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Doppelt betroffen "Vor allem in jenen Sparten, die auf das Prestige der MitarbeiterInnen einen hohen Wert legen, haben Menschen mit Behinderung zumeist wenig Chancen. Das betrifft insbesondere den Banken- und Versicherungssektor", erzählt Pichler.

Doppelt betroffen

Schwerpunkt

Menschen mit Handicaps sind von der Wirtschaftskrise besonders betroffen. Die Integration am Arbeitsmarkt droht zu stagnieren.

Behinderte Menschen gehören immer noch zu den Randgruppen der Gesellschaft. Das ist auch am Arbeitsmarkt spürbar. Zwar deuten die jüngsten Daten erstmals seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise einen Hauch von Normalisierung an, dennoch bleibt die Skepsis der ExpertInnen groß. Vor allem an den Rändern des Arbeitsmarktes halten sich die Probleme hartnäckig. Dabei sind behinderte Menschen speziell von der Krise betroffen. Als Arbeitssuchende haben sie es besonders schwer, einen adäquaten Job zu finden.

Angespannte Situation

Dieses Problem sieht auch Herbert Pichler vom Büro Chancen Nutzen im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB): "Arbeitssuchende Menschen mit Behinderung sind von der Krise doppelt schwer betroffen. Es gibt eine allgemeine Unsicherheit, wenn es darum geht, behinderte Menschen einzustellen. Das hat sich aufgrund der Weltwirtschaftskrise verschärft", erklärt Pichler. Der Experte für juristische Fragen bei Behinderung in der Arbeitswelt kann dabei auf seine Erfahrung als Trainer verweisen. Im Rahmen des Büros Chancen Nutzen, das vom Bundessozialamt unterstützt wird, besucht er Firmen, um sie für diese Problematik zu sensibilisieren.
Pichlers Analyse wird von den jüngsten Arbeitsmarktdaten gestützt. Obwohl der Beschäftigungsstand in Österreich wieder gestiegen ist und die Arbeitslosigkeit gesunken, ist die Lage bei Menschen mit Behinderung weiterhin angespannt. Der Beschäftigungsstand in Österreich ist im März im Vergleich zum Vorjahr insgesamt um 0,3 Prozent gestiegen, die Arbeitslosigkeit im Gegenzug um 1,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahreswert gesunken. Ganz anders entwickelt sich die Tendenz bei Menschen mit Behinderung: Im März dieses Jahres waren 391 Behinderte mehr als noch im Vergleichsmonat des Vorjahres arbeitslos gemeldet, also immerhin ein Anstieg von 6,5 Prozent.
Dabei haben es behinderte Menschen schon von Haus aus schwerer am Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei dieser Personengruppe deutlich höher, wie die Ergebnisse der Mikrozensus-Zusatzfragen der Statistik Austria aus dem Jahre 2007 zeigten. Interessant ist außerdem, dass zu diesem Zeitpunkt nur etwa 58,5 Prozent der dauerhaft Beeinträchtigen im Erwerbsalter am Arbeitsmarkt teilnahmen. Bei Personen ohne Beeinträchtigung waren es immerhin 77,8 Prozent.

Angst und Vorurteile

Die Zahlen beunruhigen den Experten des Büros Chancen Nutzen, der auch selbst als Mensch mit Behinderung von dem Problem betroffen ist: "Betriebe schrecken oft davor zurück, Menschen mit einem Handicap einzustellen. Dabei gibt es eine Reihe von Vorurteilen und Argumenten, die zum Tragen kommen", erzählt Pichler. "Es ist eine große Unsicherheit im Umgang mit behinderten Menschen spürbar." Dabei falle insbesondere ins Gewicht, dass Gefühle wie Mitleid im Umgang mit Menschen mit Behinderung eine Rolle spielen würden, so der Experte. Das seien wesentliche Hindernisse für einen normalen Umgang mit Menschen mit Handicap.

Erhöhter Kündigungsschutz

Das erste Argument, gegen eine Einstellung von Menschen mit Behinderung, stellt weiterhin der erhöhte Kündigungsschutz von behinderten ArbeitnehmerInnen dar. Betriebe fürchten oftmals, sich von MitarbeiterInnen im Ernstfall nicht mehr trennen zu können. "Doch das ist meist ein vorgeschobenes Argument, wie ich in meiner bisherigen Tätigkeit erfahren habe", erklärt Pichler. "Meist liegen hinter diesem Argument ganz andere Ängste und Vorurteile."
Insbesondere mit der Novelle des Behinderteneinstellungsgesetzes im Jahr 2001 wurde das als Rechtfertigungsgrund hinfällig. Denn damit wurde der erhöhte Kündigungsschutz in den ersten sechs Monaten bei einem neuen Dienstvertrag ausgesetzt. "Dadurch soll dem Dienstgeber die Möglichkeit gegeben werden, ein Dienstverhältnis mit einem behinderten Menschen ohne das allfällige Hemmnis des Kündigungsschutzes einzugehen, und sich in diesem Zeitraum von der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers zu überzeugen", heißt es dazu vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Doch diese Vorurteile könnten auch gezielt ausgeräumt werden. In einer Studie aus dem Jahre 2006 hat das ÖGB-Büro Chancen Nutzen ihre Informations- und Sensibilisierungstätigkeit evaluieren lassen. In mehrstündigen Gesprächen und Seminaren werden MitarbeiterInnen von Betrieben über das Thema Behinderung aufgeklärt. Die Evaluierung von 291 Gesprächen hatte dabei ergeben, dass ein enormer Rückgang der Skepsis zu beobachten war: Während vor den Gesprächen nur 31,5 Prozent der MitarbeiterInnen positive Assoziationen mit dem Thema hatten, so waren es im Nachfeld sogar 56,3 Prozent. "Ein deutlicher Beleg dafür, dass es hier vor allem um Ängste und Vorurteile geht, die mit einer passenden Strategie ausgeräumt werden können", zeigt sich Pichler überzeugt.

Herausforderung Integration

Die Integration behinderter Menschen in die Arbeitswelt bleibt also vor allem in wirtschaftlichen Krisenzeiten eine wesentliche Herausforderung. Eines der wichtigsten Instrumente dafür ist die Beschäftigungspflicht von behinderten Menschen. Alle DienstgeberInnen, die 25 oder mehr DienstnehmerInnen beschäftigen, sind demnach verpflichtet, auf je 25 DienstnehmerInnen einen Menschen mit Behinderung einzustellen.
Doch der Gesetzgeber hat dem Unternehmen eine Alternative zur Anstellung geboten. Wenn der Arbeitgeber dieser Verpflichtung nicht oder nicht zur Gänze nachkommt, muss er pro Pflichtstelle eine Ausgleichstaxe von 223 Euro pro Monat zahlen. Diese Gelder fließen in den Ausgleichstaxfonds, dessen Mittel zweckgebunden für die Unterstützung der beruflichen Integration von Menschen mit Behinderung verwendet werden.
Im Jahr 2008 wären rund 17.000 DienstgeberInnen von einer Beschäftigungspflicht betroffen gewesen. "Dabei erfüllten rund 4.000 DienstgeberInnen die Beschäftigungspflicht zur Gänze, rund 13.000 kamen der Pflicht nicht oder nicht zur Gänze nach", erklärt Norbert Schnurrer vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz. Die Einnahmen des Ausgleichstaxenfonds betrugen im Jahr 2009 rund 89 Mio. Euro. Die schon erwähnte Umfrage des ÖGB-Büros Chancen Nutzen hatte ergeben, dass 63,5 Prozent der Betriebe lieber eine Ausgleichstaxe zahlen, als einen Menschen mit Behinderung einzustellen.
Daher wird vom ÖGB kritisiert, dass der Betrag viel zu gering sei, und somit die Integration von behinderten Menschen in der Arbeitswelt stagniere. Er fordert deswegen eine spürbare Anhebung der Ausgleichstaxe.
Doch allein die gesetzliche Grundlage zu ändern reicht nicht aus. "Es muss ein allgemeines Umdenken in der Gesellschaft einsetzen", argumentiert Pichler. "Die ArbeitgeberInnen müssen endlich erkennen, dass behinderte Personen spezielle Vorteile bieten, die dem Betrieb nützen." Dazu gehöre etwa, dass Menschen mit einem Handicap eine hohe Loyalität zu den Betrieben aufweisen. Die fluktuationsbedingten Kosten würden daher verringert werden, argumentiert der Experte vom ÖGB-Büro Chancen Nutzen.
Die Anstellung behinderter Menschen ist auch nach Branchen sehr unterschiedlich verteilt. "Vor allem in jenen Sparten, die auf das Prestige der MitarbeiterInnen einen hohen Wert legen, haben Menschen mit Behinderung zumeist wenig Chancen. Das betrifft insbesondere den Banken- und Versicherungssektor", erzählt Pichler. Dabei ist die Situation paradox: Gerade in den administrativen Bereichen, bei denen die Integration von behinderten Menschen am Arbeitsplatz weniger Aufwand darstellen würde, sei die Zurückhaltung am größten. Im schlechter bezahlten Bereich der Industrie würden mehr behinderte Personen eingestellt, so der Experte.

Aufklärung wesentlich

Als wesentlichen Hebel, um das Problem einzudämmen, sieht Pichler weiterhin Aufklärungsarbeit. "Gerade die erhobenen Daten belegen, wie wichtig unsere Arbeit im ÖGB-Büro Chancen Nutzen ist. Es ist zwar ein mühsamer Weg, aber unsere Sensibilisierungsgepräche zeigen sehr großen Erfolg."

Weblink
Sozialpartnerseite Arbeit und Behinderung:
www.arbeitundbehinderung.at

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