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Delegiert werden zumeist unangenehme Tätigkeiten, die "drei Cs", wie sie genannt werden: Cleaning, Cooking, Caring (Putzen, Kochen, Sorgen). Dulal Akhmed ist - wie der Name bereits verrät - kein Italiener. Sondern aus Bangladesh und russischer Staatsbürger. Wie seine Moskauer Frau Anna.

Schmelztiegel Arbeit

Schwerpunkt

Multikulturalität gewinnt in der Arbeitswelt mit der Globalisierung an Bedeutung. In Wien leben und arbeiten Menschen aus über 100 Nationen.

Frank Wulf (45) hat sich für einen sehr ungewöhnlichen Beruf entschieden. Tag für Tag steht er mit seinem Fiaker und seinen Pferden am Stephansplatz und wartet auf TouristInnen, die er dann durch Wien kutschiert. Je nach Wunsch dreht er mit seinen Gästen eine kleine Runde, eine einstündige Tour oder bringt sie in ihr Hotel. Oder gar nach Schönbrunn. Für eine Stunde lässt er TouristInnen, aber auch Einheimische sich wie Franz Joseph und Sisi fühlen und bringt ihnen die kaiserliche Hauptstadt mit all ihrem Pomp und Kitsch und historischen Bedeutung näher. Mit Frank Wulf scheint die Monarchie fast schon greifbar. Aber auch nur fast. Denn Frank Wulf kommt ursprünglich aus Dortmund. Ein Deutscher, der den klassischsten und - beinahe berühmtesten - Beruf Wiens ausübt?

Tramezzini vom Inder

Direkt gegenüber der Wiener Börse, zwischen noblen Anwaltskanzleien, stylishen Cocktailbars und schicken PR- und Werbeagenturen liegt die "Alimentari Paninoteca Bologna" - eine auf italienische Speisen spezialisierte Paninothek. Das unaufdringliche und sehr schlicht gehaltene Äußere scheint dem Style und der Noblesse der Inneren Stadt zu trotzen. Gehandelt wird hier nur mit erstklassigen italienischen Spezialitäten - von Vino und Tramezzini bis hin zu Prosciutto und Parmaschinken. Die Paninothek gilt in der Umgebung auch als Geheimtipp für einen schnellen Take-away-Lunch. Mittags stürmen Geschäftsleute, BörsenmaklerInnen und AnrainerInnen das Lokal, denn da werden stets warme Speisen wie Lasagne oder Pasta zum Mitnehmen geboten. Hinter der Budel steht tagtäglich der Chef höchstpersönlich und bedient gemeinsam mit seiner Frau die Kunden. Dabei ist Dulal Akhmed - wie der Name bereits verrät - kein Italiener. Sondern aus Bangladesh. Und russischer Staatsbürger. Wie seine Moskauer Frau Anna.

Menschen aus 100 Nationen

Österreich - besonders Wien - war seit jeher Einwanderungsland und infolge dessen ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen. Sei es während der Ära der Donaumonarchie, Ende der 1960er-Jahre, als die ersten GastarbeiterInnen nach Österreich kamen oder im neuen Millenium - dem Zeitalter von Globalisierung, EU und freiem Personen- und Dienstleistungsverkehr. Heute leben in Wien Menschen aus über 100 Nationen - von Afghanistan über Chile und den Philippinen bis hin zu Vietnam -, die gemeinsam das Mosaik "Wien" bilden und dafür sorgen, dass eine große kulturelle, sprachliche und ideelle Vielfalt herrscht. Kulturelle Vielfalt ist ein Geschenk, in vielerlei Hinsicht. Durch den freien Austausch von Ideen, Meinungen, Bräuchen und Traditionen kann das Zusammenspiel der Kulturen nur bereichert werden - laut UNESCO ist kulturelle Vielfalt eine "Hauptantriebskraft für die nachhaltige Entwicklung von Gemeinschaften, Völkern und Nationen" und für "Frieden und Sicherheit sowohl auf lokaler als auch auf internationaler Ebene unabdingbar".

Multikulti im Vormarsch

Dabei gewinnt Multikulturalität in der Arbeitswelt mit der Globalisierung zunehmend an Bedeutung. Im Zuge dessen entstehen die skurrilsten Mischungen - wie der Fall vom Bengalen Dulal Akhmed mit seiner italienischen Paninothek. Oder dem deutschen Fiakerfahrer Frank Wulf. Oder der Polin Aleksandra A., die trotz polnischer Staatsbürgerschaft MigrantInnen in Deutsch unterrichtet. Oder der bosnischen Flüchtlingsberaterin Nina L. In einem Einwanderungsland wie Österreich kann auch ein Team eine sehr bunte Konstellation annehmen. Die Bosnierin Nina L. (27) - selbst als Flüchtling nach Wien gekommen - ist heute Flüchtlingsberaterin bei einer NGO und arbeitet in einem multikulturellem Team: "Ich finde es toll. Wir kommen zum Teil sogar von verschiedenen Kontinenten - Mongolei, Kenia, Iran, Bosnien. Natürlich gibt es auch ÖsterreicherInnen. Das funktioniert sehr gut. Wir verstehen uns alle gut und sind sehr offen für die Kultur der anderen." Multikulturalität und Arbeit - wie verträgt sich das? "Kulturelle Vielfalt, vor allem am Arbeitsplatz, ist eine tolle Sache", sagt Nina L.: "Das erweitert einfach den Horizont und man kann so viel voneinander lernen. Natürlich gibt es manchmal kulturelle Unterschiede, die man nicht sofort verstehen kann, aber es hilft, wenn man die Sachen immer offen anspricht."
Die größten MigrantInnengruppen, die in Österreich arbeiten, bilden dabei in erster Linie Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien - Serbien, Kroatien, Bosnien und Mazedonien, aber auch aus Deutschland, der Türkei, Tschechien und Polen. Der Fiakerfahrer Frank Wulf gehört zur zweitgrößten MigrantInnengruppe Österreichs - den Deutschen. In Dortmund geboren, studierte Wulf zunächst Jura, unter anderem auch in New York und Miami. Bevor er nach Wien kam, leitete er einen eigenen Betrieb in Berlin, engagierte sich für weiße Rhinozerosse im afrikanischen Namibia und führte in Vancouver, Kanada, TouristInnen mit Pferden und Zelten wochenlang durch die Natur.´

Ein Piefke als Fiaker

Was ihn nach so einer aufregenden Biografie in das ruhige Österreich getrieben hat? "Ich wollte unbedingt mit Pferden arbeiten. Und Fiaker fahren kann man eben am besten in Wien. Deswegen bin ich nach Wien gezogen." Nach zwei Jahren als angestellter Fiakerfahrer hat sich Wulf Anfang April hat mit seinem kleinen "Fuhrpark" im Gewerbe endlich selbstständig gemacht. "Es ist die schönste Art, Wien kennenzulernen", sagt er. Ob er als Deutscher im Fiakergewand von Kollegen, Konkurrenz und Kunden nicht manchmal schief angesehen wird? Wulf nimmts eher locker: "Ich bin der Piefke hier, werde aber von allen akzeptiert. Was soll’s, ich komme ja aus Dortmund, daher war ich in Berlin auch ein Zugreister." Den Bengalen Dulal Akhmed führten andere Umstände nach Österreich. "Ich habe in Bangladesh Politikwissenschaft studiert. Als die große Welle kam, in der die Studenten die Möglichkeit hatten, ins Ausland zu gehen, bin ich nach Moskau gegangen, wo ich auch meine Frau kennengelernt habe. Und da mein Bruder sich in Österreich niedergelassen hat, und wir auf ein besseres Leben dort hofften, sind wir 1998 nach Wien gegangen." Zwei Jahre arbeitete er mit seinem Bruder in einer Pizzeria in Ottakring - bis er den kleinen Lebensmittelladen eines Italieners bei der Börse übernahm - und ihn nach und nach den Kundenwünschen entsprechend auf den Schwerpunkt Take-away-Food verlagerte.
Sowohl Wulf als auch Akhmed haben, wie viele andere Migranten, eine Gemeinsamkeit: Sie haben beide studiert. Und üben in dem Land, in dem sie momentan leben, nicht ihren gelernten Beruf aus - Wulf, weil er Pferde seine Leidenschaft nennt, Akhmed, weil er es nicht kann: "Ich habe in Österreich versucht, Jus zu studieren. Aber dafür muss man sehr gut Deutsch können, weil man ja quasi mit der Sprache arbeitet und für mich war das fast unmöglich." Die bosnische Serbin Branka Z. hat vor dem Krieg in Sarajevo an einem Gymnasium unterrichtet. Heute arbeitet sie als Putzfrau. Der Tscheche Pavel N. studierte in Prag Philosophie und Psychologie und floh während der samtenen Revolution aus der Tschechoslowakei. Seinen Traum, Psychotherapeut zu werden, konnte der 56-Jährige in Österreich nie verwirklichen. Er arbeitet als Betreuer in einem Wohnheim für verhaltensauffällige Menschen. "Hoch qualifizierte Berufe, die sie in der Heimat ausgeübt haben, können sie natürlich nicht ausüben. Einige bemühen sich, die Qualifikationen auch hier zu erwerben", sagt L. Oft müssen sich MigrantInnen den Vorwurf gefallen lassen, sie "wollen nicht arbeiten". Dem widerspricht Nina L.: "Dass Leute nicht arbeiten wollen, höre ich selten. Viele sind ganz erpicht darauf, endlich zu arbeiten, aber AsylwerberInnen zum Beispiel ist das ja nicht gestattet!"

Geschmack der Welt

Ein bisschen eigene Identität versucht Dulal Akhmed trotz allem in sein italienisches Lokal zu bringen. Neben Gnocchi und Lasagne muss doch die Heimat irgendwie gewürdigt werden: Daher kocht jeden Donnerstag Akhmeds russische Frau Anna Fleischlaibchen auf russische Art. Der Freitag hingegen gehört Akhmed: Dann gibt es sein berühmtes bengalisches Curryhuhn mit Reis.

Weblink
Beratungszetrum für MigrantInnen:
www.interculturexpress.at

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