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Lehrstellensuche als Event? Neben Einzel- und Gruppenwettkämpfen werden bei den Castings Selbstpräsentationen verlangt. Überwacht und beurteilt wird das Spektakel in der Regel von einer Gruppe hausinterner EntscheidungsträgerInnen und ohne Beteiligung des Betriebsrats.

Lehrstellensuche als Event?

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Immer mehr Unternehmen setzen bei der Vergabe ihrer Ausbildungsplätze auf Castings. Manche Jugendliche scheitern daran.

Im Aufruf zur »kikamania« heißt es: Bereite Dich bestmöglich auf diese Entscheidungsrunde vor und zeige allen, was in Dir steckt!« In einem mehrstufigen Auswahlverfahren gilt es zu beweisen, ob man ein echter »kikamaniac« werden kann. Als Hauptgewinn winkt bei dieser Castingshow allerdings kein Platten- oder Topmodel-Vertrag, sondern eine Lehrstelle.

100 Lehrstellen 1.000 BewerberInnen
Mehr als 1.000 BewerberInnen jährlich melden sich allein zu den kika/Leiner-Castings an. Nur rund 100 neue Lehrlinge werden allerdings aufgenommen. »Wir konnten feststellen, dass die kika/Leiner-Lehrlings­castings bei jungen Menschen sehr gut ankommen. Mit diesem jugendlichen, dynamischen Auftritt sprechen wir die richtige Zielgruppe an. Wir erreichen damit junge Menschen und können so deren Begeisterung und Interesse am Einrichtungssektor wecken.« So beschreibt Manfred Monsberger, Personalchef bei kika/Leiner, die Motivation seines Unternehmens, auf diese Form der Personalrekrutierung zu setzen. Der Möbelriese liegt mit seinem Ansatz tatsächlich voll im Trend. Zahlreiche Unternehmen präsentieren inzwischen die Vergabe ihrer Ausbildungsbildungsplätze als Event.

»Lehrlingscastings kommen vor allem im Handel, aber auch in den Bereichen der Banken und Versicherungen vor. Offensichtlich wollen die Firmen signalisieren, dass sie jung und dynamisch sind, aber was im Fernsehen funktioniert, muss nicht zwangsläufig in der Arbeitswelt funktionieren«, beschreibt Helmut Gotthartsleitner, GPA-djp-Bundesjugendsekretär, die allgemeine Entwicklung. Zu den Vorreitern der Castings, die auch unter Titeln wie »Talenttag« oder »Lehrlings-Challenge« firmieren, gehören nicht zufällig Drogerie- und Kosmetikmärkte. BIPA sponsert schließlich auch »echte« Modelshows. In der Bewerbung sind die Unternehmen ebenfalls am Puls der Zeit: Web und Web 2.0 werden intensiv genutzt. Die zum Teil recht aggressiven Spots sind auf den diversen Internet-Channels abrufbar. Die vermittelten Botschaften haben dabei vor allem eine Zielrichtung: Nicht entweder Konsumieren oder Arbeiten, sondern einfach nur »Fun und Action« beim jeweiligen Konzern heißt die Devise. Die Personalsuche gerät damit gleichzeitig zur Marketingoffensive. Bei den Castings stellt sich allerdings schnell heraus, dass KonsumentIn und (potenzielle) ArbeitnehmerIn doch recht unterschiedliche Rollen sind.

Die im Schatten sieht man nicht
Neben Einzel- und Gruppenwettkämpfen werden bei den Castings Selbstpräsentationen in Videoform und/oder auf einer Art Bühne verlangt. Überwacht und beurteilt wird das Spektakel in der Regel von einer Gruppe hausinterner EntscheidungsträgerInnen und ohne Beteiligung des Betriebsrats. Die Funktion dieser »Jury« liegt auf der Hand: Es geht nicht darum, verborgene Talente - eventuell sogar schwieriger Jugendlicher - zu entdecken. Vielmehr hat sie jene Personen zu finden, die in den nächsten drei Jahren effizient im Sinne des Unternehmens funktionieren können. Wer das - aus welchen Gründen auch immer - nicht auf Anhieb ausreichend signalisieren kann fällt durch.

Von Anfang an im Nachteil
Gerda Challupner, Leiterin der Geschäftsstelle Jugendliche, Arbeitsmarktservice Wien, sieht in diesem Zusammenhang sogar ganze Bevölkerungsschichten im Nachteil: »Jugendliche, die vom Elternhaus unterstützt werden und einen entsprechenden sozialen Background haben, werden diese Situationen sicherlich meistern. Speziell Jugendliche aus sozial schwachen, bildungsfernen Familien oder auch Jugendliche mit einem Migrationshintergrund der 1. und 2. Generation ­werden, geprägt durch das soziale Umfeld, nur schwer mit diesen Herausforderungen fertig.«
Neben individuellem Coaching- und Förderprogrammen bleibt diesen benachteiligten Jugendlichen oft nur noch eine Alternative: »Das AMS bietet neben Unterstützung bei der Integration am Lehrstellenmarkt auch die Möglichkeit an, über eine überbetriebliche Ausbildung ins Berufsleben einzusteigen.«

Neben dem Mangel an betrieblichen Ausbildungsplätzen und den steigenden Anforderungen an die jugendlichen BewerberInnen, weist Gotthartsleitner von der GPA-djp-Jugend zum Thema Cas­tings noch auf weitere Schattenseiten, nämlich jene im Alltag von Lehrlingen, hin: »Den jungen Menschen wird damit vermittelt, dass es um eine angebliche Talentsuche geht, dass sie bei diesen Lehrlingscastings als die großen Stars entdeckt werden, und es werden Hoffnungen geweckt, die in der Regel nicht erfüllt werden. Es ist wohl kaum der ›Traum‹ eines/einer Jugendlichen sich die Kosten für das Berufsschulinternat selber zahlen zu müssen oder Regale zu schlichten.«

Challupner thematisiert demgegenüber auch die angespannte interne Situation vieler Unternehmen: »Die grundsätzliche Belastung für MitarbeiterInnen in Betrieben ist stark gestiegen, dadurch stehen oftmals nur wenige Ressourcen für die Betreuung und Begleitung der Jugendlichen zur Verfügung. Probleme der Lehrlinge können dadurch nicht ausreichend behandelt werden, und die Jugendlichen fühlen sich oftmals mit ihren ­Problemen alleingelassen.«

Jeder 6. scheitert am Abschluss
Wie stark mitunter die Qualität in der Ausbildung leidet, wurde erst jüngst dokumentiert: So schaffte in Wien im vergangenen Jahr jeder sechste angetretene Lehrling seine Abschlussprüfung nicht. Gerade im Zusammenhang mit diesem Themenfeld beurteilt GPA-djp-Jugendvorsitzender Rene Pfister die Rolle von Lehrlingscastings kritisch: »Die Betriebe fordern immer wieder ein, dass sich die Lehrlinge ›mehr anstrengen‹ sollen und beklagen immer wieder, dass es nicht ­genug qualifizierte junge Menschen gibt, die sich für die Lehrlingsausbildung ›eignen‹­, dabei nehmen gerade die Firmen mit solchen Aktionen der Lehrlingsausbildung ihre Ernsthaftigkeit.«

In der Realität gibt es oft bereits am Beginn des jeweiligen Castings ein böses Erwachen. Schlagartig sieht die oder der Jugendliche, dass man nicht allein ist, sondern auf jeden zu vergebenden Lehrplatz zehn oder mehr BewerberInnen kommen. Was dies für die Psyche von jungen Menschen bedeuten kann, umreißt Gerda Challupner: »Die meisten Jugendlichen stehen zum ersten Mal in ­ihrem Leben vor einer Bewerbungssituation, dementsprechend hoch ist der emotionale Druck. Oftmals haben die Jugendlichen medial ausgelöst falsche Erwartungen an Casting-Situationen (z. B. Talentshows ...). Castingsituationen entsprechen mehr einer Wettbewerbssituation als traditionelle Bewerbungsgespräche. Entsprechende Vorbereitung und gezieltes ­(Persönlichkeits-)Training kann diesen Druck verringern.«
Während das AMS gegenüber solchen neuen Anforderungen wohl nur reagieren kann, haben die Gewerkschaften das Thema Casting bisher vor allem dann offensiv aufgegriffen, wenn es um »schwarze Schafe« ging.

Vier Wochen Intensivtraining
Konkret berichtete die Gewerkschaft ­vida beispielsweise von einem Friseurbetrieb in Villach, der als Aufnahmevoraussetzung ein immerhin vierwöchiges »Intensivtraining« inklusive Prüfungen vorschrieb. Für dieses Auswahlverfahren mussten die Jugendlichen zudem insgesamt 600 Euro bezahlen! Doch ist das Thema Casting mit dem Einschreiten gegenüber solchen Skandalbetrieben bereits erledigt?

Image statt Qualifikation
Rene Pfister kritisiert hier nicht nur den wachsenden Druck und den Vorführ­effekt, dem Jugendliche bei Castings ­ausgesetzt sind. Vielmehr sieht der GPA-djp-Jugendvorsitzende inzwischen grundsätzlichen gewerkschaftlichen Diskussionsbedarf: »Bedenklich ist, dass mit diesem Lehrlingscastings signalisiert wird, dass nur die besten, schönsten und coolsten Lehrlinge genommen werden, und dass es anstelle von Qualifikationen nur noch um das Image geht, und damit auch wieder eine Schubladisierung der Jugendlichen passiert. Außerdem wird der Wettbewerb unter den jungen Menschen noch mehr angeheizt, geht es doch bei Castingshows vor allem darum, die/den andere/n auszustechen und selber der/die bessere zu sein.«

Weblink
Infos für Lehrlinge:
www.oegj.at

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john.evers@vhs.at
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