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Der Stress wird immer größer, unsere MitarbeiterInnen leisten oft Übermenschliches. Da ist es wohl etwas viel verlangt, auch noch nach psychisch und physisch anstrengenden Diensten fortwährend zu lächeln. Der Stress wird immer größer, unsere MitarbeiterInnen leisten oft Übermenschliches. Da ist es wohl etwas viel verlangt, auch noch nach psychisch und physisch anstrengenden Diensten fortwährend zu lächeln.

Mehr Wertschätzung

Schwerpunkt

Die Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialbereich stehen unter enormem Druck. Anerkennung bekommen sie nur selten.

Auf der einen Seite: der Wunsch nach individueller Betreuung entsprechend den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen inklusive menschlichem Faktor; auf der anderen Seite: Sparzwang nicht erst seit der Wirtschaftskrise. Wie wirkt sich das auf den Alltag der im Gesundheits- und Sozialbereich Tätigen aus?
Nicht nur Hightech-Medizin kostet viel Geld, sondern auch die konsequente Weiterführung längst zur Selbstverständlichkeit gewordener Errungenschaften im Gesundheits-und Sozialbereich: individuelle Betreuung und Pflege für PatientInnen, Behinderte oder Jobsuchende, keine Schlafsäle mehr in Krankenhäusern und Pflegeheimen, betreutes Wohnen. Der Trend ist eindeutig und soll PatientInnen/KlientInnen und deren Angehörigen helfen, in ohnehin schon schwierigen Situationen mit Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Hilfsbedürftigkeit leichter fertig zu werden.

Summe von Belastungen

Optimale Betreuung, das bedeutet - egal in welchem Bereich - in der Regel einen höheren Bedarf an entsprechend geschultem Personal. "Kleinere" Krankenzimmer mit weniger Betten, das bedeutet nicht nur bauliche Veränderungen, sondern auch organisatorische. Beim Umstieg von Acht- auf Zweibettzimmer zum Beispiel bedeutet das nicht nur mehr Laufarbeit, sondern auch, viermal öfter Türen zu öffnen: beim Putzen, bei der Visite, beim Essenverteilen etc. - zum Teil mit Putzeimer oder Speisewagen, viermal öfter Waschbecken, Spiegel etc. im Sanitärbereich zu reinigen. Gerhard Steiner, Vorsitzender des Personalgruppenausschusses (PGA) Pflege in der Gewerkschaft der Gemeindebediensteten (GdG-KMSfB): "Bei der Personaleinteilung orientiert man sich meist nur am Mindestbedarf. Sobald jemand überraschend ausfällt, müssen andere diese Arbeit zusätzlich zu ihrer erledigen, oder wenn jemand einspringt, so fehlt diese Arbeitskraft dann in irgendeiner anderen Abteilung. Überstunden sind an der Tagesordnung."
Eine straffere Verwaltung, verbesserte Organisation und optimierte Abläufe können Ressourcen sparen, aber den durch notwendige Modernisierungsmaßnahmen entstandenen Mehraufwand nicht ersetzen. Ironischerweise (aber im Grunde nicht überraschend) entlasten Rationalisierungs- und Privatisierungsmaßnahmen eines Unternehmens oder einer Behörde deren eigenes Budget, erschweren aber unter Umständen anderen Einrichtungen die Arbeit. Wer schon einmal mit einem dringenden Anliegen beim Callcenter einer Behörde gelandet ist, kann vermutlich nachvollziehen, wie so mancher Vormittag von Claudia P. verläuft. Die diplomierte Sozialarbeiterin ist in einem Verein tätig, der Behinderte betreut. Die Zusammenarbeit mit Behörden und öffentlichen Stellen ist tägliches Brot, egal ob es um Jobsuche, Wohnungsangelegenheiten oder die geplante Heirat von zwei Schützlingen geht: "Die Callcenter-Angestellten sind ja in der Regel sehr freundlich und zuvorkommend, nur sie können keines unserer Anliegen direkt bearbeiten. Unsere Telefonnummer wird notiert, irgendwann wird man dann zurückgerufen. Daran scheitern auch die selbständigeren unserer KlientInnen."

Bürokratische Hürden

Aber auch die SozialarbeiterInnen haben in der Regel von den ReferentInnen keine Durchwahl. So braucht man häufig für ganz alltägliche Anliegen mehrere Anrufe, viel Zeit und Geduld: "Nach solchen Telefon-Tagen wünsch ich mir manchmal die grantigen ReferentInnen von früher zurück …"
Wunsch nach Unterstützung
Apropos Wunschliste: Auf den ersten Plätzen bei fast allen im Sozial- oder Pflegebereich Tätigen stünde wohl "mehr Wertschätzung und Unterstützung". Gerhard Steiner: "Angehörige von PatientInnen erleben ja oft hautnah, was etwa das Personal eines Geriatrie- oder Rehabilitationszentrums leistet. Und sie bringen diese Wertschätzung dann meist auch verbal zum Ausdruck. Aber scheinbar vergessen das viele wieder sobald diese Berührungspunkte nicht mehr vorhanden sind. Denn bei irgendwelchen Forderungen oder Anliegen bekommen wir nur wenig Unterstützung oder Verständnis. Der Stress wird immer größer, unsere MitarbeiterInnen leisten oft Übermenschliches. Da ist es wohl etwas viel verlangt, auch noch nach psychisch und physisch anstrengenden Diensten fortwährend zu lächeln."
Erst kürzlich hat die Arbeiterkammer neue Daten über die Gefahr des Burn-out von Beschäftigten im Pflege- und Betreuungsbereich veröffentlicht: Jede/r vierte im Gesundheitsbereich Tätige ist emotional erschöpft, jeder dritte Burn-out-gefährdet.
Über unzureichende Arbeitsbedingungen klagt auch Georg Dimitz, Personalvertreter der Wiener Jugendämter: "Seit zehn Jahren fordern wir vergeblich ein Berufsgesetz. Derzeit werden SozialarbeiterInnen, deren Ausbildung an Fachhochschulen erfolgt und mindestens sechs Semester dauert, immer wieder mit Lebens- und SozialberaterInnen oder AltenpflegerInnen verwechselt. Es gibt keinen Schutz für den Titel Sozialarbeiter, keine Gerichtssachverständigen aus dieser Berufsgruppe." So kommt es vor - wie etwa im Fall des 1997 getöteten kleinen Melvin, dessen leiblicher Vater sich beim Jugendamt mehrmals vergeblich über den Stiefvater und die Mutter des Buben beschwert hatte -, dass SozialarbeiterInnen angeklagt und verurteilt werden, obwohl sie laut Behörden korrekt gehandelt haben.
Die tägliche Belastung steigt und die Diagnose Burn-out wird auch unter den rund 5.000 österreichischen SozialarbeiterInnen immer häufiger. Georg Dimitz: "Die Fallzahlen explodieren und es gibt keine verbindlichen Definitionen, wie viele KlientInnen ein Sozialarbeiter betreuen kann. Die Anzeigen wegen Vernachlässigung bzw. Missbrauch sind seit dem Jahr 2000 österreichweit von 2.000 auf 13.000 jährlich gestiegen." So kommt es, dass Verwaltungsarbeiten oft schon 80 Prozent der Tätigkeit von SozialarbeiterInnen ausmachen. Viele können sich nur noch um die schwersten Problemfälle kümmern, prophylaktisch zu arbeiten ist fast nicht mehr möglich.

Security gibt Sicherheit

Auf der Beliebtheitsskala der ÖsterreicherInnen rangieren AMS-BeraterInnen eher am unteren Ende. Hier handelt es sich zwar nicht um einen klassischen Sozialberuf, die AMS-BetreuerInnen zählen aber zweifellos zu jenen, welche die Auswirkungen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik direkt und manchmal am eigenen Leib zu spüren bekommen. Alois Oberhauser, Leiter der AMS-Geschäftsstelle Währinger Gürtel: "Unsere MitarbeiterInnen sind deutlich häufiger als früher mit verbaler und körperlicher Gewalt konfrontiert. Was wir tun, tun wir auf gesetzlicher Basis, unbeliebte Maßnahmen werden schließlich nicht aus persönlichem Antrieb durchgeführt." Seit einigen Jahren gibt es in den meisten Geschäftsstellen einen Sicherheitsdienst. Die Führungskräfte werden entsprechend geschult, um Burn-out-gefährdete MitarbeiterInnen möglichst früh zu erkennen. Denn nicht nur Aggressivität, sondern auch die "ganz normalen" Alltagsgeschichten wie Scheidung, Krankheiten, Alter, Alkohol etc. bedeuten bei mehr als 20 Kunden/-innen täglich eine enorme psychische Belastung. Zusätzlich sind Verständigungsprobleme mit MigrantInnen an der Tagesordnung. "Hier können KollegInnen mit Migrationshintergrund eine wertvolle Hilfe sein", so Alois Oberhauser, "vor allem dann, wenn diese Kunden aggressiv oder laut werden, wird die Situation deutlich entschärft sobald sie ein Kollege oder eine Kollegin in ihrer Muttersprache anspricht."

Zahlen/Fakten
Im Mai waren 227.089 Menschen arbeitslos gemeldet, um 5,3 Prozent weniger als vor einem Jahr. Allerdings ist die Zahl der SchulungsteilnehmerInnen um 14.000 höher (insg. 78.000) als im Mai 2009. AMS-Vorstand Johannes Kopf rechnet damit, dass es über den Sommer weiter bergauf gehen wird. Ab Mai 2011 können u. a. ArbeitnehmerInnen aus Ungarn, Slowakei, Polen und Tschechien ohne Einschränkung in Österreich arbeiten, wodurch die Arbeitslosigkeit vermutlich wieder steigen wird. Im Ministerrat im März wurde festgelegt, dass alle Ministerien 3,6 Prozent ihres Budgets einsparen müssen. Ausnahmen gibt es für das Innenministerium (zwei Prozent) und für den Bildungsbereich (minus 1,4 Prozent). Sozialminister Rudolf Hundstorfer muss 264 Millionen im Bereich Arbeit einsparen. Anlässlich der steigenden Arbeitslosigkeit wurden beim AMS österreichweit 80 zusätzliche Planstellen geschaffen, davon 25 für Wien. Diese MitarbeiterInnen sind allerdings noch in Ausbildung.

Weblink
GPA-djp für Bewährungshilfe Neustart:
www.gpa-djp.at/neustart

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