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Selbstverständlich geht Medikamentenentwicklung ins Geld, sie ist aufwendig und kostspielig. Selbstverständlich geht Medikamentenentwicklung ins Geld, sie ist aufwendig und kostspielig.

Unsummen für Pillen

Schwerpunkt

Die Pharmaindustrie macht weltweit hohe Umsätze. Zwischen den Medikamentenpreisen liegen oft gewaltige Unterschiede.

Niemand kann sich eine Welt ohne Schmerzmittel, Impfungen oder Antibiotika vorstellen. Die Pharmaindustrie stellt all die guten Stoffe her und will daran auch verdienen, wenn geht so viel wie möglich. Dass nicht das Geld, sondern immer nur das Wohl der Menschen im Vordergrund steht, beteuert die Branche ebenso stereotyp, wie die hohen Kosten für Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel. Das Image der Pharmaindustrie ist nicht gerade leuchtend hell.

22 Prozent für Heilmittel

Unser Gesundheitssystem ist ein Solidarsystem, auch wenn man nicht krank ist zahlt man seinen Beitrag. Dass es nicht mehr lange finanzierbar sei, wird fast schon im Wochentakt beschworen. Immer wieder wird die Kostenkeule geschwungen, gerade von denen, die sich kaum darum zu kümmern haben, wie sie das Notwendigste zum Leben bezahlen können. Die Gesundheitskosten betrugen 2008 in Österreich laut Statistik Austria, 29.549 Mio. Euro, 22 Prozent davon entfielen auf Heilmittel. Die Arzneimittelpreise unterliegen für sämtliche Vertriebsstufen einer gesetzlichen Regelung. Auf Basis der Fabriksabgabepreise gibt es neben der amtlichen Preisfestsetzung durch ministeriellen Preisbescheid seit September 1999 auch die Möglichkeit, den Fabriksabgabepreis an die Behörde zu melden. Wenn innerhalb von sechs Wochen keine Reaktion seitens der Behörde erfolgt, gilt der gemeldete Preis. Soll ein Arzneimittel von der Sozialversicherung bezahlt werden, muss der Hersteller noch Verhandlungen mit dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger führen, damit sein Produkt in den Erstattungskodex aufgenommen wird. In diesen Verhandlungen werden häufig Preise vereinbart, die die genehmigten bzw. gemeldeten Höchstpreise unterschreiten.
Dennoch zeigen sich an Medikamentenpreisen nicht nachvollziehbare Preisunterschiede, vorgegeben von einer Industrie, die weltweit zu den profitabelsten Industriesparten zählt. Zwar habe Österreich im europäischen Vergleich ein um 18 Prozent niedrigeres Preisniveau für Medikamente, sagt der neue Präsident des Verbandes der pharmazeutischen Industrie, Pfizer-Österreich-Chef Robin Rumler in einem Standard-Interview. Wie sich diese Zahl errechnet ist unklar, führt man sich eine Studie der deutschen Krankenkasse KKH vor Augen. Sie hat ergeben, dass beispielsweise das Rheumamedikament Remicade in Portugal 1.460 Euro, in Griechenland 1.588 Euro und in Deutschland 2.080 Euro kostete. Kein Einzelfall, für das Krebsmedikament Glivec mussten PatientInnen in Griechenland 6.914 Euro, in Portugal 6.951 Euro und in Deutschland dafür 7.806 Euro auf den Tisch legen. Der Preis für das gegen Multiple Sklerose eingesetzte Präparat Betaferon brachte es zu einem Preisunterschied zwischen Italien und Deutschland von sagenhaften 612 Euro. Preisvergleiche, die zeigen, dass die Industrie unterschiedliche Preise gewinnmaximierend gestaltet, denn in einem Markt wie Deutschland ist sicherlich mehr zu holen als bei den südlichen, minder betuchten Nachbarn. Praktiken, die auch außerhalb Europas usus sind und schon seit Jahren praktiziert werden. Schon vor zehn Jahren zeigte eine Studie in den Vereinigten Staaten, dass die Preisunterschiede zwischen Arzneimitteln in Mexiko, USA und Kanada bis zu 147 Prozent auseinanderklaffen. Bei derart krassen Preisunterschieden lässt sich ein Gedanke kaum verdrängen: Die Pharmaindustrie holt sich, was sie unter den Rahmenbedingungen in den jeweiligen Ländern herausholen kann, sprich wo kaufkräftige Schichten vorhanden sind werden Preise der Kaufkraft angeglichen.

Hohe Forschungskosten

Selbstverständlich geht Medikamentenentwicklung ins Geld, sie ist aufwendig und kostspielig. So können sich die durchschnittlichen Kosten bis zur Vermarktung eines Medikamentes mit 800 Mio. US-$ zu Buche schlagen. Um diese "Vorlaufkosten" zu verdienen, braucht es einige Anstrengungen, die nicht zuletzt im Preis ihren Niederschlag finden. Dass immer wieder die hohen Forschungskosten eines neuen Präparates als entscheidender Kostenfaktor angeführt werden, ist nicht ganz verständlich, zumal in den Marketingabteilungen der Pharmaindustrie wesentlich mehr MitarbeiterInnen beschäftigt sind als in der Forschung. So liest man auf den Internetseiten der Medikamenten-Multis, dass im Jahre 2008 etwa Roche 18.518 ForscherInnen beschäftigt hat, im Marketing jedoch um etwa 10.000 Menschen mehr. Bei Böhringer kümmern sich mehr als doppelt so viele MarketingexpertInnen wie ForscherInnen, nämlich 15.909, um die Hochglanz-Vermarktung. Mit rund 38.000 hat der Pharma-Multi Bayer gleich dreimal so viele Beschäftigte auf der Marketing-Payroll wie im Forschungsbereich.

Macht der Lobbyisten

Die Sanierung des Gesundheitswesens über Einsparungen im Arzneimittelsektor sei illusorisch, meint die Apothekerkammer, womit sie wohl recht haben kann, aber eine Entlastung können niedrige Medikamentenpreise allemal bringen. Der durchschnittliche Krankenkassenumsatz der Apotheken ist jedenfalls von 2007 auf 2008 um knapp sieben Prozent gestiegen. Auch die Pharmabranche wehrt sich kräftig, sie will für die steigenden Gesundheitskosten nicht den Schwarzen Peter haben, denn schließlich gehe es nicht darum, Ausgabensteigerungen zu kontrollieren, sondern jene Leistungen zu erfüllen, die PatientInnen brauchen. Anders sieht das der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Billigere Medikamentenpreise, weniger Verschreibungen und damit geringere Mengen oder höhere Selbstbehalte für die Versicherten sind Alternativen, die jährlich steigenden Arzneimittelausgaben zu bremsen. An oberster Stelle stehe dabei die Senkung der Spannen im Pharmagroßhandel und bei den Apotheken sowie eine Überprüfung der Industriepreise. "Die durchschnittlichen Spannen heimischer Apotheken liegen im europäischen Spitzenfeld", so Dr. Josef Probst vom Hauptverband. Daneben werden mit der Pharmaindustrie und den Pharmaimporteuren Verhandlungen geführt mit dem Ziel, die Preise für die Sozialversicherung als Großabnehmerin zu senken. Wirft man einen Blick auf die Gewinne der Pharmafirmen so ist genügend Spielraum für eine Kostensenkung vorhanden. Trotz der dramatischen Kosten-Entwicklung im Medikamentenbereich stehe für Probst außer Zweifel, dass den PatientInnen in Österreich Medikamente nach dem neuesten Stand der Medizin zur Verfügung zu stellen sind: "Die soziale Krankenversicherung ist Anwalt von acht Mio. Versicherten. Und diese haben ein Recht darauf, dass sie im Krankheitsfall mit den besten auf dem Markt befindlichen Medikamenten versorgt werden."
Damit macht man sich nicht gerade beliebt, denn der milliardenschwere Markt soll möglichst wenig gestört werden. Dementsprechend groß ist das Lobbying der Branche, wie sich kürzlich bei unseren deutschen Nachbarn gezeigt hat. Dort wurde das unabhängige und aus öffentlichen Mitteln finanzierte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen auf einen industriefreundlichen Kurs "getrimmt", denn es hat in vielen Fällen nachgewiesen, dass teure Medikamente keinen relevanten Zusatznutzen für die PatientInnen haben, aber hohe Kosten für die Krankenkassen verursachen. Die Spitze des Hauses wurde neu geordnet, die unliebsame Geschäftsführung ausgetauscht.
Immer wieder werden neue Medikamente auf den Markt geworfen. Nicht alle bringen wirklich neue Wirkungen: oft nur buntere Verpackungen. Die individuelle Anpassung der Medikamente, das sei der Trend der vergangenen Jahre, so der Pharmaindustrie-Verbandspräsident.

100 neue Medikamente

In den kommenden drei Jahren seien mehr als 100 neue Medikamente zu erwarten. Die Anzahl der "AbnehmerInnen", für die ein maßgeschneidertes Medikament lebensnotwendig ist, wird kleiner, die Preise dafür können steigen, denn sie werden wieder und wieder neu verhandelt, angefangen wird immer mit dem Höchstpreis. Es scheint, dass Verhandlungsgeschick und Marketing weit mehr im Vordergrund stehen als der Nutzen der Arzneimittel. Dass Medikamentenpreise, als erheblicher Faktor der Gesundheitsversorgung, Streitthema bleiben, ist so gewiss wie die Gewinne der Pharmakonzerne steigen werden.

Weblink
Mehr Infos unter:
www.gesund.co.at/gesund/Infothek/Pharmaindustrie/pharmaindustrie.htm

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