaftsvertretungen und vieler Einzelpersonen. So wurde z.B. 2008 im Zuge der Olympischen Spiele in Peking eine große Anzahl von Umwelt verschmutzenden Fabriken geschlossen, der Pkw-Verkehr durch Fahrverbote eingeschränkt (je ein Tag nur Autos mit geraden bzw. ungeraden Autokennzeichen) und benzinbetriebene Zweiräder wurden generell verboten. Viele meinten, dass ­diese Maßnahmen nach der Beendigung der Olympischen Spiele wieder ausgesetzt werden würden.

Ausgestreckte Hände annehmen
Alle Auskunftspersonen berichteten uns, dass das Gegenteil der Fall sei: die Autokennzeichenregelung blieb, die Dreckschleuder-Fabriken wurden nicht mehr aufgesperrt, sondern neue, bessere außerhalb der Stadt errichtet, es gibt nur noch leise Elektromotorräder. Peking hat jetzt wieder über 200 Sonnentage pro Jahr - das hat es jahrzehntelang nicht mehr ­gegeben.
Mitgenommen haben wir eine für viele vielleicht überraschende Beobachtung: Die Menschen, die Regierung und die Gewerkschaften suchen nach positiven Auswegen aus den Dilemmata, die sich diesem Land stellen. Und es gibt große Chancen auf dem Wege der Zusammenarbeit, gerade auf gewerkschaftlichem Sektor, positive Ergebnisse für die ArbeitnehmerInnen in China wie auch letztlich bei uns zu erreichen. In diesem Sinne werden wir die ausgestreckten Hände zur Kooperation nicht abweisen.

Ausführlicher Bericht demnächst
Ein ausführlicher Ergebnisbericht mit ­einer Bild- und Mediendokumentation ist gerade im Entstehen und wird im Herbst 2010 veröffentlicht und kann bei claudia.schuerz@oegb.at bestellt werden.

* Das Hukou (Wohnsitzkontrolle) wurde 1958 eingeführt und teilt die Bevölkerung Chinas in »StadtbewohnerInnen« und »LandbewohnerInnen«. Können sich erstere ungehindert in jeder beliebigen Stadt niederlassen, so haben letztere ein befristetes Bleiberecht für die Dauer eines Arbeitsverhältnisses. Um ein Stadt-Hukou zu bekommen, verlangen die Städte einen Arbeitsvertrag oder eine Arbeitserlaubnis. Hinzu kommen Ausstellungsgebühren und Schmiergelder. Der Großteil der WanderarbeiterInnen hat weder alle nötigen Dokumente noch das Geld dafür, die meisten bleiben ohne Papiere illegal in den Städten - so geschätzte 200 Mio. »LandbewohnerInnen«. Ohne Papiere haben sie keine soziale Absicherung, keine medizinische Versorgung, keinen Zugang zu Bildung und kein Recht auf eine Wohnung. Obwohl die chinesische Verfassung jedem/r BürgerIn das Recht auf eine neunjährige Schulausbildung garantiert, ist den Kindern von WanderarbeiterInnen der Zugang zu öffentlichen Kindergärten und Schulen untersagt. Viele lassen deshalb ihre Kinder in der ländlichen Heimat zurück und geben sie in die Obhut der Großeltern oder Verwandten. Geschätzte 23 Mio. Kinder wachsen auf dem Land ohne Eltern auf.

Weblink
weltumspannend arbeiten:
www.weltumspannend-arbeiten.at

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oder die Redaktion
aw@oegb.at

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