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In Österreich wurden sehr rasch die gesetzlichen Voraussetzungen für die Umstellung der Universitätsstudien geschaffen. In Österreich wurden sehr rasch die gesetzlichen Voraussetzungen für die Umstellung der Universitätsstudien geschaffen.

Besser mit »Bologna«

Gesellschaftspolitik

Anlässlich zehn Jahre Bologna-Prozess an den Unis trafen sich die zuständigen MinisterInnen in Wien, viele Studierende sahen wenig Grund zum Feiern.

Bei "Bologna" denken viele an italienisches Großstadtflair, gemütlich einen Espresso trinken und dergleichen. Beim Großteil der Studierenden löst aber dieses Wort mittlerweile keine Assoziationen mit entspannter Urlaubsatmosphäre aus, ganz im Gegenteil: Überfüllte Hörsäle, überfrachtete Studienpläne, geringe Wahlmöglichkeiten, Anrechnungsprobleme bei Studienwechsel, weniger Gelegenheiten für ein Auslandsstudium, Zugangshürden und Studiengebühren lauteten die wichtigsten Kritikpunkte an der "Bologna"-Hochschulreform, die schließlich im Herbst des Vorjahres zu Studierendenprotesten in Österreich und anderen EU-Ländern führte.

Hehre Ziele für die Hochschulen

Im Jahr 1999 fiel der Startschuss, um einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum zu schaffen. Der Begriff "Bologna-Prozess" bezieht sich auf eine gemeinsame Erklärung von 29 BildungsministerInnen in der gleichnamigen Stadt. Hauptziele waren die Förderung von Auslandsstudien, größere internationale Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen und höhere "Beschäftigungsfähigkeit" der AbsolventInnen. Erreicht werden sollten diese im Wesentlichen durch die Vereinheitlichung der Studienstruktur auf Bachelor-, Master- und Doktoratsabschlüsse, die Anrechnung von Studienleistungen über "Kreditpunkte" sowie die Erhöhung der Mobilität von Studierenden und Lehrenden.
Die "Bologna"-Staatenliste beschränkt sich mittlerweile längst nicht mehr auf den EU-Raum: Bei der Jubiläumskonferenz im März 2010 wurde Kasachstan als 47. Teilnehmerland aufgenommen. Die Ziele wurden im Lauf der Zeit präzisiert und erweitert, z.B. hinsichtlich der "sozialen Dimension". Der Bologna-Prozess ist für ArbeitnehmerInnenorganisationen vor allem unter dem Gesichtspunkt der Bildung und Höherqualifizierung von (künftigen) Erwerbstätigen von Bedeutung.

"Wunderkur Bologna?"

In Österreich wurden sehr rasch die gesetzlichen Voraussetzungen für die Umstellung der Universitätsstudien geschaffen. Angesichts vielfältiger Probleme mit dem alten Studiensystem wurde "Bologna" oft als eine Art "Wunderkur, die alle Leiden auf einmal heilen soll", dargestellt. Bis Ende der 90er-Jahre gab es nur ein zweigliedriges Studiensystem, nämlich mindestens achtsemestrige Diplom- sowie darauf folgende Doktoratsstudien. Im Unterschied zu angelsächsischen Ländern, die über eine dreigliedrige Studienarchitektur verfügten und viele vergleichsweise junge Bachelor-AbsolventInnen aufwiesen, war hierzulande ein akademischer Erstabschluss mit dem Titel "Magister/Magistra bzw. Diplom-IngenieurIn" vielfach erst nach über fünf Jahren möglich. Dies hatte nicht nur einen sehr späten Einstieg in den Arbeitsmarkt zur Folge. Für viele ArbeitnehmerInnenfamilien war die Finanzierung von so langen Studienzeiten eine große Belastung, eine stärkere Erwerbstätigkeit der Studierenden selbst verlängerte oft die Zeit bis zum Abschluss oder führte letztendlich zum Studienabbruch.
Bei der legistischen Umsetzung ab 1999 wurden daher die Ziele wie Vergleichbarkeit der Abschlüsse, kürzere Studiendauer oder mehr Durchlässigkeit grundsätzlich begrüßt. Es wurde aber schon damals auf eine Reihe von ungelösten Problemen hingewiesen, die in der aktuellen Debatte eine zentrale Rolle spielen. So hat die AK darauf aufmerksam gemacht, dass bei einem stärker regulierten Studium gute Studienbedingungen zentral sind, da es sonst zu noch mehr unnötigen Warteschleifen (z. B. aufgrund von zu wenigen Übungsplätzen) kommt. Gleiches gilt für die Vereinbarkeit von Studium und Beruf. Bei stärker strukturierten Angeboten mit vermehrter Anwesenheitspflicht braucht es ein spezielles Angebot für erwerbstätige Studierende. Besonders eingemahnt wurde auch die Sicherstellung der Arbeitsmarktakzeptanz der Bachelor-AbsolventInnen.

Umsetzungsprobleme

An den Hochschulen begannen einzelne Studienrichtungen bald mit den Umstellungsverfahren auf sechs- bis achtsemestrige Bachelor- und zwei- bis viersemestrige Masterstudien. Parallel dazu gab es jedoch weitere gravierende Änderungen. Diese resultierten vor allem aus der großen Universitätsreform 2002, bei der die Organisationsstruktur in Richtung Stärkung der "Autonomie" und der Universitätsleitungen sowie weniger Mitspracherechte für Studierende und Lehrende grundlegend geändert wurde. Konstant blieb nur die chronische Unterfinanzierung insbesondere in den großen Fächern, die durch Budgetkürzungen und die Bedingung "Kostenneutralität" bei der Studienumstellung noch verstärkt wurde. Das Wissenschaftsministerium hat über die Leistungsvereinbarungen mit den Universitäten und den Fachhochschulentwicklungs- und -finanzierungsplan die Beteiligung am Bolognaprozess dennoch konsequent vorangetrieben.

Bachelor-/Master-System

Angesichts der Rahmenbedingungen ist es nicht verwunderlich, dass die Einführung des Bachelor-/Master-Systems an den Universitäten zumeist wenig "studierendenfreundlich" erfolgte. Die Studierenden beklagen die zunehmende "Verschulung", weil bei den neuen Studienplänen möglichst viele Lehrinhalte von vierjährigen Diplomstudien in dreijährige Bachelorstudien gepresst, Lehrveranstaltungen mit Anwesenheitspflichten erhöht und Anrechnungen sehr restriktiv gehandhabt wurden. Angesichts fehlender Ressourcen versuchten die Hochschulen zudem über "Voraussetzungsketten" für den Besuch von Lehrveranstaltungen oder Einschränkung des Wahlfachbereichs eine Steuerung des Lehrangebots.
Im Zentrum der Kritik steht auch die angepeilte "Employability", sprich berufliche Relevanz des Bachelor-Abschlusses. Bei jeder Studienkonzeption darf die Perspektive des späteren Erwerbslebens nicht ausgeblendet werden. Wichtig für die AbsolventInnen ist allerdings eine gewisse inhaltliche Breite des Studiums, um im Berufsleben ausreichend flexibel zu sein. Betriebsgerechte Spezialisierung und sofortige berufliche Verwertbarkeit, wie dies bei manchen WirtschaftsvertreterInnen durchklingt, sind dafür nicht dienlich. Für die AK sind vor allem die mangelnden Arbeitsmarktchancen für Bachelors Anlass zur Sorge. Im öffentlichen Dienst und in der Wirtschaft gibt es in weiten Teilen noch immer keine klaren Job-, Gehalts- und Karriereperspektiven, und es mangelt darüber hinaus an berufsbegleitenden Masterstudien.
Zudem hat eine AK-Umfrage vom Herbst 2009 ergeben, dass das Bachelor-Studium noch immer für "Insider" ist. Der Informationsstand in der Bevölkerung dazu ist generell sehr gering, auch bei Eltern mit schulpflichtigen Kindern und SchülerInnen, und es herrscht große Skepsis. Es ist also kein Wunder, dass viele Bachelors an Universitäten und Fachhochschulen gleich ein Masterstudium anschließen.

"Reform der Reform"

Die Studierendenproteste haben mittlerweile zu einigen Aktivitäten des Wissenschaftsministeriums (z. B. "Hochschuldialog") geführt, bei denen die SozialpartnerInnen eingebunden sind. Die AK fordert dabei u. a. ausreichende Ressourcen für bessere Studienbedingungen sowie eine "Reform der Reform" (kontinuierlicher Dialog mit der Arbeitswelt bei der Studienplanerstellung, Überprüfung der Studierbarkeit, verbesserte Anrechnungspraxis u. dgl.), die Einrichtung von berufsbegleitenden Studien, mehr Studienchancen für Personen aus sozial schwächeren Schichten sowie eine breite Informationskampagne, damit Eltern, SchülerInnen, Personalverantwortliche etc. besser über die neuen Abschlüsse Bescheid wissen. Nötig ist auch eine sichtbare reale Akzeptanz durch die ArbeitgeberInnen, z. B. in punkto Gehaltseinstufungen oder Stellenausschreibungen.

Mehr Bildungschancen für alle

Erfolgreich ist die Bologna-Studienreform jedenfalls nur dann, wenn sowohl Kindern aus Arbeitnehmerfamilien als auch Berufstätigen, die sich höher qualifizieren möchten, mehr Bildungschancen eröffnet werden sowie gute Studienbedingungen und Arbeitsmarktperspektiven endlich Realität werden.

Weblink
Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung:
www.bmwf.gv.at/eu_internationales/bologna_prozess

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