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Ideen, was die Menschen von Herzen gerne tun würden, liegen mittlerweile viele vor. Jetzt wird nach Wegen gesucht, die Wünsche umzusetzen. Ideen, was die Menschen von Herzen gerne tun würden, liegen mittlerweile viele vor. Jetzt wird nach Wegen gesucht, die Wünsche umzusetzen.

Herzenssache

Schwerpunkt

Was möchtest du von Herzen gerne tun? Eine simple Frage, die Arbeitsmärkte revolutionieren könnte.

Jetzt soll sie schon wieder einen Computerkurs machen.
Der erste war schon eine Qual. 30 km zum Kurs beim Arbeitsmarktservice (AMS) in Gmünd. Zumindest kennt sie dort niemand. Im Dorf wissen die meisten, dass sie keine Arbeit hat. Bei Frauen ist das hier kaum eine Schande, zu tun gibt es genug. Es gäbe noch viel mehr zu tun, hätte sie die Zeit. Gerne säße sie länger oben bei der alten Zeilhoferin. Die erzählt immer dieselben Geschichten. Der hört niemand mehr zu. Die Kinder arbeiten, die Enkel sind in der Stadt. Sie aber hört die alten Geschichten gerne. Es kommt mit der Zeit immer Neues dazu.

Nichts tun

Er kenne hier, in der Region Oberes Waldviertel, niemanden, der nichts tun möchte, sagt der Betriebsseelsorger Karl A. Immervoll. Und er kennt hier viele, seit er sich vor über 25 Jahren entschlossen hat, mit den Bewohnern in der Grenzregion zu Tschechien zu arbeiten. Es kann nicht sein, dass immer mehr Menschen ohne Arbeit sind, sagten sich die MitarbeiterInnen der von ihm initiierten Plattform Integration, in erster Linie zuständig für Menschen mit "besonderen Bedürfnissen". "Mittlerweile gelten als Menschen ›mit besonderen BedürfnissenÜ jene, die vor zehn Jahren problemlos einen Arbeitsplatz in einem unserer Betriebe gefunden haben", sagt Karl A. Immervoll.
Prinzipielles Problem aller vier Regionen des Waldviertels ist der Bevölkerungsrückgang. Von "Perspektivenlosigkeit als Kombination von mangelnden Jobaussichten mit fehlendem Bildungsangebot", spricht die Studie der Arbeiterkammer "Alles gleich und doch verschieden". Erstmals lagen so genaue Daten vor.
Es gebe, sagt Karl A. Immervoll, relativ viele Programme von oben herab. Die Betroffenen, die "VerliererInnen" dieser Entwicklung aber würden nicht gefragt. Seine Grundüberzeugung: Jeder Mensch hat Fähigkeiten und Talente. Auch jene, "von denen die Gesellschaft behauptet, sie seien nicht schulbar, um einen von der Wirtschaft angebotenen Arbeitsplatz zu bekommen".

Baum aufstellen

Eine Postkarte mit der einfachen Frage: "Was möchte ich von Herzen gerne tun?" macht hier, in der Gegend um Heidenreichstein, seit vorigem Herbst die Runde. Die Idee dahinter ist der Versuch, wertvolle Energien zu nutzen. Viel davon wird verschwendet, einen Arbeitsplatz zu suchen, der nicht vorhanden ist. Müssten die Menschen nicht dem hinterherlaufen, das nicht zu haben ist, sondern könnten etwas tun, was ihren Fähigkeiten wirklich entspricht, lautet die Grundthese der Aktion, würde das den Arbeitsmarkt revolutionieren.
"Gerne möchte ich mit Menschen zu tun haben", lautet eine der häufigsten Antworten. Und Antworten kommen viele. "Jetzt haben wir folgendes Problem", sagt Immervoll. "Die Leute haben keine Zeit." Die einen, weil sie im Erwerbsleben stehen und oft "ohnehin ausgepowert" sind. Die anderen, weil sie in "allen möglichen AMS-Kursen stecken", sich immer wieder bei Firmen vorstellen müssen und weil sie kein Geld haben. "Man kann sich nicht vorstellen, was es für einen Stress bedeutet, mit ein paar Hundert Euro im Monat auszukommen", berichtet ein Dreißigjähriger, der in den vergangenen Monaten über 100 Bewerbungsschreiben abgeschickt hat.

Arbeit genug

Und trotzdem, wiederholt Immervoll: Jeder Mensch hat Fähigkeiten. Und es gibt Arbeit genug. Nur: Diese Arbeit wird nicht bezahlt. Die Pflegearbeit zum Beispiel, vom Zuhören über das Einkaufen, alles rund ums Haus oder die Wohnung.
Oder die Arbeit von Vereinen. Einer davon erhält, ehrenamtlich, die Touristenattraktion Schmalspurbahn, die von Heidenreichstein über Litschau nach Gmünd führt. Der Bahnhof, berichtet ein Mitarbeiter, sei "ein einziger Abstellplatz von Lokomotiven, Waggons und Geräten. Arbeit gäbe es genug für Leute, die zwei Hände haben."
Arbeit gibt es genug, und Menschen, die nicht tätig werden wollen sind keine bekannt. Ein 50-jähriger, ehrenamtlicher Mitarbeiter etwa, der sich in der Betriebsseelsorge engagiert. Er überlegt, wie die Tauschkreise weiter aktiviert werden können, schlägt Verbesserungen für die Sozialmärkte vor und plant Waldpädagogik für die Kinder aus der Region zu organisieren. "Der leistet gesellschaftlich unverzichtbare Arbeit", kommentiert ein Heidenreichsteiner. Bezahlte Arbeit aber fände der mit seinen gesundheitlichen Problemen nicht mehr. Momentan lasse ihn das Arbeitsmarktsservice "in Ruhe". Vielleicht wird der Antrag auf Berufsunfähigkeitspension "irgendwann" akzeptiert.

Arbeit statt Kurse

Auf das AMS sind die WaldviertlerInnen nicht immer gut zu sprechen. "Jetzt habe ich schon den dritten Berufsorientierungskurs", sagt die 35-jährige Alleinerzieherin aus der Gegend um Litschau, direkt an der tschechischen Grenze. Sie hat zwei Kinder, aber kein Auto. Mittlerweile hat sie sich vom AMS abgemeldet. "Was habe ich davon?", fragt sie. "Die Bezüge werden mir ohnehin gestrichen. Und zwischendurch soll ich aufs Arbeitsamt nach Gmünd fahren. Da habe sie mehr davon, sich beim Mann mitversichern zu lassen.
Ihr Herzenswunsch: "Gerne würde ich am Vormittag andere Kinder betreuen." Eine andere alleinerziehende Mutter aus Heidenreichstein hat fünf Kinder. Sie soll um 7.30 Uhr beim AMS einen Kurs besuchen. "Da habe ich die Kinder noch nicht alle aus dem Haus", berichtet sie. "Und die Arbeit, die angeboten würde, kann ich ohnehin nicht machen mit den Kindern." Ihr Wunsch: Für die alten Nachbarn die Wocheneinkäufe zu besorgen. Das macht sie bereits ohnehin, kostenlos.
Ideen, was die Menschen von Herzen gerne tun würden, liegen mittlerweile viele vor. Jetzt wird nach Wegen gesucht, die Wünsche umzusetzen. "Warum nicht das Angebot der AMS-Kursmaßnahmen um eine Facette bereichern? Alternativ zu herkömmlichen Maßnahmen wie Bewerbungstrainings und Computerschulungen, wird freiwilliges Engagement in einem Verein, den der oder die Arbeitssuchende selbst wählt, als AMS-Kurs angeboten", lautet die Vision der Betriebsseelsorge Oberes Waldviertel. Nun wird erfasst, welche Vereine in der Region Mithilfe brauchen, welche Arbeit in der Gemeinde gebraucht, aber derzeit nicht bezahlt wird. "Wir wollen hier nicht künstlich etwas konstruieren", sagt Karl A. Immervoll. "Und wir wollen keine Arbeitsplätze gefährden."

Gesicherte Existenz

Es brauche nicht nur die Öffnung des ersten Arbeitsmarktes, ist Karl A. Immervoll überzeugt. Man könne diskutieren, einen zweiten oder dritten Arbeitsmarkt zu schaffen. Oder besser: Den Menschen mit einem Grundeinkommen die Sorge um die Existenz zu nehmen. "Parallel dazu sind Bildungsprogramme nötig", meint ein Dorfbewohner, der sich an den Diskussionsrunden im philosophischen Café der Pfarre beteiligt. "Man kann nicht Leuten Geld in die Hand geben und hoffen, alles regelt sich von selbst. Genauso wenig, wie sich der Markt von selber regelt."
Gebildete Menschen ohne Existenzängste wären keine willfährigen Arbeitskräfte. "Unsere Generation konnte es sich noch aussuchen", sagt der junge 50er Immervoll. Ein Großteil der Jugendlichen heute kann es sich nicht mehr aussuchen. Sie müssen froh sein, überhaupt eine Lehrstelle zu bekommen, egal was. Aber wir brauchen die Vielfalt. Ob es die berufliche, die kulturelle, die ethische oder die Freiheit des Denkens ist. Und wir brauchen die Individualität jedes Menschen."

Du bist die/der Einzige

"Überschätz dich nicht", sagt der Betriebsseelsorger und Musiker Immervoll seinen SchülerInnen in Weiterbildungsseminaren. "Die Welt läuft ohne dich weiter. Aber anders. Du bist die bzw. der Einzige, der genau das beitragen kann, was nur du beizutragen imstande bist."

Weblinks
Studie AK-Niederösterreich:
Waldviertel alles gleich oder doch  verschieden?
noe.arbeiterkammer.at/bilder/d108/Waldviertel_2009.pdf
Was möchte ich von Herzen gerne tun?
www.waldviertler-alternativen.at

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