topimage
Arbeit&Wirtschaft
Arbeit & Wirtschaft
Arbeit&Wirtschaft - das magazin!
Blog
Facebook
Twitter
Suche
Abonnement
http://www.arbeiterkammer.at/
http://www.oegb.at/
Private Stromversorger haben kein Interesse an Kleinkunden mit viel Verwaltungsaufwand und wenig Umsatz. Private Stromversorger haben kein Interesse an Kleinkunden mit viel Verwaltungsaufwand und wenig Umsatz.

Ohne jeden Zweifel!

Schwerpunkt

Was uns herausfordert - wofür wir stehen - worum wir kämpfen. Ein Beitrag aus Sicht der "Christlichen Soziallehre" von Andreas Gjecaj.

Bei der zweiten Europäischen Ökumenischen Versammlung in Graz in den 1990ern hatte es - mit Blick auf das 21. Jahrhundert - geheißen: "Wir sind (zufällig) die erste Generation in der langen Geschichte der Menschheit, der es vergönnt ist, diese Erde von außen zu sehen. Wir beginnen zu lernen, dass dieser Planet klein, endlich und verletzlich ist, während wir gewohnt waren, ihn für eine ›grenzenlose WeltÜ zu halten." Wenn wir die Prinzipien der Christlichen Soziallehre in unserem Leben und in unserer Gesellschaft umsetzen und somit einen Sozialstaat fordern, beginnt ein mühsamer Prozess. Viele Bereiche sind miteinander vernetzt, viele Interessen sind betroffen. Pater Alois Riedlsperger schreibt in einem Dossier zum Thema "Baustelle: Soziallehre": "Es ist unverantwortlich, kurzfristige Einzelinteressen gegen langfristige Zukunftsperspektiven auszuspielen. Mehr denn je wird bewusst, dass der Bauplatz aller die eine Welt ist - und die Frage des 21. Jahrhunderts, ob es gelingen wird, eine bewohnbare Welt für alle Menschen zu bauen."

Gewinne für den Sozialstaat?

"Heute ist die Fähigkeit des Staates für das Wohl seiner Bürger zu sorgen, durch die Mobilität des Kapitals erschüttert worden. Länder, die ihre Sozialversicherungs- und Arbeitsgesetzgebung stark abbauen, werden bevorzugt, während andere, die den Sozialstaat aufrecht zu erhalten versuchen, das Nachsehen haben", behauptet der bekannte Börsen-Guru George Soros in seinem Buch "Die offene Gesellschaft - Für eine Reform des globalen Kapitalismus".

Nachtwächterstaat

Schon im 19. Jahrhundert - am Beginn der industriellen Revolution - wurde die Idee des "Nachtwächter-Staates" geboren. Das Selbstinteresse und der Markt sollten dafür sorgen, dass geradezu automatisch das größte Glück für die größte Zahl verwirklicht werde. Der Staat sollte in diesen Mechanismus nicht eingreifen, sondern vielmehr dafür sorgen, dass der Mechanismus von Selbstinteresse und Markt nicht behindert werde. Die Wirklichkeit schaute allerdings wesentlich anders aus als die Theorie. Das Elend des Proletariats und der Aufstand der organisierten Arbeit zwangen den Staat zu ersten sozialpolitischen Maßnahmen: Arbeiterschutzgesetz, Verbot der Kinderarbeit, Schutz der Frauen.
Während man das 20. Jahrhundert in Europa auch mit dem schrittweisen Aufbau des Sozialstaats treffend beschreiben kann, treffen Michael Reimon und Christian Felber mit ihrem "Schwarzbuch Privatisierung" ganz entscheidende Feststellungen zum Verhältnis von Staat und Privat für das beginnende 21. Jahrhundert:
Die Starken profitieren: Öffentliche Betriebe tragen gesellschaftliche Verantwortung. Gewinnorientierte Konzerne tun das nicht. Übernehmen sie die Grundversorgung, tragen sie aktiv zur Schaffung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft bei. Das erste Privatisierungsopfer ist die ländliche Bevölkerung: Nicht genug damit, dass ihr aufgrund der Handelskonzentration Nahversorger vor der Nase zusperren, es kommen auch Postämter, Nebenbahnen, Telefonzellen und Buslinien abhanden. Alle netzgebundenen Anschlüsse (Strom, Gas, Wasser, Kanal, Telefon, Internet) werden nach Privatisierungen beinahe nur noch in Ballungszentren ausgebaut.

Der Staat ist keine AG

Ein Staat ist keine AG: "Der Staat ist ein schlechter Unternehmer", hört man immer wieder. Aber Staaten existieren aus anderen Gründen als Aktiengesellschaften, und PolitikerInnen sollten nicht versuchen, BetriebswirtInnen zu sein. Private Krankenkassen haben nicht das geringste Interesse daran, Schwerkranken zu helfen. Im Gegenteil, jeder profitorientierte Betrieb müsste danach trachten, sie loszuwerden. Private Stromversorger haben kein Interesse an Kleinkunden mit viel Verwaltungsaufwand und wenig Umsatz. Private Rentenversicherer haben kein Interesse daran, sichere Renten zu bieten, sondern eine möglichst hohe Gewinnspanne aufzuspreizen.
Am Ende haftet der Staat: Die Gesellschaft trägt die Kosten für all jene "Nebeneffekte", die eine Privatisierung mit sich bringt und die früher von öffentlichen Betrieben vermieden wurden. Höhere Arbeitslosenzahlen, mehr Sozialfälle und Umweltschäden sind offensichtliche Kostenfaktoren, aber es gibt auch gut versteckte, die man nicht in Zahlen gießen kann. Wenn private Gefängnisse weniger Geld in die Ausbildung von Insassen investieren und diesen Menschen damit keine neuen Perspektiven für die Zeit nach der Haft eröffnen - was kostet das? Die Öffentlichkeit trägt auch die Kosten für das "Rosinenpicken" der privaten BetreiberInnen. Darunter versteht man, dass InvestorInnen nur die profitablen Sektoren öffentlicher Betriebe kaufen, die Verluste machenden Teile aber unverkäuflich sind. Der Politik bleibt dann die Wahl, diese Aufgaben aus Steuermitteln zu bestreiten oder ganz darauf zu verzichten.

Wesentliche Orientierungen

Für die christliche Soziallehre bilden Menschenrechte und Demokratie zentrale Werte. Im Buch "Perspektiven ökumenischer Sozialethik" schreibt Ingeborg Gabriel: "Eine bewusste Förderung der moralischen Grundlagen von Menschenrechten und Demokratie ist angewiesen auf ein lebendiges Wissen um Wert und Würde jedes Menschen, insbesondere der Schwächeren, aber auch der Gegner und Feinde. Die Schärfung dieses Bewusstseins, die Stärkung der Bereitschaft zum Einsatz für die Rechte der anderen, und die Erziehung zu Wachsamkeit und Widerstand gegen Unrecht sind ein wichtiger christlicher Beitrag zu einer dauerhaften Menschenrechts- und Demokratiekultur. Der christliche Widerstand in den ehemals kommunistischen Ländern auf der Basis der Menschenrechte ist ein inspirierendes Beispiel dafür. Ein weiterer Schwerpunkt sollte der Einsatz für soziale Rechte sein. Die Menschenwürde wird durch einen Mangel an sozialen Rechten ebenso verletzt wie durch die Einschränkung der Freiheitsrechte. Wenn Menschen keine ausreichende materielle Lebensgrundlage haben, dann beschränkt dies wesentlich ihre Möglichkeiten zur gesellschaftlichen und politischen Partizipation. Arbeitslosigkeit, Armut trotz Arbeit und - damit verbunden - die soziale Ausgrenzung sind inhuman. Sie zerstören das Selbstwertgefühl der Betroffenen, das die wichtigste Ressource demokratischer Ordnungen darstellt, und gefährden den sozialen Frieden."
"Es geht also keineswegs darum, den Sozialstaat wahllos auszubauen und zu überlasten. Wohl aber geht es immer wieder um die kritische Überprüfung bisheriger Ziele und Leistungen, und um den Mut zu neuen Initiativen. Weil sich die neue soziale Frage nicht mehr in erstarrten Fronten, sondern in einer Vielfalt von persönlichen Nöten darstellt, braucht es einen Sozialstaat, der imstande ist, spezifische Not zu erkennen und mit gezielten Maßnahmen zu helfen." (Sozialhirtenbrief, 95)
Unsere Gesellschaft ist im 21. Jahrhundert gekennzeichnet durch eine Vielzahl von "aufsteigenden und absteigenden Gruppen". Manche erfreuen sich privilegierter Stellungen, manche werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Die allgemeine Armut nimmt zu, wenn Defizite durch regionale Benachteiligungen, soziale Verpflichtungen oder Behinderungen körperlicher Natur auftreten. Der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft bekommt Risse, die nicht nur wirtschaftlich bedingt sind. Meist funktioniert auch in reichen Gesellschaften der Verteilungsmechanismus schlecht, sodass Lücken entstehen. Man spricht von der sogenannten "Armutsfalle".

Sozialstaat - ohne Alternative

Es ist eine Schande, dass in einem der reichsten Länder der Erde - in Öster-reich - mit seinen rund acht Millionen EinwohnerInnen, rund 13 Prozent - also über eine Million Menschen - armutsgefährdet sind. Und hätten wir nicht einen ausgebauten Sozialstaat, würde die Zahl der Armutsgefährdeten auf über 42 Prozent hinaufschnellen. Also kann es am Schluss nur heißen: Für einen Sozialstaat - ohne jeden Zweifel!

Weblink
VOEGB-Skriptum Christliche Soziallehre:
www1.voegb.at/bildungsangebote/skripten/pzg/PZG-02.pdf

Kontakt
Schreiben Sie Ihre Meinung an den Autor
andreas.gjecaj@oegb.at
oder die Redaktion
aw@oegb.at

Artikel weiterempfehlen

Kommentar verfassen

Teilen |

(C) AK und ÖGB

Impressum