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Gleichzeitig wird die angebliche Überforderung der "Leistungsträger" beklagt. Das oberste Einkommensdrittel leistet rund 59 Prozent der Abgaben, erhält aber "nur" 25 Prozent der Sozialleistungen. Gleichzeitig wird die angebliche Überforderung der "Leistungsträger" beklagt. Das oberste Einkommensdrittel leistet rund 59 Prozent der Abgaben, erhält aber "nur" 25 Prozent der Sozialleistungen.

Sozialstaat für alle!

Schwerpunkt

Plädoyer für einen leistungsstarken Sozialstaat und gegen ein Auseinanderdividieren der Gesellschaft.

Zurzeit häufen sich wieder Meldungen und Politikeraussagen, die darauf abzielen, den Sozialstaat in ein denkbar schlechtes Licht zu rücken. Mit Schlagwörtern wie "Soziale Hängematte", Leistungsfeindlichkeit, Sozialmissbrauch, überbordende Sozialkosten und Überforderung der "Leistungsträger" werden Bilder gezeichnet, die mit der Realität wenig bis gar nichts zu tun haben.

Vermeintliche Schuldenkrise

Das alles vor dem Hintergrund der einschneidenden Spuren, die die Finanz- und Wirtschaftskrise - ausgelöst durch den Irrsinn ungezügelter Finanzmärkte - hinterlassen haben. Bankenrettungspakete, Konjunkturprogramme, erhebliche Mehrkosten durch die deutlich gestiegene Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig sinkenden Einnahmen aus Steuern und Beiträgen führen unweigerlich zu erheblichen Belastungen der Staatshaushalte. In der öffentlichen Berichterstattung wird die Finanz- und Wirtschaftskrise von der "Schuldenkrise" abgelöst, Fragen nach "Ursache und Wirkung" bleiben dabei zumeist ausgeblendet. Die Frage, wer in welchem Ausmaß für die Kosten aufkommen wird müssen, gewinnt deutlich an Brisanz. Mit Stimmungsmache gegen den Sozialstaat sollen offensichtlich Widerstände gegen Einschnitte in den Sozialbudgets prohibitiv geschwächt werden.

Überforderte "Leistungsträger"?

Den Anstoß zur Sozialstaatsdiskussion gab der Finanzminister vorigen Herbst in seiner Rede zum "Projekt Österreich", in der er zwecks "Verdeutlichung der Defizite bei der Verteilungsgerechtigkeit" die Gesellschaft in "Geber" und "Nehmer", in "Steuerzahlerfamilien" und in jene, "die gar keine Steuern zahlen, aber Anspruch auf zahlreiche Beihilfen haben"1, teilte. Der inklusive Sozialstaat, der Teilhabe am Wohlstand aller sichern und den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern soll, wird quasi auf den Kopf gestellt und zum trennenden Faktor erklärt, der die Gesellschaft in Gebende und Nehmende teilt. Gleichzeitig wird die angebliche Überforderung der "Leistungsträger" beklagt. Das oberste Einkommensdrittel leistet rund 59 Prozent der Abgaben, erhält aber "nur" 25 Prozent der Sozialleistungen.
Fürs erste ist festzuhalten, dass sich die Zuordnung "Leistungsträger" nicht an der Höhe der Einkommen festmachen lässt. Eine engagierte, schlecht bezahlte Kindergartenhelferin leistet z. B. offensichtlich wesentlich mehr für die Gesellschaft, als Lobbyisten, die ihre Politiknähe für exorbitant hohe "Provisionen" nutzen, oder Finanzmarktjongleure mit exzessiven Millionengagen. Dazu kommt, dass daran, dass Besserverdienende auch einen entsprechend höheren Finanzierungsbeitrag leisten, schwerlich etwas auszusetzen ist. Umverteilung findet sinnvoller Weise von oben nach unten und nicht umgekehrt statt! Die wahren Defizite bei der Verteilungsgerechtigkeit liegen ganz woanders, bei der weit überproportionalen Belastung der Arbeitseinkommen und den fehlenden bzw. völlig unzureichenden Finanzierungsbeiträgen hoher Vermögen und von Spitzeneinkommen aus anderen Einkommensarten. Wo bleibt die Verteilungsgerechtigkeit, wenn von monatlichen Arbeitseinkommen ab 1.206 Euro brutto beim laufenden Bezug von jedem zusätzlich verdienten Euro nach Sozialabgaben noch 36,5 Prozent Lohnsteuer zu zahlen sind und selbst extrem hohe Einkommen aus anderen Quellen (Vermögenserträge, Spekulationsgewinne etc.) viel niedriger oder gar nicht besteuert werden? Wo bleibt die Verteilungsgerechtigkeit, wenn "NormalbürgerInnen" ordnungsgemäß ihre Abgaben entrichten, den Wohlhabenden aber gleichzeitig zahlreiche Schlupflöcher (Stiftungskonstruktionen, Steueroasen im Ausland) offenstehen?
Es ist geradezu unglaublich, dass unter dem Titel Verteilungsgerechtigkeit derartige Umstände unerwähnt bleiben, aber die gut funktionierenden Umverteilungseffekte des Sozialstaates als Problem angeprangert werden.

"Geber/Nehmer-Logik"

Die bloße Unterscheidung, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt NettoempfängerIn bzw. -zahlerIn ist, ist für die Klärung der Frage, wer vom Sozialstaat profitiert, völlig ungeeignet. Eine solche Momentaufnahme liefert ein deutlich verzerrtes Bild. Je nach Lebensphase bzw. aktueller Konstellation ergibt sich nahezu zwangsläufig die Zuordnung zur Gruppe der Nettoempfänger. Jugendliche, Familien mit Kindern, PensionistInnen und Menschen mit Pflegebedarf sind ebenso wie Arbeitslose oder aufgrund schwerer Erkrankung (vorübergehend) Erwerbsunfähige natürlich Nettoempfänger und im hohen Maß auf Transfers angewiesen.
Viele NettoempfängerInnen "von heute" sind die NettozahlerInnen "von morgen" und wieder die NettoempfängerInnen "von übermorgen". Alle NettozahlerInnen "von heute" waren "gestern" noch NettoempfängerInnen und der überwiegende Teil von ihnen wird es "morgen" wieder sein! Dass die NettozahlerInnen zuvor auch NettoempfängerInnen waren, gilt dabei für die gut ausgebildeten Besserverdiener "von heute" zumeist in besonderem Maße.

Sozialer Frieden und Zusammenhalt

Zu beachten ist auch, dass sich der individuelle Nutzen eines hochwertigen Sozialstaates nicht allein durch die monetäre Bewertung bezogener Transfers erfassen lässt. Abgesehen von wesentlichen mittelbaren und/oder nicht monetären positiven Effekten wie sozialen Frieden und Zusammenhalt, hohe Lebensqualität, individuelle Entwicklungspotenziale durch öffentliche Bildung und gut ausgebaute soziale Infrastruktur etc. besteht auch ein erheblicher Nutzen in der Absicherung vor Großrisiken, auch wenn diese nicht schlagend und damit leistungswirksam werden. Die Gewissheit bei schwerer Erkrankung Zugang zu einem hochwertigen öffentlichen Gesundheitssystem zu haben, und nicht Gefahr zu laufen "ausgesteuert" zu werden, stiftet ebenso erheblichen Nutzen, wie die Sicherheit bei länger andauerndem Jobverlust nicht ins Bodenlose zu stürzen, selbst dann, wenn man von derartigen Schicksalsschlägen verschont bleibt.

Leistungsstarker Sozialstaat

Ein leistungsstarker Sozialstaat nützt allen. Unser Sozialstaat ist kein "Randgruppenprojekt", kein residuales, bloß auf Armutsvermeidung ausgerichtetes System, sondern eines, das alle gesellschaftlichen Schichten einbindet. Es bietet hohe Sicherungsstandards und eine gut ausgebaute - in Teilbereichen sicher noch verbesserungsfähige - soziale Infrastruktur. Von all dem profitiert in erheblichem Maß auch die breite Mittelschicht. Dies gilt umso mehr, wenn ein faires Abgabensystem gewährleistet, dass jene, die am meisten verdienen/besitzen, entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit auch einen fairen Finanzierungsbeitrag leisten.
Hohe Standards im öffentlichen Bildungs- und Gesundheitssystem, gut ausgebaute Familienleistungen, hohe Sicherungsniveaus im Alter, bei Invalidität und Arbeitslosigkeit, ergänzende mindestsichernde Elemente, Pflegevorsorge, Chancen erhaltende bzw. eröffnende aktive Arbeitsmarktpolitik, Ausbildungsgarantien für Jugendliche etc. kommen allen Bevölkerungsgruppen zugute. Sie sind Voraussetzung dafür, dass eine breite Mittelschicht entstehen und bestehen kann! Selbst wenn man das Glück hat nie arbeitslos, schwer krank oder pflegebedürftig zu werden, wird man über das gesamte Leben betrachtet vom Sozialstaat profitieren und stets die Gewissheit haben, dass bei Jobverlust, schwerer Erkrankung oder sonstigen Schicksalsschlägen nicht der Verlust sämtlicher Perspektiven droht, sondern die materielle Absicherung, der Zugang zu hochwertigen Gesundheitsleistungen, die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weitgehend gewährleistet bleibt. Letztlich nützt der Sozialstaat aber auch den "Reichen" ganz erheblich, denn sozialer Friede und Stabilität sind nicht nur wesentliche Faktoren für die Lebensqualität, sondern auch Voraussetzung für die Akkumulation und Weitergabe von Vermögen. Der Markt allein schafft keine Gerechtigkeit. Eine gerechte, zukunftsweisende Gesellschaft braucht einen aktiven, integrativen und leistungsstarken Sozialstaat.

Weblink
WIFO-Studie zum Download:
www.wifo.ac.at/wwa/servlet/wwa.upload.DownloadServlet/bdoc/S_2009_SOZIALPOLITIK_35602$.PDF

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