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Die Schlüsselfrage ist laut Rauner, »Will ich einen libyschen Staatsfonds als Shareholder oder eine Verwurzelung in meinem Standort?« Eine Antwort darauf sei die MitarbeiterInnenbeteiligung. Die Schlüsselfrage ist laut Rauner, »Will ich einen libyschen Staatsfonds als Shareholder oder eine Verwurzelung in meinem Standort?« Eine Antwort darauf sei die MitarbeiterInnenbeteiligung.

Gründet Konzerne

Schwerpunkt

Demokratie als Businessplan: Wie funktioniert partizipatives Wirtschaften? Was sind die Möglichkeiten dieses Organisationskonzeptes, wo liegen die Probleme?

Informationsasymmetrie, Einkommensspreizung, Kontrollkosten, Shareholder-Value, Hierarchie. Bereits ein kurzer Auszug aus dem Kanon der gängigen Unternehmensorganisation macht klar, dass sich die marktorientierte Ökonomie von einer Demokratie unterscheidet. Solange dieses System funktioniert, mag es müßig erscheinen, wenn der Umstand hinterfragt wird, dass einige wenige - die EigentümerInnen - eine Entscheidungshoheit über viele andere - die Beschäftigten - haben. In dem Bonmot »Gehts der Wirtschaft gut, gehts uns allen gut« steckt mehr als ein Funken Wahrheit: Eine prosperierende Geschäftswelt generiert einen Bedarf an Arbeitskraft und bildet die Grundlage für hohe Löhne und gute Arbeitsbedingungen. Wenn sich diese Grundlage aber als instabil erweist, ist eine Auseinandersetzung mit den dafür verantwortlichen Entscheidungen und deren Grundlage - der Eigentümerschaft - von existenzieller Bedeutung.

Heuschrecken? MitarbeiterInnen!

Eine Situation, in der sich die Basis des Wirtschaftssystems als instabil erweist? Ja, es geht um die aktuelle Lage der Weltwirtschaft. »Diese Lage hat sich aus einem pervertierten Umgang mit dem Shareholder-Value entwickelt«, weiß Mag. Alexander Rauner. Der Mitarbeiter der finanz- und handelspolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer Österreich sieht die Krise als Resultat einer auf Aktienwert zentrierten Eigentümerschaftsbegriffs und die darauf ausgerichtete Unternehmensführung: »Daraus entwickeln sich spekulative Blasen. Man kann einen Betrieb nicht nur in Hinblick auf eine Kenngröße führen, dies schadet langfristig den Eigentümern.«

ArbeitnehmerIn? EigentümerIn!

Langfristiges Interesse an Unternehmen besteht nicht, wenn die Eigentümerschaft als Handelsgut betrachtet wird; die TeilhaberInnen müssen tiefer mit dem Betrieb verbunden sein. Dies prädestiniert die Beschäftigten als EigentümerInnen. Da die Suche eines Arbeitsplatzes aufwendiger ist als der Handel von Geschäftsanteilen an der Börse, sind ArbeitnehmerInnen eher an nachhaltigem Wirtschaften interessiert als KapitalinvestorInnen.
Die Schlüsselfrage ist laut Rauner: »Will ich einen libyschen Staatsfonds als Shareholder oder eine Verwurzelung in meinem Standort?« Eine Antwort darauf sei die MitarbeiterInnenbeteiligung. Weitere Vorteile seien leichtere Weitergabe von Erfolgen an die Beschäftigten und die Bindung an das Unternehmen - »Betriebe konkurrieren nicht nur am Absatzmarkt, sondern auch am Arbeitsmarkt«.
Als österreichisches Musterbeispiel für die Kapitalbeteiligung der MitarbeiterInnen gilt die voestalpine. Die Arbeitnehmerschaft hält an dem Stahlkonzern zehn Prozent. Ob die Beschäftigten den Konzern deshalb als »ihr« Unternehmen sehen, sei dahingestellt. Geringfügige Kapitalbeteiligung ist aber bloß ein Ende des Spektrums: »Wenn man den Bogen weiter spannt, kommt man zur solidarischen Unternehmensführung durch Mitarbeiter«, weiß Prof. Dietmar Rößl, Leiter des Forschungsinstituts für Kooperationen und Genossenschaften an der WU Wien. Diese Art der Geschäftsorganisation heißt Produktivgenossenschaft, das Suffix »mit beschränkter Haftung« minimiert das finanzielle Risiko der Mitglieder.
Im Gegensatz zur Kapitalbeteiligung lässt sich diese Form der Partizipation nicht im Nachhinein schrittweise auf einen Betrieb applizieren, sondern ist von Anfang an Bestandteil seiner Struktur oder ergibt sich aus Restrukturierungen, etwa nach Insolvenzen. Laut Rößl ist es »kaum möglich, dass komplexe Unternehmungen auf diese unmittelbare solidarische Art geführt werden. Die Produktivgenossenschaft bietet sich in Bereichen an, in denen Personen auf dem gleichen Level zusammenarbeiten«.

Österreich? Deutschland!

Ein Unternehmen, das den MitarbeiterInnen gehört, unbeschränkte Partizipation an Entscheidungen ermöglicht und Kontroll- und Anreizsysteme überflüssig macht? Das klingt doch gut und sollte in vielen Branchen die erste Wahl bei Gründungen sein. Dennoch ist die Produktivgenossenschaft in Österreich selten: Mit dem Tiroler Gerätewerk Matrei und dem Wiener Malereibetrieb Maldek sind nur zwei Unternehmen so organisiert. Dietmar Rößl führt die geringe Verbreitung von Genossenschaften auch darauf zurück, dass bei kleinen Kooperationen meist die Gründung eines Vereins vorgezogen würde. »Vielleicht ist hierzulande auch das Miteinander nicht so ausgeprägt.«
Zumindest weniger ausgeprägt als in Deutschland, wo die Genossenschaft eine Renaissance erlebt. Das Genossenschaftsrecht wurde 2006 reformiert, Gründungen erheblich vereinfacht. Zudem werden kooperative Unternehmen durch Mittel der Bundesagentur für Arbeit subventioniert, um die Lage des Arbeitsmarktes zu verbessern. Als Vorzeigeprojekt gilt ein von zwölf ehemals arbeitslosen Frauen als Genossenschaft geführtes Restaurant in Schleswig-Holstein.

Demokratie? Problem!

»Wie sich die Genossenschaften in Deutschland entwickeln, wenn die Subventionen wegfallen, muss sich erst zeigen«, sagt Rößl. Das Problem von partizipativen Betrieben liegt für ihn aber nicht in der Wettbewerbsfähigkeit, sondern in einem intrinsischen Merkmal der Organisation: der demokratischen Entscheidungsfindung. So lange die Beteiligten ähnliche Interessen haben, kommen sie schnell auf einen gemeinsamen Nenner. Doch »je größer die Heterogenität, desto größer das Konfliktpotenzial, und desto schwieriger wird es, eine einheitliche Linie zu finden.«
Alexander Rauner sieht Partizipation an Unternehmensführung als Chance, aber auch als Gefahr: »Unterschiedliche Arbeitnehmer bringen unterschiedliche Standpunkte ein und ermöglichen Innovation. Mitbestimmung so weit wie möglich; doch wenn Entscheidungsprozesse zu langwierig werden, führt das zur Ermüdung der Beteiligten.«

Genossenschaft? Konzern!

Entscheidungsunfähigkeit durch zu viele und zu verschiedene Interessen - sind dem Wachstum von partizipativ organisierten Unternehmen natürliche Grenzen gesetzt? »Viele Produktivgenossenschaften sind im Laufe ihrer Entwicklung zu GmbHs geworden«, weiß Dietmar Rößl, nennt aber auch das Gegenbeispiel: »Mondragon ist ein Riesen-Ding.«
Die Mondragon Corporation geht auf eine 1955 gegründete baskische Werkstätte zurück. Aus der ursprünglich fünfköpfigen Handwerks-Produktivgenossenschaft hatte sich bis 2008 ein internationaler Mischkonzern mit mehr als 90.000 MitarbeiterInnen entwickelt, von denen 83 Prozent Vollmitglieder der Genossenschaften waren.
Eine große Zahl von Beteiligten, die Entscheidungsfindung im Keim ersticken sollte. Warum Mondragon dennoch funktioniert? »Man kann nur spekulieren«, meint Rößl. »Ich vermute, dass ab einer gewissen Größe einer solchen Struktur nicht mehr die unmittelbare Mitbestimmung im Vordergrund steht, sondern andere Vorteile des solidarischen Denkens: Organisationskultur, Arbeitsplatzsicherheit und Krisenfestigkeit.«
Nachhaltigkeit, Innovation, Erfolgsbeteiligung, solidarisches Denken. Auf dem Papier sehen diese Eckpunkte des kooperativen Wirtschaftens besser aus als die eingangs erwähnten Begriffe der traditionellen Unternehmensführung. Sowohl die Konzepte der MitarbeiterInnenbeteiligung als auch der Partizipation hätten sich eine vermehrte Anwendung in der Praxis verdient, darin sind sich Wirtschaftskammermitarbeiter Rauner und Kooperativenforscher Rößl einig. Nachdem der klassische Shareholder-Value-Karren kürzlich gegen die Wand gefahren wurde, scheint die gegenwärtige Stimmung für mehr Demokratie in der Wirtschaft zu sprechen: 2009 ging der Wirtschaftsnobelpreis an eine Arbeit über die gemeinschaftliche Verwaltung von Allgemeingütern, und 2012 ist das UN-Jahr der Genossenschaften.

Weblink
Österreichischer Genossenschaftsverband -Gründungsleitfäden & Publikationen
www.oegv.info/publikationen

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