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Und immer noch gibt es viele arbeitende Menschen, die sich in ihrer Freizeit künstlerisch betätigen. Und immer noch gibt es viele arbeitende Menschen, die sich in ihrer Freizeit künstlerisch betätigen.

Kulturloses Volk?

Schwerpunkt

Eine Polemik zum Kampf der Gewerkschaften für eine Demokratisierung des Zuganges zu Kunst und Kultur.

"Es ist Culturarbeit, wenn die Arbeiter zusammenkommen, um das, was die moderne Gesellschaft an ihrer Bildung versäumte, nachzuholen!"1 Dieser bezeichnende Satz stammt aus einer Denkschrift des niederösterreichischen Vereins der Buchbinder, die im Jahr 1898 erschienen ist. Seither sind 112 Jahre vergangen und man möge annehmen, dass die "moderne Gesellschaft" sich endlich der verbesserten Bildung der ArbeiterInnen angenommen hätte. Die Daten des Kulturministeriums sprechen allerdings eine andere Sprache. Noch immer sind ArbeitnehmerInnen ohne Hochschulbildung das Schlusslicht im Bereich des Kunst- und Kulturkonsums.

Bildungsschicht macht es aus

In einer Umfrage des Ministeriums aus dem Jahr 20032 heißt es unter anderem: "[…] die Zugehörigkeit zur jeweiligen Bildungsschicht macht den mit Abstand größten Effekt auf die Kulturpartizipation aus." So stellen z. B. Menschen mit einem Lehr- oder Pflichtschulabschluss nur neun Prozent der gesamten BesucherInnen (obwohl 80 Prozent der Gesamtbevölkerung) in den österreichischen Bundesmuseen. Das hat viele Gründe. Gründe, die den Gewerkschaften bekannt sind und für deren Beseitigung sie nach Kooperationspartnern suchen.

"Wer zahlt, schafft an"?

Im trotz Weltwirtschaftskrise anhaltenden neoliberalen Gesellschaftsmodell gilt der kapitalistische Grundsatz: "Wer zahlt, schafft an." Diese Regel gilt allerdings nicht, wenn die SteuerzahlerInnen ebenfalls Forderungen stellen. Auch Kunst und Kultur machen dabei keine Ausnahme. Während die österreichischen ArbeitnehmerInnen mit ihren Steuern die Hauptlast der öffentlichen Subventionen im Kunst- und Kulturbereich tragen, sind es meistens Menschen anderer Schichten, die dieses reichhaltige Angebot in Anspruch nehmen. Dank Fernsehen können die schwer arbeitenden Menschen dann abends zusehen wie ehemalige Finanzminister oder gescheiterte Baumeister, die von ihnen finanzierten Galavorstellungen in Theater und Oper oder internationale Ausstellungen kostenlos besuchen.
Natürlich gibt es Ausnahmen. Spielstätten, wie z. B. das Volkstheater, versuchen seit jeher in enger Kooperation mit dem ÖGB ein Gegenkonzept anzubieten. In den vergangenen Jahren haben viele Theater und Museen erkannt, dass auch die Masse der Bevölkerung Interesse am Kunst- und Kulturleben unserer Republik hat. Vergünstigte Karten, spezielle Vermittlungsprogramme und längere Öffnungszeiten bieten auch den weniger vermögenden und lange arbeitenden Menschen die Gelegenheit, Anteil am Kulturprogramm zu nehmen.
Aber trotz guter Ansätze ist es bis heute nicht gelungen, die breite Masse der Bevölkerung zu erreichen. Noch immer ist die durchschnittliche Kulturkonsumentin weiblich, 35 Jahre alt und mit akademischer Ausbildung. Noch immer wollen die meisten KulturanbieterInnen nicht wahrhaben, dass ohne Geld der ArbeitnehmerInnen die vorhandene Breite der österreichischen Kunst und Kultur kaum denkbar wäre. Und noch immer stößt der ÖGB in seiner Forderung nach einem Umdenken auf Unverständnis.

Demokratie und Emanzipation

Entsprechend seinem Statut verfolgt der ÖGB das Ziel, zur kulturellen Weiterentwicklung Österreichs beizutragen. Dies wiederum ist eng verbunden mit einer angestrebten größtmöglichen Anteilnahme seiner Mitglieder am Kulturleben des Landes. Dazu - und darauf hat der ÖGB seit seiner Gründung hingewiesen - ist es erforderlich, den Zugang zu Kunst und Kultur zu erleichtern und weiter zu demokratisieren.
Die 1970er- wie auch die 1980er-Jahre waren durch enge Kooperation von KünstlerInnen und deren Institutionen mit den Gewerkschaften geprägt. Nicht nur in Österreich, sondern auch in vielen europäischen Ländern wurde nach einem neuen Zugang zur Kunst und Kultur gesucht. Der bisher stark bürgerlich-konservativen Prägung sollte eine neue, fortschrittlichere und offenere entgegengesetzt werden. Die ArbeitnehmerInnen sollten nicht mehr nur Objekt der Kunst und Kultur sein, sondern an ihr aktiv teilnehmen. In Westdeutschland waren es die Ruhrfestspiele, die die arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt stellten, in der DDR der sogenannte Bitterfelder Weg, der versuchte, aus jedem Bürger einen Künstler zu machen. In Frankreich ging der spätere Kulturminister Jack Lang als Intendant des Kulturfestivals von Nancy neue Wege.
In Österreich wurde damals die Kulturpolitik stark durch Minister Fred Sinowatz geprägt. Er erklärte: "So verstehe ich Kulturpolitik als eine sinnvolle Fortsetzung der Sozialpolitik, als eine Weiterentwicklung der Sozialpolitik."3
Die positiven Ergebnisse veränderter Kulturpolitik wurden mit dem Beginn der neoliberalen Gesellschaftsentwicklung Anfang der 1990er-Jahre stark in den Hintergrund gedrängt. Dem Primat der Wirtschaft musste sich auch die Kultur unterordnen. Selbst in den Gewerkschaften stellte man sich die Frage nach dem Sinn gewerkschaftlicher Kulturpolitik. Ein bis heute spürbarer elitärer und abgehobener Zugang zur Kunst und Kultur setzte sich weithin durch.

Kulturpolitischer Neuanfang

Der Fingerzeig auf die Finanzierung von Kunst und Kultur soll nicht Drohung, sondern ein Hinweis darauf sein, dass es sich lohnt enger zu kooperieren. Die ArbeitnehmerInnen des Landes schätzen Kultur, sie suchen den Kontakt zu den KünstlerInnen und deren Angeboten. Und immer noch gibt es viele arbeitende Menschen, die sich in ihrer Freizeit künstlerisch betätigen. Entsprechende Kurse die vom ÖGB angeboten werden, sind dauerhaft ausgebucht.
Der ÖGB versuchte in den vergangenen Jahren neue Zugänge zu finden, er suchte nach Kontakten zu KünstlerInnen und Kunst- und Kulturinstitutionen. Eine "Frucht" dieses Engagements ist das seit April 2009 laufende Projekt "VÖGB-Kulturlotsinnen". Die Stadt Wien hat sich bereit erklärt, mit dem ÖGB-Bildungsreferat einen neuen innovativen Ansatz in der Kunst- und Kulturvermittlung zu versuchen. Die Kulturlotsinnen nehmen dabei direkt den Kontakt zu den BetriebsrätInnen und PersonalvertreterInnen auf und legen eigens für die Betriebe und Berufsgruppen abgestimmte Angebote vor. Vermittlungsbeispiele sind unter anderem der Besuch von über hundert PolizistInnen im Theaterstück "Kottan ermittelt" (Theater im Rabenhof) oder jener von MitarbeiterInnen der Ziegelfabrik Wienerberger im Heiner Müller Stück "Der Lohndrücker" (Brut-Theater) etc.
Nicht immer haben die vom ÖGB offerierten kulturellen Angebote mit der Arbeit in den Betrieben zu tun. Oft sind es Besuche bei Tanzaufführungen, Sonderausstellungen und Konzerten. Für sämtliche Angebote ist aber eine enge Kooperation mit der Kulturinstitution Voraussetzung.
Die Ergebnisse dieser neuen Art der Kunst- und Kulturvermittlung haben bisher sämtliche Erwartungen übertroffen. Bereits im ersten Jahr konnten über 4.000 ArbeitnehmerInnen - die meisten das erste Mal seit ihrer Schulzeit - zu kulturellen Veranstaltungen gelotst werden. Mittlerweile macht das Wiener ÖGB-Beispiel auch international Mode. Delegationen aus Deutschland, Frankreich und sogar aus Vietnam haben sich vor Ort mit den Inhalten und Erfolgen der "VÖGB-Kulturlotsinnen" vertraut gemacht.

Ein neues Kapitel

Das erneute kulturpolitische Engagement des ÖGB erfolgt analog zum überwältigenden und wiedererweckten Interesse der ArbeitnehmerInnen an Kunst und Kultur. Es zeigt auch, dass von dieser Kooperation nicht nur die KonsumentInnen, sondern auch die Kulturinstitutionen (neue Zielgruppe, Mehreinnahmen durch Ticketverkauf) und die Betriebe selbst (die Kreativität wird durch Kulturerlebnisse gefördert) profitieren.
So wird letztlich ein neues Kapitel in der Kulturpolitik geöffnet, es liegt nun an den handelnden AkteurInnen, ob sie die ausgestreckte Hand der Gewerkschaften und der ArbeitnehmerInnen ergreifen möchten.

Weblinks
Mehr Infos unter:
www.kulturlotsinnen.at
www.voegb.at

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
marcus.strohmeier@oegb.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

1Verein der Buchbinder Niederösterreichs: Culturarbeit! Eine Denkschrift. Wien, 1898
2Monitoring des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur 2007
3Sinowatz, Fred: Kulturpolitik für alle. Wien, 1976

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