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Die Produktivkraft Aus marktliberaler Sicht bestünde z. B. die Ursache für die Finanz- und Wirtschaftskrise darin, dass Nationalstaaten "über ihre Verhältnisse gelebt" hätten und meinen damit die vermeintlich zu großzügigen Niveaus sozialstaatlicher Absicherung.

Die Produktivkraft

Schwerpunkt

Der soziale Ausgleich ist Ziel, Instrument, aber auch Voraussetzung für moderne und gerechte Gesellschaften.

Zunehmende Ungleichheit in der Einkommens- und Vermögensverteilung, steigende Arbeitslosigkeit, hohe Armutsrisiken sowie eine - vielleicht sogar beabsichtigte - kollektive Verunsicherung sind Ausdruck sozialer Verwerfungen.
Die aktuellen Folgen eines übertriebenen Wirtschaftsliberalismus zeigen, dass eine menschenwürdige Ordnung nicht von selbst entsteht, sondern nur durch politische Gestaltung erreicht werden kann. Erst sozialstaatliche Ausgleichsmechanismen stellen in der Regel die notwendige Voraussetzung für sozialen Zusammenhalt und damit für ein friedliches und stabiles Wirtschafts- und Gesellschaftsleben dar. Sozialer Ausgleich ist damit integraler Bestandteil und Voraussetzung moderner und gerechter Gesellschaften.

Konsum trotz Krise

Ein leistungsstarker Sozialstaat bedarf keiner ökonomischen Rechtfertigung. Seine Erfolge messen sich an Kriterien wie Gerechtigkeit, Gleichheit, sozialem Zusammenhalt etc., dennoch soll im Folgenden über die Darstellung ökonomischer Wirkungszusammenhänge die systembedeutende Rolle des Sozialstaats für Gesellschaft und Wirtschaft untermauert werden.
Obwohl sich der österreichische Sozialstaat im internationalen Vergleich besonders während der Finanz- und Wirtschaftskrise äußerst bewährt hat, wurde das nicht ins Zentrum der Diskussion gerückt. Völlig übersehen und unterbewertet wurden dabei vor allem die konsum- und somit konjunkturstützenden Wirkungen der sogenannten "automatischen Stabilisatoren", wie z. B. die Bedeutung der Arbeitslosenversicherung, die gerade in wirtschaftlichen Abschwungphasen bei Anstieg der Arbeitslosigkeit ihre Wirkung entfalten. Analog wirken die Leistungen aus der Pensionsversicherung zum Erhalt des Lebensstandards (z. B. Inflationsanpassung der Pensionen, Anhebung Ausgleichszulagenrichtsatz etc.).
Die ökonomischen Fakten müssten eigentlich für sich sprechen: Trotz eines massiven Rückgangs der realen Wirtschaftsleistung (2009: -3,6 Prozent), zweistelligen Einbrüchen im Bereich der Exporte (2009:  -17,7 Prozent), sinkenden Investitionen der Unternehmen (2009: -7,8 Prozent) konnten einzig die privaten Konsumausgaben stabil gehalten und sogar gegenüber dem Jahr 2008 mit real +0,4 Prozent ausgeweitet werden.
Dieser positive Trend bei den privaten Konsumausgaben ist auf die Verlässlichkeit und Wirkung insbesondere der Sozialbudgets und Transferleistungen zurückzuführen, die dazu beigetragen haben, Einkommen zu stabilisieren und "Panikreaktionen" in Form von Konsumverzicht oder übermäßigem, kollektivem - damit unmittelbar konjunkturschädlichem - Sparen zu vermeiden.
Die Schlussfolgerung ist trivial, aber unerlässlich: Je glaubwürdiger und verlässlicher ein Sozialstaat eine mögliche Risikolage entschärfen kann, umso höher ist das Sicherheitsempfinden der Menschen. Sie halten demnach ihre Ausgaben stabil und tragen damit wesentlich zur Krisenbewältigung bei.

Mythos: Luxus Sozialstaat

Marktliberale Proponenten diffamieren verstärkt die Leistungen und Potenziale eines aktiven Sozialstaats. Sie lenken mit dubiosen Unterstellungen von den Schwächen der eigenen Konzepte ab. Aus marktliberaler Sicht bestünde z. B. die Ursache für die Finanz- und Wirtschaftskrise darin, dass Nationalstaaten "über ihre Verhältnisse gelebt" hätten und meinen damit die vermeintlich zu großzügigen Niveaus sozialstaatlicher Absicherung.
Damit wird das "Opfer" zum "Täter" stilisiert, obwohl offensichtlich ist, dass die Budgets, insbesondere die konjunkturstabilisierenden Sozialbudgets, noch Jahre an den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise leiden werden. Besonders absurd dabei ist, dass gerade der Staat Banken und instabile Finanzmärkte retten musste und nun - als "Dank" - der Sozialstaat auf Kosten der Menschen "verschlankt" werden soll. Dies wäre ein Frontalangriff auf den sozialen Zusammenhalt mit katastrophalen Konsequenzen für Wirtschaft und Gesellschaft.
Der Mitte Mai beschlossene "Sparkurs" zur Budgetkonsolidierung ("Bundesfinanzrahmengesetz", BFRG) stellt selbst ohne konkret vorliegende Maßnahmen eine ernste Bedrohung für den Sozialstaat und die wirtschaftliche Erholung dar.
Das Bekenntnis zu einer mittelfristigen, wachstums- und beschäftigungsgetriebenen Budgetkonsolidierung wäre nachvollziehbar und richtig gewesen - die Pläne sehen aber anders aus: Der geplante Startpunkt und die Höhe der Budgetkonsolidierung bedeuten beträchtliche Einschnitte bei den Bildungs- und Sozialausgaben. Die geplanten Kürzungen im Bildungs- und Sozialbereich werden wohl soziale Härtefälle produzieren, sie gefährden den Wirtschaftsaufschwung, da sie die Wirkung der automatischen Stabilisatoren behindern. Sie sind damit nicht nur sozialpolitisch bedenklich, sondern auch wirtschaftspolitisch kontraproduktiv.
Statt Sozialausgaben zu kürzen, würde es im Gegenteil sogar eines Ausbaus der bestehenden sozialstaatlichen Absicherung, eines flächendeckenden Angebots an Bildungs- und Betreuungseinrichtungen usw. bedürfen, die eine Grundvoraussetzung für technologischen, strukturellen und gesellschaftlichen Fortschritt darstellen. Mit einer "Bildungs- und Sozialmilliarde" könnten unmittelbar zw. 20.000 und 25.000 Jobs geschaffen werden - Arbeitsplätze, die dem Anstieg der Arbeitslosigkeit erfolgreich entgegenwirken könnten und die sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wesentlich verbessern würden!

Jobmotor und Standortvorteil

Der Sozialstaat ist nicht statisch, er muss laufend überprüft und weiterentwickelt werden. Die Globalisierung, Ausbreitung prekärer Arbeitsformen, demografischer Wandel, Individualisierung der Lebensformen etc. erfordern einen starken, dynamischen Sozialstaat. Er muss in erster Linie als Produktivkraft und nicht als Kostenfaktor gesehen werden. Er schafft die notwendigen Rahmenbedingungen, dass sich Österreich als Wirtschaftsstandort und die Gesellschaft im Ganzen dauerhaft erfolgreich im wissensbasierten Qualitäts- und Innovationswettbewerb behaupten können, ohne den sozialen Zusammenhalt zu gefährden.

Nachhaltige Erfolgsmodelle

Die skandinavischen Länder zeigen vor, dass hohe Sozialstandards nicht im Widerspruch zu wirtschaftlichen Erfolg stehen, sondern diesen vielmehr begünstigen und nachhaltig absichern. Diese auf breitem gesellschaftlichem Konsens basierende Erfolgsmodelle sind gekennzeichnet durch:

  • einen breit ausgebauten, aktiven Wohlfahrtsstaat anstelle eines subsidiären und restriktiven Fürsorgestaates;
  • hoch entwickelte, professionelle soziale Dienstleistungen bei Kinderbetreuung, Bildung, Gesundheitsdiensten und Arbeitslosenbetreuung als Beschäftigungsmotor und Grundvoraussetzung für den Erhalt der Arbeitskräfte;
  • richtig verstandene "Flexicurity", d. h. gute soziale Absicherung und Weiterbildungsmöglichkeiten im Umfeld hoher Arbeitsmarktflexibilität;
  • ein aufwendiges Bildungssystem mit allgemeiner Breitenförderung statt individueller Selektion;
  • einen ebenfalls überdurchschnittlichen Aufwand für Forschung und Entwicklung sowie durch
  • eine solide Finanzpolitik mit einer hohen Staatsquote und gleichzeitig ho-her Leistungsfähigkeit des öffentlichen Sektors.

Fazit
Fakten belegen, dass der österreichische Sozialstaat wesentliche positive Effekte für die wirtschaftliche Entwicklung und hohe "Krisenfestigkeit" aufweist. Weiterentwicklungsbedarf besteht v. a. im Bildungsbereich und beim Ausbau der sozialen Infrastruktur. Der Wohlfahrtsstaat skandinavischer Prägung könnte dabei Richtschnur sein. Dieser "soziale Aufholprozess" in Österreich würde trotz der Herausforderung knapper Budgets mehr soziales und ökonomisches Verständnis, Mut und entsprechende Zukunftsinvestitionen verlangen. Letztendlich gilt doch wieder die oft zitierte Lehrbuchdefinition: Das Budget ist die in Zahlen gegossene Politik.

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