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AK-Bildungschef Franz Mrkvicka 1989 in einer Diskussion mit SchülerInnen während der Sozialpolitik-Ausstellung "Nicht Gnade, sondern Recht". AK-Bildungschef Franz Mrkvicka 1989 in einer Diskussion mit SchülerInnen während der Sozialpolitik-Ausstellung "Nicht Gnade, sondern Recht".

Bildung und Demokratie

Gesellschaftspolitik

Einige Gedanken zum 70. Geburtstag von Franz Mrkvicka, der bis vor zehn Jahren die Bildungsarbeit der Arbeiterkammer prägte.

Jede Gesellschaft ist "bunt", besteht aus Menschen mit unterschiedlichen "Feelings", Bedürfnissen und Traditionen. In jeder Gesellschaft mit moderner kapitalistischer Wirtschaft wie der österreichischen gibt es aber quer durch das bunte Durcheinander Unterschiede, die große Menschengruppen miteinander verbinden, vor allem den Grundunterschied an Chancen und Möglichkeiten zwischen "Arbeit" und "Kapital". Das betrifft alle Bereiche des Lebens, nicht nur Wirtschaft und Arbeitswelt. Demokratische Staaten müssen sich im eigenen Interesse um einen Ausgleich dieser Gegensätze bemühen, denn wenn die Kluft zu groß wird, sieht sich der benachteiligte Teil der BürgerInnen mit Recht ausgegrenzt und wird leichte Beute von rassistischen und antidemokratischen Heilsversprechen. Um die Gefahr, dass es den demokratischen Staat durch seine inneren Widersprüche zerreißt, zu verringern, wurde nach den Erfahrungen mit dem Faschismus in den meisten Ländern Europas nach 1945 der Sozialstaat auf- und ausgebaut.

Sozialstaat Österreich

Das Kennzeichen des Sozialstaats ist eine Verteilungspolitik, die dem schwächeren Teil der Gesellschaft, den auf abhängige Arbeit angewiesenen ArbeitnehmerInnen und ihrer Interessenvertretung, einen größeren Spielraum eröffnet, auch was das Durchsetzen eines besseren Zugangs zu Bildung betrifft. Natürlich gehört dazu das Wegfallen finanzieller Barrieren, also vor allem die Abschaffung von Lehrgeld, das vielfach noch vor 70 Jahren trotz gesetzlichen Verbots gezahlt werden musste, die Abschaffung von Schulgeld und von Studiengebühren. Aber das allein reicht nicht aus.
Ein aktuelles Beispiel: Öffentliche Volksschulen verlangen kein Schulgeld und außerdem besteht Schulpflicht. Trotzdem ist die Erfolgschance der Kinder höchst unterschiedlich. Wer zu Hause kaum Deutsch spricht oder keine Bilderbücher hat und nie im Kindergarten war, wird weniger mitbekommen als ein Kind, das alle diese Grundlagen hatte. Es ist also notwendig und richtig, wenn der Staat alle Eltern verpflichtet, ihre Kinder wenigstens ein Jahr vor Schulbeginn in den Kindergarten zu schicken. Solche Maßnahmen fanden und finden keineswegs überall Zustimmung, sind aber ebenso unverzichtbar zur langfristigen Sicherung der Demokratie wie das Abhalten von geheimen, gleichen und direkten Wahlen.

Zugang zu Bildung

Die Gewerkschaftsbewegung und mit ihr die Arbeiterkammern zählen zu den konsequentesten VerfechterInnen des Sozialstaats, und damit auch der Öffnung des Zugangs zu Bildung und der Nutzung dieser Chance. Die österreichische Bildungslandschaft würde ohne dieses Engagement heute anders aussehen. Das gilt ganz besonders für die Lehrausbildung: Es würde das 1969 beschlossene Berufsausbildungsgesetz für den betrieblichen Teil der Lehre nicht geben. An den Berufsschulen hätten die Lehrlinge keinen Deutsch- und Englischunterricht und auch nicht verpflichtend politische Bildung - bis die dazu notwendige Berufsschulzeiterweiterung Anfang der 1990er-Jahre durchgesetzt werden konnte, hatte es fast 70 Jahre gedauert. Die Lehre würde noch immer eine Sackgasse sein, von der aus man weiterführende Bildung nur in Ausnahmefällen erreichen kann - erst mit der 1997 beschlossenen Berufsreifeprüfung änderte sich das umfassend.

Auffangnetz für Jugendliche

Die Öffnung des Hochschulzugangs für Menschen ohne Matura begann aber schon früher - einerseits durch ständige Verbesserung der fachspezifischen Studienberechtigungsprüfung, andererseits durch verstärkte Integration der Schulen für Berufstätige in das Bildungssystem. Dies gilt insbesondere auch für die auf technische Lehrberufe aufbauenden Werkmeisterschulen, für deren AbsolventInnen schließlich auf Europaebene die Gleichwertigkeit mit dem deutschen Industriemeister erreicht werden konnte. Ebenso wenig gäbe es ein "Auffangnetz" für Jugendliche, die ihre Ausbildung teilweise oder ganz in Berufsschule und Lehrwerkstätte absolvieren können, wenn sie keinen Ausbildungsplatz in einem Betrieb finden. Das "Auffangnetz" ist übrigens ein gutes Beispiel dafür, dass erreichte Fortschritte nie für immer gesichert sind: Es wurde durch die rechte Koalitionsregierung ab 2000 fast unwirksam gemacht und erhielt erst wieder nach deren Ende seine volle Funktion zurück.
Ein ganz entscheidender Schritt zu besseren Chancen war das Wegfallen der Kontingentierung ganztägiger Schulformen in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre, politjuristisch als "Übernahme in das Regelschulwesen" bezeichnet. Seit damals können die Bundesländer eine ganztägige Begleitung der Schulkinder nach dem Bedarf berufstätiger Eltern zur Verfügung stellen. Möglich wurde das, weil AK und ÖGB die festgefahrenen Positionen der Parteien überwanden und vorschlugen, auf eine gesetzliche Fixierung des pädagogischen Konzepts der ganztägigen Betreuung an der Schule zu verzichten. Ob es eine "Ganztagsschule" werden sollte, wo Freizeit und Lernzeit den ganzen Tag über ineinander verschränkt sind, oder eine "Tagesheimschule", wo die Betreuung am Nachmittag nach dem traditionellen Unterricht erfolgt, konnte für den jeweiligen Standort unter Beteiligung der Eltern entschieden werden. Denn für die ArbeitnehmerInneninteressenvertretungen stand als klares Ziel im Vordergrund, dass es keine Schlüsselkinder mehr geben sollte.

Bildung für DemokratInnen

Wirklich offen ist das österreichische Schulsystem durch all diese Reformen aber noch längst nicht geworden, so wichtig und unverzichtbar sie waren. Es ist, wie die ExpertInnen sagen, noch immer "hoch selektiv": Junge Menschen, deren Eltern keine so gute Schulbildung bekommen konnten und wenig verdienen, haben nach wie vor weniger Chancen als andere, auch wenn sie noch so gescheit sind. Die von ÖGB und AK seit Jahrzehnten geforderte "gemeinsame Schule der Zehn- bis Vierzehnjährigen" könnte hier den Durchbruch schaffen, denn wenn "gute" und "schlechte" SchülerInnen gemeinsam lernen, ist das die beste Förderung für beide; unzählige internationale Studien belegten das. Gleichzeitig ist ein solches gemeinsames Lernen eine gute Basis für politische Bildung, die sich als Bildung für DemokratInnen begreift.
Denn die Art, wie Wissen und Fähigkeiten vermittelt werden trägt nicht nur dazu bei, die Chancen am Arbeitsmarkt zu verbessern oder zu verringern - so wichtig eine gute berufliche Qualifikation auch ist, wie bei der Veröffentlichung der Arbeitslosenzahlen ja immer wieder neu bewiesen wird. Die Art, wie Bildung vermittelt wird entscheidet auch darüber, ob Menschen gebrochen werden oder Zukunft für ihr Leben sehen.

Info&News
Franz Mrkvicka, gelernter Speditionskaufmann mit Matura im zweiten Bildungsweg, war Jugendsekretär des Internationalen Bunds Freier Gewerkschaften und des ÖGB. Bis 2000 prägte er als Verantwortlicher über ein Vierteljahrhundert die Bildungs- und Kulturarbeit der AK Wien und der Bundesarbeitskammer. In den 1980er-Jahren war er Wiens amtsführender Stadtrat für Kultur und Sport und bis 1996 Nationalratsabgeordneter und Berufsbildungssprecher der SPÖ.
Einige seiner wichtigsten Leistungen: die erfolgreiche Verhandlung des Berufsausbildungsgesetzes 1969, ebenfalls 1969 Organisation der ersten TV-Konfrontation von SpitzenpolitikerInnen vor Nationalratswahlen mit Lehrlingen im Saal der Linzer Stickstoffwerke, die bisher einzige Aktion "Bundestheater in die Bundesländer", die Durchsetzung des Denkmals gegen Krieg und Faschismus am Wiener Albertinaplatz, die erste Berufsschulzeiterweiterung nach 70 Jahren, die Berufsreifeprüfung, das "Auffangnetz" für Jugendliche ohne Lehrstelle, die Rettung des öffentlichen Büchereiwesens, das Verhindern der Wiedereinführung von Studiengebühren bis 2000.

Weblink
Franz Mrkvicka auf wikipedia:
www.de.wikipedia.org/wiki/Franz_Mrkvicka

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