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Betrachtet man die physischen Risiken der Berufstätigkeit, sind Erwerbstätige im Baugewerbe die gefährdetste Gruppe. Betrachtet man die physischen Risiken der Berufstätigkeit, sind Erwerbstätige im Baugewerbe die gefährdetste Gruppe.

Kranke Jobs

Schwerpunkt

Warum macht Arbeit krank? Wen macht Arbeit krank? Wie krank kann Arbeit machen? Ist Arbeitslosigkeit gesünder? Auf welche Fragen fehlen Antworten?

Sind Sie professioneller Tierbändiger? Oder Rennfahrerin? Vielleicht Artist? Oder räumen Sie hauptberuflich Minenfelder? Wenn dem so ist, können Sie die folgenden Seiten überblättern: Die von Ihnen gewählte Form des Broterwerbs birgt so große gesundheitliche Gefahren, dass sie zu den Hochrisikoberufen gezählt wird - die Bürden repetitiver Armbewegungen oder durch Kundenkontakt bedingter Stress sind für Sie ebenso wenig ein Thema wie eine private Unfallversicherung (die Sie nur durch horrende Risikozuschläge erkaufen können, sofern sie Ihnen nicht ganz verwehrt bleibt). Falls Sie sich dennoch für die Gesundheitsprobleme von Erwerbstätigen in alltäglichen Berufen interessieren: Lesen Sie weiter.

Belastungsfaktoren

Wenn sich der eingangs erwähnte Tierbändiger mit einer von Tieren auf Menschen übertragbaren Krankheit infiziert, oder die Rennfahrerin durch Motorenlärm schwerhörig wird, entsprechen diese Leiden einer der derzeit 53 im allgemeinen Sozialversicherungsgesetz anerkannten Berufskrankheiten. Die arbeitsbedingten Gesundheitsbeeinträchtigungen sind insgesamt ein viel weiteres Feld und können oft nicht so spezifisch definiert werden, haben aber einen gemeinsamen Nenner: den Belastungsfaktor - ein Merkmal der Arbeit oder des Umfelds, das Krankheiten oder Verletzungen induziert oder bestehende Probleme verstärkt. Nach der WIFO-Studie "Arbeitsbedingte Erkrankungen" zählen physische Schwierigkeiten wie repetitive Tätigkeiten (betreffen 37 Prozent der Erwerbstätigen) und schmerzhafte Haltungen (27 Prozent) zu den am weitesten verbreiteten Belastungen am Arbeitsplatz, noch häufiger sind jedoch Stressfaktoren wie kurzfristige Termine (knapp 54 Prozent) oder hohes Arbeitstempo.
Naturgemäß unterscheiden sich Belastungsfaktoren nach Art des Arbeitsplatzes: Beschäftigte im primären und sekundären Wirtschaftssektor sind dreimal bzw. zweimal häufiger mit physischer Arbeitsschwere und Verletzungsgefahr konfrontiert als Erwerbstätige im tertiären Sektor, für die sich die meisten Unannehmlichkeiten aus Kundenkontakt bzw. Parteienverkehr ergeben. Geeint sind die drei Sektoren durch "Zeitdruck", der sich für etwa die Hälfte aller ArbeitnehmerInnen als Erschwernis mit möglichen gesundheitlichen Folgen darstellt.
Betrachtet man die physischen Risiken der Berufstätigkeit, sind Erwerbstätige im Baugewerbe die gefährdetste Gruppe. Die "European Working Conditions Survey" bescheinigt BauarbeiterInnen, in allen Kategorien (Lärm und Temperatur, biologische und chemische Schadstoffe, ergonomische Probleme) am häufigsten belastet zu sein, gefolgt von Beschäftigten der Landwirtschaft und der handwerklichen Gewerbe.
Hinsichtlich biologischer und chemischer Gefahren sind auch Personen in Gesundheits- und Sozialberufen überdurchschnittlich exponiert; zudem müssen sie sich besonders oft mit psychischen und sozialen Belastungsfaktoren auseinandersetzen: Laut der EU-Kommissions-Studie "Work and health in the EU" erleben in diesen Berufen fast 40 Prozent der Beschäftigten eine Stressbelastung von gesundheitlich relevantem Ausmaß, ähnlich viele wie in der Transportbranche oder im Bildungsbereich. Was Gewaltandrohungen oder gar körperliche Tätlichkeiten angeht, sind ausgerechnet die Gesundheits- und SozialarbeiterInnen - die die Fürsorge um ihre Mitmenschen zur Profession erkoren haben - mit Abstand am häufigsten betroffen.

Symptome und Unfälle

Die beruflichen Belastungsfaktoren sind nicht bloß theoretische Risiken, sondern manifestieren sich auch in gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Laut "Arbeitsunfälle und arbeitsbezogene Gesundheitsprobleme", einem Modul der "Arbeitskräfteerhebung 2007" der Statistik Austria, geben knapp 16 Prozent der Erwerbstätigen an, an zumindest einem arbeitsbedingten Gesundheitsproblem zu leiden. Als häufigste Symptome werden Erkrankungen des Muskel-Skelett-Apparats genannt (in 70 Prozent der Fälle das schwerste Symptom), gefolgt von psychischen Problemen (Depressionen, Angstzustände; sieben Prozent) Infektionskrankheiten (sechs Prozent), Erkrankungen der Atemwege (fünf Prozent) und Herz-Kreislauf-Problemen (drei Prozent).
Betrachtet man die einzelnen Branchen, zeigt sich ein Zusammenhang mit den zuvor genannten physischen Risiken: In der Land- und Forstwirtschaft (26 Prozent aller Erwerbstätigen), dem Bergbau (23 Prozent) und der Bauwirtschaft (19 Prozent) kommt es zu den häufigsten Erkrankungen. Und auch zu den schwerwiegendsten, wie "Work and health in the EU" zeigt: Mehr als drei Prozent der Agrar-Arbeitskräfte tragen von ihrer Berufstätigkeit einen Langzeitschaden davon, knapp ebenso viele in der Bauwirtschaft und mehr als zwei Prozent im Bergbau. Mit langfristigen Folgen der Arbeit kämpft auch ein ähnlicher Anteil der Beschäftigten in Gesundheits- und Sozialberufen sowie in der Transportbranche - also in den Branchen mit großer psychosozialer Belastung.
Von Arbeitsunfällen am häufigsten betroffen sind die Berufstätigen in der Landwirtschaft, am Bau und im Transport - gleichermaßen hinsichtlich tödlicher und nicht-tödlicher Unfälle sowie sich daraus ergebender Langzeitschäden.

Arbeit = Krankheit?

Arbeit kann krank machen. Also ist man ohne Arbeit gesünder? Zieht man den "Fehlzeitenreport 2008" des WIFO zu Rate, ist das Gegenteil der Fall: 2006 waren Arbeitslose im Durchschnitt 28 Tage länger im Krankenstand als Erwerbstätige. Als Grund dafür kann zwar angeführt werden, dass Arbeitgeber eher gesündere Arbeitssuchende rekrutieren und Krankenstände den Arbeitslosengeldbezug verlängern können. Allerdings belegen Untersuchungen aus Deutschland, dass Arbeitslose durchschnittlich 100 Prozent mehr Krankenhausaufenthalte (ein Maß für "echte" Krankheit) haben als Berufstätige. Am größten ist der Abstand in der Diagnosegruppe "psychische Störungen". Dazu kommt, dass sich mit Beginn und Fortdauer der Arbeitslosigkeit die psychische Gesundheit oft verschlechtert und Arbeitslose, die an berufsbedingten psychischen Krankheiten leiden, zum Großteil durch eben diese Krankheiten arbeitslos wurden (laut "Arbeitsunfälle und arbeitsbezogene Gesundheitsprobleme" zu 70 Prozent). In anderen Worten: ein Teufelskreis.

Diagnoseprobleme

Die Folgen von arbeitsbedingten gesundheitlichen Problemen liegen auf der Hand: Für ArbeitnehmerInnen kommt es zu Beeinträchtigungen des Einkommens und der beruflichen Entwicklung bis hin zur Erwerbs- und Berufsunfähigkeit. Unternehmen erleiden Einbußen durch Gehaltsfortzahlungen und Wertschöpfungsverluste. Und gesamtgesellschaftlich verursachen sie eine Mehrbelastung des Sozialsystems. Laut "Fehlzeitenreport 2008" betragen die gesamtwirtschaftlichen Kosten bis zu 6,7 Mrd. Euro pro Jahr.
Die Identifizierung arbeitsbedingter Gesundheitsprobleme - und somit der Schlüssel zur Senkung der Kosten - ist allerdings noch ausbaufähig. In "Arbeitsbedingte Erkrankungen" wird aufgezeigt, dass die gesundheitlichen Folgen vieler arbeitsrelevanter chemischer Stoffe nicht ausreichend dokumentiert sind, und beruflich induzierte Beschwerden oft nicht als solche erkannt werden, etwa bei langen Zeitspannen zwischen Belastung und Erkrankung. "Work and health in the EU" kritisiert die fehlende Verfügbarkeit von Daten zu psychosozialen Gesundheitsproblemen sowie zu arbeitsbedingten Sterbefällen abseits tödlicher Unfälle. Und im "Fehlzeitenreport 2008" wird unter anderem angeregt, die Ursachen der Krankenstände Arbeitsloser genauer zu untersuchen.
Es gibt also genügend Ansatzpunkte, derer man sich annehmen könnte - auch auf die Gefahr hin, dass die Ergebnisse für Tierbändiger oder Rennfahrerinnen irrelevant sind.

Weblinks
Arbeitsbedingte Erkrankungen
bit.ly/wifo-arbeitsbedingte-erkrankungen
Fourth European Working Conditions Survey
bit.ly/eurofund-ewcs4
Work and health in the European Union
bit.ly/eurostat-work-health
Arbeitsunfälle und arbeitsbezogene Gesundheitsprobleme 2007
bit.ly/arbeitsunfaelle2007
Fehlzeitenreport 2008
bit.ly/wifo-fehlzeiten2008

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