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Libidokiller Stress Unser stressiges Arbeitsleben unterdrückt die Libido : Eine Untersuchung, die in England und den USA durchgeführt wurde, weist nach, dass über 40 Prozent der berufstätigen Frauen zwischen 18 und 59 Jahren über Lust-Mangel klagen.
Buchtipp

Libidokiller Stress

Schwerpunkt

Zunehmender Arbeitsdruck führt bei immer mehr Menschen zum Lustverlust - viele versuchen dann die fehlende Sexualität mit noch mehr Arbeit auszugleichen.

Wilhelm Busch hat vor 100 Jahren schon geschrieben: »Ohne ihn war nichts zu machen, keine Stunde hatt’ er frei. Gestern, als sie ihn begruben, war er richtig auch dabei.« Vor einigen Jahren lautete ein provokanter Slogan des DGB: »Hätt’ er Teilzeit könnt er länger!« Diese spaßigen Sprüche sind allerdings mehr, als nur amüsante Andeutungen. Stress in der Arbeit und die veränderten Arbeitsbedingungen verursachen Probleme, bei denen herkömmliche Lösungsansätze zu kurz greifen.

Jeden Sturm überstehen
Der Soziologe Richard Sennett beschreibt in seinem Buch »Die Kultur des neuen Kapitalismus« die veränderten Zustände in der Arbeitswelt. In seinem kulturkritischen Werk legt er dar, dass Bürokratien und Firmen im Hochkapitalismus auf Dauer angelegt waren. »Das Wesen dieses Modells ist die Zeit«, schreibt Sennett. Die Institution war darauf ausgerichtet, dass sie »jeden Sturm da draußen überstehen« könnte. Das gab den Subjekten Sicherheit, und damit die Freiheit, Potenziale nicht nur zu besitzen, sondern auch zu entwickeln. Man wusste, man wird »handwerklich« in zehn Jahren mehr können und in der Hierarchie weiter oben sein. Es gab klare Muster, das Zwischenmenschliche, das Kommunikative etwa, stand weniger im Zentrum. Heute gilt die »Bereitschaft, die eigene Organisation zu destabilisieren, plötzlich als positives Signal«, so Sennett. Die paradigmatische Figur ist der Unternehmensberater, der das Unternehmen aufmischt. Seine Anwesenheit ist ein »Zeichen für die Investoren, dass im Unternehmen etwas geschieht«. Gefragt sind nun MitarbeiterInnen mit einem weiten Spektrum an Potenzialen, die nichts Spezielles können. Wichtig ist, den Chefs das Gefühl zu geben, man werde in jeder Situation schon wissen, was zu tun ist. Dass solche Szenarien mit teilweise extremen Stressentwicklungen einhergehen können, liegt auf der Hand. Laut einer Studie plagt der Stress EU-weit 28 Prozent der ArbeitnehmerInnen, allerdings sind in Betrieben mit 50 bis 500 MitarbeiterInnen die Beschäftigten noch öfter gestresst, hier leiden bis zu 35 Prozent unter Stress.

Zu viel Verantwortung, keine Arbeitsplatzgarantie, unregelmäßige Dienstzeiten, Lärm oder Mobbing - das alles kann stressen. Stress ist zwar keine Krankheit, kann aber zu geistigen und körperlichen Erkrankungen führen. Einige Beispiele für chronische Beschwerden und Erkrankungen, zu denen arbeitsbedingter Stress führen kann: Depressionen, Angst, Nervosität, Ermüdung, Verdauungsprobleme oder Herzerkrankungen.
Es gibt aber auch zahlreiche Hinweise, dass unser stressiges Arbeitsleben die Libido unterdrückt. Eine Untersuchung, die in England und den USA durchgeführt wurde, weist nach, dass über 40 Prozent der berufstätigen Frauen zwischen 18 und 59 Jahren über Lust-Mangel klagen. Lange Zeiten von sexuellen »Dürreperioden« werden durch Arbeitsstress ausgelöst. Und doch schämen sich viele Frauen immer noch (genau wie die Männer) über diese Probleme zu reden - man kehrt lieber alles weiter unter den Teppich.

Kuscheln statt Sex
Allerdings scheint der Frust sogenannte Karriere-Frauen, die mit ihrem Job zufrieden sind, weniger zu treffen. Besonders Sex-abgeneigt sind diejenigen, die Stress und Mobbing am Arbeitsplatz erfahren. Wenn der gesamte Arbeitsalltag nicht mehr lustig ist, scheint es unmöglich, sich die Freude am Sex zu erhalten.
Jobangst und damit einhergehende Geldsorgen beeinflussen unser Liebesleben massiv. Das bestätigen aktuelle Studien, z. B. die des Sexualforschers Jakob Pastötter, Leiter der Deutschen Gesellschaft für sozialwissenschaftliche Forschung: Er beobachtet seit Rezessionsbeginn ein gesteigertes Nähe- und Sicherheitsbedürfnis. Und die Anthropologin Helen Fisher von der Rutgers University, New Jersey, meint: Jobangst und Arbeitsstress steigern die Dopamin-Ausschüttung im Gehirn. Der Botenstoff wird mit romantischer Liebe und Glücksgefühlen assoziiert, die Anziehungskraft wird deutlich gesteigert. Doch Nähe ist nicht gleich Sex. Im Gegenteil meinen SexualforscherInnen. »Wenn Paare viel kuscheln, haben sie erfahrungsgemäß weniger Sex«, so Pastötter. Denn Stress reduziert die Libido, statt Testosteron bestimme das Bindungshormon Oxytocin die Intimität. Sogar Männer mit bislang aggressivem Sexualverhalten reagierten unter psychischer ­Belastung wie Buben, die von Mama getrös­tet werden wollen.

Teufelskreis
Es kommt zum Teufelskreis: Stress bremst das Sexleben, zu wenig Sex wiederum steigert den Stress. Wenn sie sich höchstens einmal pro Woche beim Sex austoben können, stürzen sich 36 Prozent der Männer und 35 Prozent der Frauen in die Arbeit und sonstige Aktivitäten, um dadurch den Frust über ihr unbefriedigendes Sexleben zu vergessen. Hat ein Paar überhaupt keinen Sex mehr, stressen sich Mann und Frau noch mehr: 45 beziehungsweise 46 Prozent der Sexlosen suchen sich anderweitig Beschäftigung. Wer die körperliche Liebe dagegen mindestens zweimal in der Woche genießt, hat überhaupt keine Lust auf zusätzliche Arbeit: Lediglich je fünf Prozent dieser Männer und Frauen suchen den Aktivitätsstress von sich aus. Dass Stress sich störend auf das Sexleben auswirkt, ist ­bekannt. Wenn aber umgekehrt der ­Mangel an Sex den Stresspegel erhöht, entsteht eine Abwärtsspirale, aus der Paare nur schwer wieder herausfinden.

Da hört man dann das Ergebnis einer anderen Studie gerne: Wer pro Woche weniger arbeitet, schafft pro Stunde mehr. Die EU-Länder mit den kürzesten Arbeitszeiten haben die höchste Produktivität. Das geht aus einer Auswertung des WSI-Arbeitsmarktexperten Hartmut Seifert hervor. Der Wissenschafter hat vom europäischen Statistikamt erhobene Zahlen zur Arbeitszeit mit den Werten für die ­sogenannte Stundenproduktivität ver­glichen. Der Zusammenhang zwischen beiden Datensätzen sei statistisch gut gesichert, sagt Seifert.
Zwei mögliche Erklärungen für die Beobachtungen: Der Spielraum für Arbeitsverkürzungen könnte in der Vergangenheit dort am größten gewesen sein, wo besonders effizient gearbeitet wurde. Zum anderen ermöglichen kürzere Wochenarbeitszeiten aber auch eine höhere Leistung pro Stunde. Das macht die Teilzeitarbeit für viele Unternehmen attraktiv, so der Forscher. Und nicht nur aus der betriebswirtschaftlichen Perspektive haben verringerte Wochenarbeitszeiten Vorteile. Sie reduzieren auch die Arbeitslosigkeit. Nach einer Überschlagsrechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hat der Trend zur Teilzeit allein zwischen 1994 und 2004 etwa 2,6 Mio. Jobs in Deutschland geschaffen oder gesichert.

Impulse gegen Stress
Unter ExpertInnen bestehe weitgehende Einigkeit über die positive Beschäftigungswirkung der Teilzeitarbeit, stellt Seifert fest. Umso merkwürdiger sei es, dass Arbeitszeitverkürzungen für Vollzeitbeschäftigte dagegen häufig kritisch gesehen werden. Schließlich gebe es «keine grundsätzlichen Unterschiede in den Wirkungsmechanismen beider Formen der Arbeitszeitverkürzung«. Entscheidend seien immer die konkreten Bedingungen, vor allem die Frage des Lohnausgleichs. Dass diese Problematik kein Orchideenthema ist, sollte klar sein. Wer unglücklich ist, gestresst und gehetzt, hat kein Interesse, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, hat wortwörtlich keine Lust, und zieht sich immer mehr zurück. Abgesehen von den psychische Folgen ist das natürlich auch ein gesamtgesellschaftliches und wirtschaftliches Problem. Drei Arbeitspsychologinnen aus Österreich haben in einem von der EU geförderten Projekt einen Test und eine Broschüre gestaltet: Damit sollen Betriebe Stressfaktoren erkennen und Impulse für Veränderungen setzen können. Der Name des Projekts: Impuls. Die Broschüre gibt Tipps, wie jeder Einzelne den Stress abbauen kann oder was der Betrieb dazu beitragen kann und kann bei ÖGB und AK bestellt werden.

Weblink
Mehr Infos unter:
www.impulstest.at

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