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Darüber hinaus sind "Bereitschaftszeiten" vorgesehen, die in der Nähe der zu betreuenden Person verbracht werden müssen, um im Bedarfsfall Unterstützung zu leisten, die aber nicht als Arbeitszeit betrachtet werden. Darüber hinaus sind "Bereitschaftszeiten" vorgesehen, die in der Nähe der zu betreuenden Person verbracht werden müssen, um im Bedarfsfall Unterstützung zu leisten, die aber nicht als Arbeitszeit betrachtet werden.

Qualität statt Lückenbüßer

Schwerpunkt

Die Regelung der 24-Stunden-Betreuung ist und bleibt ein Notfallprogramm - für einen zukunftstauglichen Sozialstaat braucht es bessere Lösungen.

Die steigende Zahl von pflegebedürftigen Menschen ist eine der größten Herausforderungen für den Sozialstaat. In Österreich beziehen mittlerweile mehr als 400.000 Personen Pflegegeld, Tendenz stark steigend. Diese zu versorgen kostet Geld. In Summe werden jährlich rund 3,5 Mrd. Euro an öffentlichen Mitteln für Pflege ausgegeben, dennoch deckt das nur einen Bruchteil der benötigten Leistungen ab. Mehr als drei Viertel der Pflege wird in Form nicht bezahlter Familienarbeit erbracht - und das hauptsächlich von Frauen.

1990er: Credo Wahlfreiheit

Die Struktur des österreichischen Pflegesystems wurde in den 1990er-Jahren nachhaltig geprägt. Mit der Einführung des Pflegegelds entschied man sich für eine Geldleistung, deren konkrete Verwendung nicht gesteuert werden kann. Das Credo dafür lautete "Wahlfreiheit". Jedem und jeder Einzelnen sollte es überlassen werden, wie er oder sie ihre Betreuung organisieren möchte.
Das Pflegegeld war von vornherein aus Kostengründen nur als "Zuschuss" angelegt. Die PflegegeldbezieherInnen haben daher im Wesentlichen drei "Wahlmöglichkeiten": Erstens, die Finanzierungslücke für professionelle Pflege, so man es sich leisten kann, aus eigener Tasche zu schließen. Zweitens, der/die Pflegebedürftige lässt sich - so vorhanden - durch ein wenig oder nicht bezahltes Familienmitglied pflegen. Damit kommen vor allem weibliche Verwandte aus "moralischer" Verpflichtung unter Druck, auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten und stattdessen die Pflege zu übernehmen. Ist beides nicht möglich bleibt drittens, eine Person unter Umgehung der sozial- und arbeitsrechtlichen Absicherung "billig" zu beschäftigten. Da kaum jemand mit Zugang zum regulären Arbeitsmarkt bereit ist, unter diesen Bedingungen zu arbeiten, sind es in der Regel Migrantinnen ohne Arbeitserlaubnis, die diese Tätigkeiten übernehmen. Die gepriesene Wahlfreiheit gibt es in der Realität bei den Pflegebedürftigen also nur für jene der oberen Einkommensschichten, ebenso ist die Freiwilligkeit bei den (gratis) Pflegenden eng begrenzt.
Während das Pflegegeld extrem liberal geregelt ist, trifft für die Pflege im Pflegeheim das genaue Gegenteil zu. Diese fällt unter die Zuständigkeit der Länder und ist Teil der Sozialhilfe. Diese sieht die Verwertung von allem vorhandenem Einkommen und Vermögen vor. Damit findet die Wahlfreiheit ihr jähes Ende. Kein Wunder, dass so viele Menschen versuchen, die Betreuung so lange wie möglich zu Hause zu regeln.
Diese Rahmenbedingungen führen dazu, dass die Beteiligten ein gemeinsames Interesse haben, Betreuung informell - also abseits regulärer Beschäftigung - zu organisieren. Die Pflegebedürftigen erhalten die benötigte Betreuung, können jedoch weiterhin über vorhandenes Einkommen und etwaiges Vermögen verfügen. Bisher im Rahmen der Familie Pflegende können auf dem regulären Arbeitsmarkt ein eigenes Einkommen und die damit verbundene soziale Absicherung erwerben. Migrantinnen haben eine Beschäftigungsmöglichkeit - auch wenn Aufenthalts- und/oder Beschäftigungserlaubnis fehlen. Und nicht zuletzt profitiert die öffentliche Hand durch die Ersparnis beträchtlicher finanzieller Mittel. Damit wurde diese prekäre "Lösung" zu einer weit verbreiteten Praxis.

Legalisierung statt Neugestaltung

Die Problemlage war bekannt, aber erst als 2006 durch erste Anzeigen die Lage offenkundig wurde, wurde politisch gehandelt. Zu diesem Zeitpunkt schätzte das Sozialministerium, dass 40.000, zum allergrößten Teil migrantische Pflegekräfte, irregulär in Haushalten tätig waren. Schnell zeigte sich, dass die Frage der Finanzierbarkeit die Diskussion bestimmte. Damit lief die Lösung auf eine Legalisierung des bestehenden Zustandes hinaus anstelle einer grundlegenden Neugestaltung des Systems.
Der erste Schritt der Legalisierung bestand darin, keine Sanktionen gegen bereits bestehende Beschäftigungsverhältnisse zu verhängen. Mit dem Ende der sogenannten "Pflege-Amnestie" trat ein Paket in Kraft, mit dem die häusliche Rund-um-die-Uhr-Betreuung neu geregelt wurde. Auf arbeitsrechtlicher Ebene geschah dies durch das sogenannte Hausbetreuungsgesetz (HBeG), das in einigen Punkten von geltenden arbeitsrechtlichen Standards in entscheidender Weise abweicht: So waren Arbeitszeitregelungen bisher auf die Begrenzung von Arbeitszeit ausgerichtet, das HBeG sieht hingegen eine Mindest-Arbeitszeit von 48 Stunden pro Woche vor. Darüber hinaus sind "Bereitschaftszeiten" vorgesehen, die in der Nähe der zu betreuenden Person verbracht werden müssen, um im Bedarfsfall Unterstützung zu leisten, die aber nicht als Arbeitszeit betrachtet werden - und das, obwohl die persönliche Bewegungsfreiheit der Betreuungsperson stark eingeschränkt wird. Da ist es nur schlüssig, dass das Gesetz die Unterbringung der Betreuungsperson im Haushalt vorsieht.

Selbstständige Hausbetreuung

Von den ArbeitnehmerInnen-Vertretungen besonders heftig kritisiert wurde die Möglichkeit, die Betreuung auch auf selbstständiger Basis zu erbringen, obwohl Hausbetreuung eine geradezu beispielgebende Form der abhängigen Beschäftigung darstellt. Weil aber in der Selbstständigkeit das Arbeitsrecht nicht greift und andere sozialversicherungsrechtliche Regelungen gelten, "verbilligt" sich die Erbringung der Betreuung damit weiter drastisch. Die Senkung geltender arbeits- und sozialrechtlicher Standards wurde als Preis für geringere Kosten in Kauf genommen. Auch an der Ausrichtung des HBeG auf einen 14-Tage-Rhythmus zeigt sich, dass die gesetzlich abgesegnete Fortsetzung des bisherigen, kostensparenden, Systems beabsichtigt war. Denn damit wird die gesamte Regelung auf Arbeitskräfte aus dem nahen Ausland ausgerichtet, die schon bisher diese Arbeit übernommen hatten. Damit wurde eine legale, am österreichischen Bedarf ausgerichtete Beschäftigungsmöglichkeit für eine bestimmte Gruppe von Migrantinnen geschaffen, die bereits bisher diese Tätigkeiten übernommen hatte. Die familiären Verpflichtungen dieser Menschen - zum ganz überwiegenden Teil Frauen - und die Frage, wer in ihrer Heimat sich um deren Kinder oder Pflegebedürftige kümmert, wird dabei einfach nicht gestellt.

Weblink
Mehr Infos unter:
www.bundessozialamt.gv.at/basb/Pflege/24_Stunden_Betreuung

Fazit
Mit dem Gesetz erfolgte eine gewisse Anerkennung des Pflegebedarfs in Österreich, aber nur eine bedingte Übernahme öffentlicher Verantwortung. Die öffentliche Förderung ist nämlich nicht kostendeckend und an eine Einkommensobergrenze von 2.500 Euro netto geknüpft. Darüber hinaus sind die Haushalte angesichts der vielfältigen Regelungen mit ihrer Rolle als Arbeit- oder Auftraggeber verständlicherweise häufig überfordert.
Die Regelung der 24-Stunden-Betreuung mag vor dem Hintergrund des akuten politischen Drucks zum Zeitpunkt der Entstehung nachvollziehbar sein, den Anforderungen eines zukunftstauglichen Sozialstaates entspricht sie keinesfalls. Sie wird weder jenen nicht gerecht, die Pflege brauchen und Anspruch auf eine professionelle Betreuung haben, noch jenen, die die Betreuung leisten. Ein Sozialstaat mit Zukunft kann nicht darauf setzen, dass die ErbringerInnen zentraler Dienste wie der Pflege dafür schlecht oder gar nicht bezahlt und abgesichert werden. Anders gesagt: Er kann und darf sich nicht auf die Ausbeutung (migrantischer) Frauen verlassen. Und nicht zuletzt hat ein Sozialstaat, der auf die Bedürfnisse der Bevölkerung in anderen Ländern keine Rücksicht nimmt, diese Bezeichnung nicht verdient.
Daher ist der Aufbau eines professionellen Pflegesystems, in dem reguläre Beschäftigung mit angemessener Entlohnung die Basis bildet, unverzichtbar. Das ist nicht ohne entsprechende finanzielle Mittel möglich. Es braucht daher endlich einen angemessenen Beitrag von Gewinnen, Vermögen und Vermögenserträgen zur öffentlichen Finanzierung. Denn in einer sozial gerechten Gesellschaft zu leben, muss allen etwas wert sein.

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